Ich mache Filme über Menschen – Ein Interview mit Sylke Enders
Die Filmregisseurin, Drehbuchautorin und Produzentin Sylke Enders wurde 1965 in Brandenburg an der Havel geboren. Nachdem sie zuerst Soziologie, dann Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und schließlich, an der Film- und Fernsehakademie Berlin, Regie studiert hatte, erschien 2003 ihr Spielfilmdebüt Kroko, das unter anderem mit dem Deutschen Filmpreis in Silber ausgezeichnet wurde. Es folgten die Dramen Hab mich lieb! (2004) und Mondkalb (2007), sowie verschiedene Fernseh- und Kurzfilme. Enders Figuren sind oft gesellschaftliche Außenseiter_innen und leben von ihren Widersprüchen, ihre Filme sind gerade in ihrer Gewöhnlichkeit sehr besonders. Das gilt auch für Schönefeld Boulevard, ihr neues Werk, das ab heute in den deutschen Kinos zu sehen ist. Der Film erzählt die Geschichte der in Berlin lebenden Abiturientin Cindy. Vor dem Hintergrund des internationalen Flughafens, in dessen Nähe sie wohnt, lernt sie durch die Beziehung zu einem älteren Mann viel über sich selbst und die Welt, in der sie lebt.
Wie kamst Du auf den Schauplatz Berlin Schönefeld?
Enders: Ich bin oft mit meinen Eltern, damals noch mit dem Trabant, dort vorbei gefahren. Irgendwann habe ich diese Reise per Zufall mit dem Auto wiederholt und bin dort hängen geblieben. Dieser merkwürdige, langgezogene, durch eine große Straße geteilte Ort ist schon sehr bizarr. Da kommen bestimmte Stimmungen hoch. Dann habe ich diese Motels gesehen und dachte: Mein Gott, ist das einsam! Und so fühlt man sich vielleicht auch in diesem Ort.
Worum ging es Dir bei der Figur der Cindy?
Die Frage war: Durch welchen Katalysator kann eine solche Figur, die gewissermaßen durch die Demütigungen in ihrem Umfeld gehemmt ist, so aktiv werden? Sie missdeutet den längeren Blick des älteren Mannes aus Finnland und stürmt dann mit Volldampf, Karacho und Naivität in sein Hotelzimmer. Was ist es, das ihr Futter gibt, damit sich kleine Dinge verändern und sie sich mehr traut? Es ist ja oft so, dass wir sichtbare Schwächen wie Korpulenz unüberlegt kommentieren. Dinge wie „Fetti“ oder „Rosinenbomber“, die so beiläufig sind, dass man sich der Verletzung nicht bewusst ist. Und erst wenn derjenige vielleicht doch mal verlauten lässt, dass das etwas mit ihm macht, dass es weh tut, dann passiert etwas.
Es sind ja nicht nur die Eltern von Cindy, die recht grausam mit ihrem Kind umgehen, sondern auch Dannys Stiefmutter. Ist das ein Thema, das Dir wichtig ist?
Anders gefragt: Wieso kenne ich so viele Menschen – egal welchen Alters – die sich so viel mit ihrer Herkunft und mit dem schwierigen Verhältnis zu ihren Eltern auseinandersetzen? Wieso gibt es so viele Menschen, die irgendwohin flüchten oder die Familie durch einen Freundeskreis ersetzen? Das ist es, was mich interessiert. Trennung, Verlustängste, pädagogische Konzepte, die dann doch nicht aufgehen. Was ist Liebe und worin zeigt sie sich? All diese Fragen. Darum wird es sicher auch in meinen nächsten Filmen gehen.
In Schönefeld Boulevard geht es auch viel um die Bewertung von außen. Cindy erlebt ein sexuelles Erwachen und wird umgehend als Nutte abgestempelt.
Wenn jemand aus der Herde ausbricht, wird es für die anderen, die vermeintlich die Zügel in der Hand halten, schwierig. Sie werden auf sich selbst zurückgeworfen. Aber anstatt in sich zu gehen, werten sie Cindy ab. Das ist ja das interessante an der Figur, dass sie im Grunde dazu herhalten muss, die anderen von sich selbst abzulenken.
Dein Film ist unheimlich reich an schweren Themen. Ist das für Dich wichtig? Soll Kino genau das leisten?
Die Antworten auf diese Fragen und viele weitere gibt es im Originalinterview bei kino-zeit.de
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