FILMLÖWINkino: Quoten Schoten – Die never ending Quoten-Story

Ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen wird seit Ewigkeiten diskutiert, ohne dass eine einvernehmliche Lösung in Sicht wäre oder sich auch nur etwas bewegt. Andere Dauerbrenner sind beispielsweise die Frage, ob 12 oder 13 Schuljahre die bessere Ausgangsbasis für ein erfolgreiches Berufsleben sind. Achja, und natürlich der Streit um eine angemessene Repräsentanz von Frauen in politischen Gremien, Aufsichtsräten, in Filmproduktionen vor und hinter der Kamera, in Redaktionen, Talkshows und Sprache und und und. Stichwort Quote.

Plastikfiguren in rosa, blau und grün - brauchen wir eine Quote für diverse Filmfiguren?

© Belinde Ruth Stieve

Kompromisse können bei Entweder-Oder-Kontroversen meist nur faul sein – ein Tempolimit von 180 km/h? 12,5 Jahre bis zum Abi? Eine Frauenquote von 20 %? Zum Glück helfen oft Zeit und der stete Tropfen, Veränderungen herbeizuführen. Manchmal auch der Zufall oder eine Katastrophe – wie 2011 das Reaktorunglück von Fukushima, das nebenbei unverhofft die Abschaltung deutscher AKWs vorantrieb.

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Ich glaube nicht, dass es auf absehbare Zeit in der Frage nach größerer Sichtbarkeit und Beteiligung von Frauen, die immerhin 52 % unserer Bevölkerung ausmachen, zu einem Konsens, einer einver­nehmlichen Einigung kommen wird. Aber ist das notwendig? Wat mutt, dat mutt. Wir haben das Grundgesetz mit seinem Artikel 3, wir haben Initiativen, Verbände und Bewegungen, haben politische Vertreter:innen, Medien, Intellektuelle, Hinz und Kunz und Henriette und Konradine, die sich für Gleichberechtigung und gerechte Teilhabe stark machen. Geschlechtergerechtigkeit ist eine Frage des Wann und nicht des Ob.

Die Sache mit dem Reizwort

Schade finde ich, wenn nicht über Inhalte und Lösungen sondern Worte gestritten wird. Es gibt Begriffe, die sich zum Reizwort entwickelt haben, die selbst für Unbeteiligte negativ besetzt sind und Gegner:innen Rot sehen lassen. Wie das Wort Quote. Komposita wie z.B. Quotenfrau werden nur als Herabwürdigung benutzt, wie es jüngst Rafaela von Bredow und Veronika Hackenbroch in ihrem Spiegelinterview mit der Virologin Frau Prof. Dr. med. Sandra Ciesek demonstrierten.

Wenn ich also will – weil es das Beste ist -, dass der Frauenanteil in Filmcrews erhöht und dafür eine verpflichtende Zielgröße festgeschrieben wird, aber auf „Quote!“ nicht die gewünschte Reaktion kommt, dann sage ich eben „Chancengleichheit“, oder „Proporz“ (kennen wir von Länderproporz) oder „Parität“ (das benutzen die Grünen für ihren Listen und Posten seit 1983) oder „(An-)Teil“ (wie beim Verteilen einer Beute oder eines Kuchens). Oder einfach „Publikumsmagnet“.

Frauen und andere Minderheiten

Es ist erstaunlich, wie viele Menschen eine in allen Ebenen vorhandene Benachteiligung von Frauen für erledigt erklären. Wie damals die Piratenpartei, die ihre fast komplett männliche Zusammensetzung, Vertretung und Entscheidungsebene ,postgender‘ nannte.

Natürlich gibt es mehr als nur eine Dimension von Vielfalt und von Diskriminierung – das macht die Genderkategorie aber nicht obsolet. Frauen sind nach wie vor benachteiligt. Deshalb müssen „Genderunddiversity“ geschickt zusammengedacht und nicht gegeneinander ausgespielt werden. Denn viele Beispiele zeigen: Bemühungen um Diversität gehen oft zu Lasten der Frauen. Wo ihr Leinwandanteil ohnehin schon kleiner ist als der von Männern, sind beispielsweise nicht-weiße Frauen noch stärker unterrepräsentiert. Und ältere Frauen. Und Frauen mit einer Behinderung. Und homosexuelle Frauen… Da wo auf Vielfalt geachtet wird, gilt sie oft nur für Männer. Nicht zuletzt, weil es zu wenig Frauenfiguren gibt.

