DOK Leipzig 2020: Von Kraft und Last auf Mädchenschultern

In diesem Jahr präsentierte das DOK Leipzig sein abwechslungsreiches Programm aus Filmvorführungen, Diskussionen und Veranstaltungen in hybriden Formaten. Eine Woche lang liefen Dokumentar- und Animationsfilme in Leipziger Kinos, noch bis zum 11. November sind sie online zu sehen. FILMLÖWIN hat einen ersten Eindruck zu Mayye Zayeds Lift like a girl und Children von Ada Ushpiz für euch – zwei Dokumentarfilme aus dem arabischen Raum, die unterschiedliche Formen weiblicher Stärke portraitieren.

© DOK Leipzig 2020/LIFT LIKE A GIRL

Lift like a girl

Auf den ersten Blick ist Lift like a girl ein Sportfilm. Filmemacherin Mayye Zayed beobachtet Asamaa Ramadan auf ihrem Weg zur Gewichtheberin mit internationalem Wettkampfniveau. Über einen Zeitraum von vier Jahren portraitiert Zayed die ägyptische Sportlerin beim Training und bei Wettkämpfen. Sie blendet Asmaas familiären Hintergund, ihre Lebensumstände außerhalb des Sport vollkommen aus und zeichnet dennoch ein einfühlsames und vielschichtiges Bild.___STEADY_PAYWALL___

Asmaa trainiert auf einer Brache mitten in Alexandria. Die eingestaubten Trainingsgeräte aus zweiter Hand haben so gar nichts mit den allgemeinen Vorstellungen von Leistungssportzentren gemein. Mayye Zayed greift die Atmosphäre des Trainingsgeländes auf. Ständig sind laute Hintergrundgeräusche vom Straßenverkehr oder scheppernden Gewichten zu hören, die zu Boden fallen.

© DOK Leipzig 2020/LIFT LIKE A GIRL

Captain Ramadan leitet das ungewöhnliche Training. Er gilt als Begründer des weiblichen Gewichthebens in Alexandria, das bereits mehrere Champions hervorbrachte. Der Captain findet, Jungs zu bevorzugen sei altmodisch. “Man up”, feuert er seine Zöglinge unabhängig von ihrem Geschlecht an. Er ist streng, ein bisschen verrückt und bringt Asmaa zu Höchstleistungen. Die besondere Beziehung zwischen der Sportlerin und ihrem Trainer, der beinahe wie ein Vater für sie ist, steht im Zentrum von Lift like a girl.

© DOK Leipzig 2020/LIFT LIKE A GIRL

Durch die Fokussierung auf den Sport macht Mayye Zayed die Bedeutung des Gewichthebens für die Mädchen in Alexandria erlebbar. Asmaa und die anderen Protagonistinnen des Films finden auf dem improvisierten Trainingsgelände ihre eigene Stärke und eine noch stärkere Gemeinschaft. Daraus entsteht eine Kraft, die aufs Publikum überspringt. Lift like a girl feiert weibliches Empowerment und verdient das Prädikat emanzipatorisch wertvoll.

Children

Die israelische Filmemacherin und Journalistin Ada Ushpiz geht in ihrem neuen Film Children der Frage nach, warum sich vermehrt Kinder an den palästinensischen Aufständen (Intifada) gegen Israel beteiligen. Mehrere Jahre begleitete Ushpiz drei palästinensische Mädchen und ihre Familien. Dima, Dareem und Janna leben im Westjordanland, Israelis erleben sie ausschließlich als Besatzer:innen.

Children beginnt mit der Entlassung der 12-jährige Dima al-Wawi aus dem Gefängnis. Sie hatte versucht einen israelischen Sicherheitsbeamten zu erstechen. Bei ihrer Verhaftung sagte sie, sie sei gekommen um die Juden zu töten. Jetzt ist sie still, obwohl die Reporter und ihre Eltern sie dazu aufrufen eine Botschaft an das palästinensische Volk und die Weltöffentlichkeit zu richten. Zuhause empfängt die Familie Dima mit bunten Luftballons und der Flagge der islamistischen Hamas. Schon in dieser Eingangsszene ist ein enormer Druck spürbar, der auf dem Mädchen lastet. Märtyrer:innen erfahren in Dimas Welt Anerkennung.

© DOK Leipzig 2020/CHILDREN

Anders als die Journalist:innen der arabischen Fernsehsender fordert Ada Ushpiz keine politischen Statements. Sie gibt Dima viel Raum, begleitet sie ohne sie zu bedrängen. Im Verlauf des Films entwickelt sie ein Vertrauensverhältnis, welches persönliche und differenzierte Einblicke in Dimas Motivationen gewährt. Dabei entsteht das Bild einer traumatisierten und zutiefst verunsicherten Teenagerin, bei der die Propaganda der Hamas wirkt.

Nach dem Erfolg ihres Films Eingeschlossen, wählt Ada Ushpiz erneut intime Portraits als Zugang zum Nahostkonflikt. Anhand ihrer Protagonist:innen bildet Ushpiz die Ambivalenz von palästinensischen Kindern als Opfer und als Täter:innen ab. Sie zeigt die Indoktrinierung und Instrumentalisierung von Kindern im israelisch-palästinensischen Konflikt und nimmt sie zugleich als Akteur:innen ernst. Ushpiz’ erklärtes Ziel ist es, der Enthumanisierung palästinensischer Kinder als Terrorist:innen entgegen zu wirken. Children konzentriert sich bewusst auf die Empfindungen und Erlebnisse der palästinensischen Protagonist:innen. Diese zu hinterfragen und kritisch einzuordnen obliegt dem Publikum.

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