Glitzer & Staub

Von allen Sportarten, die wir geschlechterstereotyp weiblich oder männlich assoziieren, ist Bullen- und Rodeoreiten auf der Liste der „Männersportarten“ für die meisten Menschen wohl mit Sicherheit ganz weit oben – vielleicht gleich hinter Baumstammweitwerfen. Und in der Regel tummeln sich in dieser Disziplin auch tatsächlich hauptsächlich SportlER. Aber keine Regel ohne Ausnahme – nicht mal, wenn es um bockende Bullen geht: In ihrem Dokumentarfilm Glitzer & Staub portraitieren Anna Koch und Julia Lemke vier US-amerikanische Nachwuchsreiterinnen, zwischen 9 und 17 Jahren.

Ganz anders als es der Titel vielleicht vermuten ließe, nehmen sich die Filmemacherinnen ihrem Thema mit großer Natürlichkeit an: Da ist deutlich mehr Staub als Glitzer in den unkommentierten Aufnahmen des Alltags der vier Mädchen und ihrer Familien, keinerlei pathetische Überhöhung, sondern ein direkter und betont respektvoller Zugang zu den Menschen vor der Kamera. Koch und Lemke wollen nicht urteilen – weder über die Lebensumstände der Familien, noch über die Legitimität des Rodeosports, noch darüber, ob er sich für Kinder dieser Altersgruppe eignet. Das zeigen sowohl die Materialauswahl wie auch die Montage von Carlotta Kittel deutlich: Glitzer & Staub will weder Drama noch Pathos konstruieren, sondern abbilden.

© Julia Lemke / Port au Prince Pictures

Diese Natürlichkeit verhindert eine Skandalisierung des Themas gleich doppelt. Indem die Bilder ausschließlich durch die Protagonist:innen aus der Rodeo Community kommentiert werden, erlangt der dargestellte Sport große Selbstverständlichkeit. Der Film macht die Gefahren sichtbar, ohne sie durch die Auswahl besonders brenzliger Szenen beziehungsweise ihre dramatische Inszenierung zu betonen. Gleichzeitig vermeiden Koch, Lemke und Kittel mit dieser Herangehensweise auch eine Überhöhung der vier Sportlerinnen als „taffe Mädchen“ in einem „Männerbusiness“ und damit automatisch die Betonung ihres Geschlechts. Denn auch das wäre im Grunde nur ein Fortschreiben sexistischer Denkstrukturen, die bullenreitende Mädchen außerhalb der Norm und als Sonderlinge stilisieren. Es ist einfach überhaupt nichts Besonderes dabei, als Mädchen auf einem Bullen zu reiten – so das erfrischende Fazit, das die Filmemacherinnen dem Publikum hier ans Herzen legen. Altraykia, Tatyanna, Ariyana und Maysun sind keine überlebensgroßen Held:innen, sondern – wie alle anderen in diesem Sport auch – körperlich fitte, mutige und risikobereite Menschen.

Aber ja, sie sind auch Mädchen, die sich in einem männlich dominierten Umfeld durchsetzen. Und dass sie auf ihrem Weg zu Ruhm und Rodeo-Ehre größere Hürden überwinden müssen, als ihre Mitstreiter, verschweigt Glitzer & Staub dann doch nicht. „Sie müsste die Spielregeln verändern“, sagt Aryanas Mutter über den Traum ihrer Tochter, die gerne bis in die Spitzenliga des Bullenreitens aufsteigen möchte. Dieser besonderen Herausforderung sind sich die Mädchen ebenso bewusst wie den skeptischen Blicken ihrer Schuldfreund:innen. Und doch entwickelt sich aus der Sichtbarmachung sexistischer Strukturen und sozialen Ausgrenzung in Glitzer & Staub kein Drama, das die vier jungen Protagonistinnen in eine für das spürbare emanzipatorische Ansinnen des Films kontraproduktive Opferposition rücken könnte.

© Julia Lemke / Port au Prince Pictures

Der Verzicht auf Dramatisierung und Emotionalisierung hat letzten Endes dann aber doch auch Nachteile für den Film. Neben der großen Selbstverständlichkeit, die Glitzer & Staub durch seine nüchterne Inszenierung und neutrale Haltung erreicht, schafft er zugleich auch Distanz zu seinen Hauptfiguren. Altraykia, Tatyanna, Ariyana und Maysun bleiben dem Filmpublikum weitgehend fremd, sind vornehmlich als Sportlerinnen, aber nur in Ausnahmefällen als Menschen mit komplexen Emotionen und Persönlichkeiten erfahrbar. Im dokumentarischen Balanceakt zwischen respektvoller Distanz und Entfremdung schwanken Koch, Lemke und Kittel zu stark in die zweite Richtung. So aber kann Glitzer & Staub seine Protagonistinnen letztlich auch nicht als Identifikationsfiguren oder Sympathieträgerinnen präsentieren. Dafür fehlt es an einem emotionalen Zugang zu jenem Teil ihrer Persönlichkeit, der nicht wild entschlossen und furchtlos auf einem wütenden Vierbeiner reitet.

Auch in der Dramaturgie hätten ein wenig mehr Anknüpfungspunkte gut getan. Eine Narration bietet Glitzer & Staub nur im Ansatz und bleibt stattdessen mehrheitlich reine Beobachtung. Da gibt es keinen anstehenden Wettkampf oder große persönliche Entscheidungen, die auch im dokumentarischen Format einen Spannungsbogen ermöglichen würden. Lediglich im Fall von Newcomerin Altraykia zeichnet der Film eine kleine Entwicklung nach. Auch in dieser Hinsicht ist die Natürlichkeit wieder eine zweischneidige Angelegenheit: Auf der einen Seite Unmittelbarkeit und Lebensnähe, auf der anderen die Schwierigkeit, an Ereignisse und Personen emotional anzudocken, eine Beziehung aufzubauen und Interesse für ihre Geschichte zu entwickeln.

© Julia Lemke / Port au Prince Pictures

Vielleicht ist Glitzer & Staub aber eben auch einfach nicht so ein Film. Nicht so ein Film, der uns für etwas begeistern will, was eigentlich selbstverständlich sein sollte, nämlich das Mädchen dem Sport nachgehen, der in ihrer Familie nun einmal Tradition hat. Kein Film, der uns in Anbetracht extremer Risikosituationen den Atem anhalten und damit letztlich auch eine Form der Lebensgefahr feiern lässt, die untrennbar mit den toxischen Anteilen zeitgenössischer Männlichkeiten verknüpft ist. Glitzer & Staub gibt weder eine Glorifizierung noch eine Kritik des Bullenreitens vor, weder eine Glorifizierung der Sportlerinnen noch eine Kritik an ihrer Hobbywahl. Sehr wohl aber machen die Filmemacherinnen subtil das Angebot, den Rodeosport als Teil eines zeitgenössischen Männlichkeitsideals zu hinterfragen: Sollten sich Mädchen und Frauen die (sportliche) Kultivierung von Lebensgefahr überhaupt als Maßstab für Stärke aneignen? Oder ist die fehlende Verletzlichkeit der vier Mädchen und die hierin resultierende Distanz, in der sie sich zu uns aufhalten, vielleicht nur die logische Konsequenz aus jener behaupteten Unbesiegbarkeit, die ihnen als Cowgirls abverlangt wird?!

Kinostart: 29. Oktober 2020

Sophie Charlotte Rieger
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