Das bestätigt auch die neueste Studie von Prof. Elizabeth Prommer. Ihre Analyse des internationalen Programms von Streamingdiensten ergab, dass dort die Frauenrollen ähnlich unzureichend sind wie in Kino und Fernsehen weltweit. Traditionell-stereotype weibliche Figuren, doppelt so viele Männer- wie Frauenrollen, ab 40 eine deutliche Abnahme der Frauenrollen. Und das, obwohl internationale gestreamte Formate häufig sehr diverse Casts aufweisen.

 

NEROPA - Eine Alternative zur Quote?

© Belinde Ruth Stieve

 

Die Welt ist bunt und vielfältig und die Hälfte sind Frauen

Zu wenig Frauenfiguren und mangelnde Diversität in den Narrativen von Film und Fernsehen wirken sich auch auf die gesell­schaftliche Realität aus. Es fehlen Vorbilder, Inspiration und Reibung – für alle Geschlechter, jung und alt.

Bis Filme und Serien, Kino- und Fernsehproduktionen ganz selbstverständlich keine Männersache mehr sind, gilt es, unseren Blick zu schärfen und das Vorhandene besser und bunter zu machen. Wir sollten anstreben, die Produktionen in die Hände von Frauen und Männern jeglicher Couleur zu geben. Und natürlich auch die Stoffe zu verbessern, die Autor:innen mit Eifer, Herzblut und Mühe bereits entwickelt und geschrieben haben, um so weniger Einseitigkeit und mehr Veränderung vor der Kamera zuzulassen.

Hierfür habe ich NEROPA Neutrale Rollen Parität erfunden. Eine neue, einzigartige Methode, dem Rollenungleichgewicht zwischen den Geschlechtern in fiktionalen Formaten systematisch entgegenzusteuern – niedrigschwellig, nicht-invasiv und mit überschaubarem zeitlichen und finanziellen Aufwand. Außerdem wird die Diversität in der Besetzung vergrößert und das Bewusstsein der Beteiligten sensibilisiert und geschärft.

Im Kern steht das Konzept der Neutralen Rollen: Figuren die männlich geschrieben aber dramaturgisch nicht männlich sein müssen, werden abwechselnd in Frauen und Nicht-Frauen umgewandelt und so – ohne Veränderung der Handlung und Intention – ein größerer Frauenanteil mit größerer Vielfalt (Alter, Beruf, Charisma und mehr) erreicht.

Im Anschluss können Caster:innen den Auftrag und die Erlaubnis erhalten, durch ihre konkreten Vorschläge von Schauspielerinnen und Schauspielern die Besetzung über die Figurenbeschreibungen im Drehbuch hinaus noch weiter zu diversifizieren und für mehr Beteiligung unterrepräsentierter Bevölkerungsgruppen zu sorgen. Wenn Setting, Story und Figuren es erlauben könnte der Cast so bunt und vielfältig werden wie die Welt um uns, in Bezug auf Alter, Größe, Ethnizität, Körperlichkeit, Hautfarbe, Sexualität, (Nicht-)Behinderung, Schwangerschaft, Akzent / Dialekt und mehr.

Der NEROPA-Ansatz kann auch bereits in der Stoffentwicklungsphase und beim Drehbuchschreiben angewandt werden, um möglichen Einseitigkeiten entgegenzusteuern.

Anmeldung für meinen NEROPA-Workshop im FILMLÖWINkino am 14. November über (workshops@filmloewin.de), es gibt eine Warteliste. Der nächste digitale NEROPA-Workshop ist bereits in Vorbereitung.

Über die Gast-Löwin

© Lutz Aidele

Die Hamburger Schauspielerin und Sprecherin Belinde Ruth Stieve arbeitet seit 2013 neben ihrer Arbeit vor der Kamera und am Mikrofon als unabhängige Empirikerin und Expertin. Sie analysiert und kommentiert schwerpunktmäßig die Situation von Frauen vor und hinter der Kamera in deutschen Film- und Fernsehproduktionen. Ihre empirischen Stichprobenanalysen sind umfassend, verlässlich und in der Branche anerkannt.

http://neropa.stieve.com/
http://schspin.stieve.com/