FFHH 2018: Firecrackers

Es ist vielleicht etwas klischeebeladen, eine wütende Frauen*figur rothaarig zu besetzen. Andererseits sehe ich auch meine eigene leuchtende Haarfarbe als subtile Kampfansage. Und so ist es vielleicht nur konsequent, dass die wallenden Haare von Lou (Michaela Kurimsky), der Hauptfigur in Firecrackers, immer wieder teuflisch rot in der Sonne aufblitzen. Denn Lou ist wütend, womit sie nicht hinterm Berg hält. Das stößt in ihrem sozialen Umfeld auf wenig Gegenliebe. Vor allem die Männer* sind der Meinung, sie wäre doch hinter der Fassade sicher eigentlich eine ganz Liebe. Und auch ihre Mutter hat wenig Verständnis dafür, wenn Lou mal wieder mit Spuren eines ausgiebigen Nahkampfs nach Hause kommt.

Aber Lous Gegenwehr beschränkt sich nicht auf ihre ungezügelten Fäuste. Sie ist grundsätzlich nicht die Sorte Mensch, die sich mit Unerfreulichem abfindet. Tatenlosigkeit ist nicht ihr Ding. Und deshalb möchte sie jetzt nach der Schule mit ihrer besten Freundin Chantal (Karena Evans) und Kumpel Josh (Scott Clenad) ihr kleines kanadisches Nest verlassen und nach New York gehen. Doch ein unbedachter Kommentar bezüglich dieses Plans tritt eine unheilvolle Kette von Ereignissen los…

© Seville International

Firecrackers ist ein Film über Freundinnenschaft, über das Erwachsenwerden und über das Frau*sein in einer von toxischer Männlichkeit* geprägten Welt. Mit Lou und Chantal stellt Regisseurin Jasmin Mozaffari in ihrem Langfilmdebut zwei Frauen* einander gegenüber, die dieser Realität mit unterschiedlichen Strategien begegnen. Die betont wacklige Handkamera, die zeitweise echten Schwindel auslöst, unterstreicht dabei die Orientierungslosigkeit und auch Verzweiflung der beiden Heldinnen, die – von jugendlicher Emotionalität angestachelt – ihren einzigen Hoffnungsschimmer zu verlieren fürchten.

So richtig neu ist diese Geschichte nicht. Das liegt auch an der zum Teil stereotypen Charakterzeichnung, die trotz eindeutig feministischer Absicht andere „ismen“ perpetuiert. So zeichnet sich Lous prekäre Lebenssituation natürlich durch eine überforderte, lieblose Mutter aus. Chantal wiederum ist im Kern-Ensemble des Films die einzige Person of Color, da sie geschickter Weise ohne Eltern bei ihrer weißen Tante lebt. Lange wirken auch die durchgehend verachtungswürdigen jungen Männer* der Geschichte bedauerlich eindimensional – als gäbe es in der Welt keine Alternative zu toxisch-männlichem Gehabe.

Neben diesen Kritikpunkten aber ist Firecrackers auch auf eine bezaubernde Weise die weibliche* Handschrift der Regisseurin anzumerken. Das zeigt sich in kleinen Details, wie beispielsweise der Tatsache, dass trotz mehrerer Sexszenen kein einziger nackter weiblicher* Körper zu sehen ist. Überhaupt werden Lou und Chantal nur dann durch den Blick der Kamera sexualisiert, wenn sie sich als sexuelle Akteurinnen selbst auf diese Weise in Szene setzen. Ein Erlebnis mit sexualisierter Gewalt wird nur angedeutet, statt visuell auserzählt, die emotionalen Konsequenzen für die betroffene Frauen*figur sichtbar gemacht, ohne sie zum Opfer zu degradieren. Und dann ist da noch die Nebenhandlung über Lous jüngeren queeren Bruder Jesse (Calloum Thompson), die das Portfolio möglicher Geschlechtsidentitäten auf eine sehr subtile und angenehm selbstverständliche Weise erweitert.

© Seville International

Und schließlich taucht sie dann doch noch auf: die Alternative zu toxischer Männlichkeit*. Weit entfernt von Schubladendenken begegnet Jasmin Mozaffari dem Thema mit großem Respekt und macht den schwierigen Prozess der Suche nach einer alternativen männlichen* Identität sichtbar. Sie ermöglicht Empathie und liefert zugleich eine Vorbildfigur, ohne sie auf einschüchternde Weise zu überhöhen. Fehlbarkeit ist kein Verbrechen, aber Verantwortung für die eigenen Taten ist unerlässlich.

Und ähnlich verhält es sich auch mit Lou, die im Zuge dieser Geschichte mitnichten alles richtig macht, sondern die Abwärtsspirale, in der sie sich mit Chantal verliert, sogar noch einmal richtig ankurbelt. Am Ende aber ist sie es, die ihre Unabhängig- und Selbstwirksamkeit begreift, die versteht, dass sie ihrer Situation nur dann entkommen kann, wenn sie den Absprung aus eigener Kraft und ohne männliche* Hilfe schafft. Fast droht daran ihre Freundinnenschaft zu Chantal zu zerbrechen, doch dann findet Firecrackers doch noch ein emanzipatorisch wertvolles und frauen*solidarisches Ende.

Voll und ganz überzeugt hat mich diese kleine Coming of Age Geschichte rein filmisch allerdings nicht. Weniger hektisch wackelnde Handkamerabilder und mehr Hingabe zur Bildlichkeit des Kinos, hätten der Ästhetik des Ganzen beispielsweise gut getan. Auch das Handlungskonzept als solches hat in meinen Augen einfach zu wenig Neues oder Originelles zu bieten, um dem Film einen echten Wiedererkennungswert zu verleihen. Aber vielleicht ist das auch okay. Vielleicht darf es auch durchschnittliche emanzipatorisch wertvolle Coming of Age Filme geben. Denn entsprechende männlich* zentrierte Geschichten gibt es ja schließlich auf allen Qualitätsstufen zur Genüge.

Sophie Charlotte Rieger
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