IFFF 2019: Endzeit
von Sophie Charlotte Rieger
Eine Zombie-Apokalypse im Thüringer Wald, inszeniert von einem Frauen*team um die schwedische Regisseurin Carolina Hellsgård – das klingt so vielversprechend wie brenzlig, denn… Thüringer Wald? Deutsche Zombie-Produktion? Oh oh…
Schon die Figurenaufstellung in Endzeit ist besonders, obwohl sie das freilich nicht sein sollte: Alle zentralen Rollen sind mit Frauen* besetzt. Angeführt wird die Handlung von der psychisch labilen Vivi (Gro Swantje Kohlhof) und der furchtlosen Eva (Maja Lehrer), die sich zwei Jahre nach dem Einsetzen der Zombieapokalypse von Weimar nach Jena durchschlagen – den einzigen beiden Städten, in denen noch Menschen leben. Auf ihrem abenteuerlichen Weg durch den Thüringer Wald sind die blutrünstigen Untoten jedoch nicht die einzige Herausforderung für die beiden Heldinnen. Als ebenso tückisch oder vielleicht gar noch gefährlicher erweisen sich ihre inneren Dämonen.
Und vielleicht sind es auch genau diese, um die es hier eigentlich geht. Ein Zombie ist ja selten einfach nur ein Zombie und – wie die schwedische Regisseurin Carolina Hellsgård im Zuge des Filmgesprächs beim Frauenfilmfestival 2019 in Dortmund erklärte – in der Regel eine Manifestation menschlicher Emotionen. Im Falle von Vivi und Eva geht es um Schuld und damit ein Gefühl, das eng mit weiblichen* Lebensrealitäten verknüpft ist.
Was den Stellenwert des Subtexts angeht, scheint sich Endzeit also ins Genre einzufügen, visuell und konzeptionell aber unterscheidet sich Hellsgårds Werk stark von anderen Zombie-Filmen. Das dürfte Fans des Genres sauer aufstoßen, ist aber nicht grundsätzlich etwas Schlechtes. Basierend auf der gleichnamigen Graphic Novel von Olivia Vieweg, die auch das Drehbuch zum Film verfasst hat, erzählt Carolina Hellsgård mit ihrem Film eine Geschichte, die zwischen Horror und Märchen oszilliert. Der Thüringer Wald ist hier keine lebensfeindliche Umgebung, so wie es sich eigentlich für die Postapokalypse gehört, sondern ein strahlend grüner, lebensbejahender Ort der spirituellen Naturbegegnung.
Leider mag dieses mutige Überschreiten der Genre-Grenzen nicht ganz aufgehen, da sich die einzelnen Elemente nicht zu einem schlüssigen Gesamtkonzept zusammenfügen, sondern als einzelne Puzzlesteine sichtbar bleiben. Da sind Momente psychologischen Horrors, insbesondere in den surrealen Krankenhausszenen zu Beginn des Films. Da sind klassische Zombie-Attacken und –Verfolgungsjagden. Und da sind märchenhaft romantische Anteile, die sogar ein kleine Portion Kitsch transportieren.
Dabei können sowohl die Zombie-Anteile als auch die Märchenelemente einzeln betrachtet durchaus überzeugen. Den überraschend agilen Untoten ist deutlich anzusehen, dass hier nicht einfach nur verkleidete Kompars_innen durch Wald und Wiese stolpern, sondern Stuntleute und Tänzer_innen akribisch einstudierte Bewegungsabläufe performen. In diesen Szenen tragen auch Schnitt und Sounddesign maßgeblich zu einem sehr unterhaltsamen und je nach Nervenkostüm durchaus erschreckenden Leinwandschauspiel bei – wenn auch zu den US-amerikanischen Genre-Vorbildern noch Luft nach oben bleibt.
Die Bildgestaltung der Märchenmomente wiederum ist ausgesprochen fantasievoll und transportiert mit dem Zauber der Natur auch eine ökologische Botschaft. Wo die Zombies für den Tod stehen, ist die Pflanzenwelt das Leben, das über allem triumphiert, und damit auch der Ausgangspunkt für Hoffnung. Das ist zum Teil leider genauso kitschig wie es klingt und geht darüberhinaus nur eine ungenügende Verbindung zu den düsteren Anteilen des Konzepts ein.
Vielleicht aber hat diese Gegenüberstellung auch System. Oder ist es Zufall, dass die Menschen vornehmlich weiblich* und die Zombies mehrheitlich männlich* sind? Carolina Hellsgård beschreibt Endzeit selbst als Emanzipationsgeschichte, die Reise ihrer Hauptfiguren als Weg in die Freiheit. Tatsächlich macht insbesondere Vivi eine Entwicklung der Ermächtigung durch, wird vom ängstlichen Nervenbündel zur selbstbewussten Heldin. Und auch das Schuldmotiv ließe sich feministisch lesen, wenn wir die Zombies in Endzeit als Repräsentant_innen des Patriarchats verstehen. Denn die gefühlte Schuld, mit der beide Frauen* ringen, liegt zu Unrecht auf ihren Schultern und entspringt dem sexistischen Anspruch an weibliche* Personen, in vollendeter und ewiger Mütterlichkeit, das eigene Wohl immer dem der anderen hintenanzustellen.
Endzeit mag also vielleicht Fans des Zombie-Kinos eher enttäuschen, ist aber auf verschiedenen Ebenen ein erfrischender Angriff auf patriarchale Strukturen. Denn auch der Bruch mit den Konventionen eines bis dato männlich* dominierten Genres wie dem Zombie-Film darf als feministischer Akt verstanden werden. Insofern ist Endzeit nicht nur inhaltlich, sondern auch stilistisch emanzipatorisch wertvoll. Und vielleicht kann der Film – ganz wie es sich für die Apokalypse gehört – auch eine neue Ära einläuten. Nicht unbedingt die Zombie-Karriere des deutschen Films, aber doch die der mutigen Abzweigungen vom audiovisuellen Einheitsbrei in unseren Kinos.
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