Ein Sommer in der Provence

Am Ende des Sommers, wenn die Tage schon wieder kürzer werden und wir uns langsam aber sicher auf Herbst und Winter einstellen müssen, entführt uns Regisseurin Rose Bosch noch einmal in die sommerliche Provence, wo – zumindest in ihrem Film Ein Sommer in der Provence – immer die Sonne scheint. Farbenfroh und lichtdurchflutet präsentiert sich der Süden Frankreichs hier in seinem besten Gewand, fast als wolle sich die Region mit diesem Film als Urlaubsziel des Jahres anpreisen. Hinter diesem Bilderbuchsetting verbirgt sich die aufrichtige Liebe der Regisseurin zum Ort ihrer Kindheit, der zugleich auch eine Wahlheimat ihres Schauspielers Jean Reno darstellt.

Reno schlüpft in die Rolle eines vergrämten Großvaters, der nach 17 Jahren währender Familienfunkstille plötzlich seine Enkelkinder über die zweimonatigen Sommerferien beherbergen soll. Während seine Frau Irène (Anna Galiena) durch regelmäßige Besuche im fernen Paris zu den Enkel_innen bereits ein inniges Verhältnis pflegt, entspinnt sich zwischen Großvater Paul und den Teenagern Léa (Chloé Jouannet) und Adrien (Hugo Dessioux) ein erbitterter Generationenkampf. Es ist der siebenjährige taubstumme Théo (Lukas Pelissier), der hinter Pauls harter Schale als erstes den liebevollen Opa entdeckt. Doch um schließlich wieder eine Familie zu werden, müssen Jung und Alt noch so manche Hürde überwinden.

© Concorde

Sound of Silence begleitet die ersten Bilder dieses Films, die den taubstummen Théo auf der Zugfahrt in den Süden zeigen. Der bekannte Song von Simon & Garfunkel ist nicht einfach nur eine verträumte musikalische Einleitung, sondern verweist bereits auf zahlreiche Aspekte des folgenden Films. Zum Einen ist es die im Songtitel benannte Stille, die sowohl hinsichtlich Théos Hörbehinderung wie auch der fehlenden Kommunikation in der Familie eine große Rolle für den Verlauf der Geschichte spielt. Zudem wird Adriens Schwärmerei für eine deutlich ältere Eisverkäuferin durch die Assoziation des Liedes mit Mike Nichols Die Reifeprüfung angedeutet. Vor allem aber ist diese Liedauswahl in Zusammenhang mit den Figuren der Großeltern zu betrachten, die sich wenig später als ehemalige Hippies erweisen, deren Reisen durch die Welt die Enkel zum Staunen bringen.

Leider stellt dieser dritte Aspekt eines der größten Probleme des Films dar. Ein Sommer in der Provence bedient sich bei der Zusammenstellung seiner Figuren zahlreicher Klischees, von denen das der in die Jahre gekommenen Blumenkinder mit Abstand die stärkste Überzeichnung beinhaltet. Wenn Paul und Irène mit ihren ehemaligen Weggefährten bei Wein und Marihuana zusammensitzen, von Woodstock berichten und auf der Gitarre die Lieder ihrer Jugend rekapitulieren, verströmt diese Szenerie statt romantischer Nostalgie vielmehr einen unangenehmen Fremdschämfaktor. Rose Bosch gelingt es leider nicht, ihre persönliche Beziehung zu Handlung und Spielort authentisch zu transportieren und verliert sich in komödiantischen Übertreibungen, die ihren Figuren die Glaubwürdigkeit raubt.

Selbiges trifft auch auf die beiden Teenager zu. Léa als alternatives Öko-Mädchen mit Rastazöpfen, die sich vegetarisch ernährt und auf fair gehandelte Produkte besteht, ist ein ebensolches Klischee wie Computernerd Adrien, dessen mit eben jenem Modebegriff betiteltes T-Shirt die stereotype Charakterzeichnung unnötig unterstreicht. Auch das Overacting von Hugo Dessioux, der in Frankreich mit YouTube-Sketchen Berühmtheit erlangte, beeinträchtigt die Glaubwürdigkeit seiner Figur: Adrien wirkt vornehmlich wie die Persiflage eines Teenagers. Völlig unklar bleibt auch Léas Transformation vom modernen Hippie-Mädchen zum austauschbaren Girlie. Ihr Adoleszenzprozess, der maßgeblich durch den Urlaubsflirt mit dem deutlichen älteren Frauenhelden Tiago (Tom Leeb) angetrieben wird, erfährt dadurch eine bedauerliche Deckelung, da sie im Laufe der Geschichte ihre Individualität und Überzeugungen verliert, anstatt diese auf dem Weg zum Erwachsensein zu festigen oder weiterzuentwickeln.

Die offensichtlich familienfreundlich gestaltete Handlung gleicht sich zu sehr dem Bilderbuchsetting der Provence an. Ernstzunehmenden Problemen ihrer Figuren begegnet Rose Busch mit romantisierten Patentlösungen, die jeglichen Realismus entbehren. Der Vorwurf richtet sich hier nicht gegen das märchenhafte Wohlfühlkino als solches, sondern gegen das problematische Verhältnis von Inhalt und Inszenierung: Die schweren Themen von Alkoholsucht und (versuchter?) Vergewaltigung können inmitten dieser sommerlich leichten Familienkomödie schlichtweg keine angemessene Behandlung erfahren.

Ein Sommer in der Provence fehlt es an Herz und Selbstironie. Die sonnendurchfluteten Bilder von Olivenhainen und lebenslustigen Dorffesten bleiben in ihrer Übertreibung seltsam künstlich und gestelzt. Das gilt auch für die Liebesgeschichte zwischen Léa und Tiago. Spätestens wenn die beiden auf einem weißen Pferd am Strand dem Sonnenuntergang entgegenreiten, macht die Romantik der jungen Liebe unfreiwilliger Komik Platz. Rose Boschs Versuch, zwei Generationen nebeneinander zu stellen und die Bedeutung der Großelterngeneration für die heutige Jugend zu demonstrieren, schlägt fehl. Zu eindimensional sind ihre Figuren, zu klischeehafte ihre Probleme und zu simpel die präsentierten Lösungen. Nur eins gelingt Ein Sommer in der Provence souverän: Nach diesem Film wollen wohl alle Zuschauer_innen den nächsten Urlaub unbedingt in Südfrankreich verbringen. Ob nun bewusst oder unbewusst, ist somit zumindest das Marketing aufgegangen.

Sophie Charlotte Rieger
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