Berlinale 2020: Wagenknecht

Zum Schutze ihrer Gesundheit, so sagte sie zumindest, verkündete Sahra Wagenknecht 2019 nicht mehr für den Fraktionsvorsitz der Linken zu kandidieren. Schon damals war jedoch klar, dass dieser Rückzug auch im Zusammenhang mit den innerparteilichen Konflikten stand, denen Wagenknecht insbesondere nach der Bundestagswahl 2017 ausgesetzt gewesen war. Es ist genau dieser Zeitraum, den Regisseurin Sandra Kaudelka für ihr dokumentarisches Portrait wählt: Wagenknecht beginnt mit dem Wahlkampf 2017 und endet mit dem Rückzug der Politikerin aus dem Fraktionsvorsitz.

Passend zum Titel des Films interessiert sich Kaudelka dabei zu keinem Zeitpunkt für die private Sahra und grundsätzlich nur für die berufliche Person Frau Wagenknecht. Bis auf zwei Ausnahmen tritt die Protagonistin in diesem Film daher auch niemals in ihrem häuslichen Umfeld auf und die Ehe mit Oscar Lafontaine spielt schlicht und einfach keine Rolle. In dieser Hinsicht ist Kaudelkas Frauenportrait wahrlich erfrischend.

Sahra Wagenknecht auf der Rückbank eines Autos. Sie schaut aus dem Fenster.

© Michael Kotschi

Aber vielleicht geht es der Regisseurin auch gar nicht so sehr um Sahra Wagenknecht als Einzelperson, sondern um etwas viel Allgemeineres, nämlich deutsche Parteipolitik. Zwar begleitet Kaudelka ausschließlich eine Protagonistin und widmet sich damit ganz ihrer Perspektive, doch bleibt die Politikerin dem Filmpublikum als Mensch letztlich fremd. Auch der komödiantische Anteil der Inszenierung, sorgt immer wieder für eine Brechung: Es sind die Walzerklänge als Musikuntermalung und die Auswahl von realsatirischem Material, mit denen Sandra Kaudelka ihre Zuschauer:innen immer wieder bewusst zum Schmunzeln bringt und dazu verleitet, das Gezeigte nicht allzu ernst zu nehmen.

Einerseits vermeidet die Regisseurin damit eine politische Positionierung ihres Films, der eben eindeutig kein Werbemittel für die Protagonistin oder ihre Partei sein möchte. Gleichzeitig gelingt Kaudelka mit der komödiantischen Brechung aber auch jene Abstraktion, die das Universelle in Wagenknechts individueller Geschichte sichtbar macht. Kaudelkas Film zeigt wie eine gefeierte Politikerin mit Star-Potential, die mit Fans für Selfies posiert und Autogramme verteilt, trotz eines im Grunde positiven Wahlergebnisses für ihre Partei in die Rolle eines Sündenbocks gerät. Und zwar nicht durch fahrlässiges Versagen oder intrigante Parteigenoss:innen, sondern in erster Linie durch den wachsenden Einfluss einer ganz anderen Gruppe, nämlich die der rechtskonservativen AfD.

Sahra Wagenknecht mit einem jungen Mann, der von den beiden ein Selfie mit dem Mobiltelefon macht.

© Michael Kotschi

Wie alle Bundesbürger:innen, die an diesem Tag im Jahr 2017 andere Parteien gewählt haben, ist auch Wagenknecht vom Ergebnis des Bundestagswahl schockiert. Aber die AfD ist eben nicht nur drittstärkste Partei, sondern auch an den Linken vorbeigezogen und hat dieser ausgerechnet in den ostdeutschen Gebieten Wähler:innenstimmen abgezogen. Wie konnte das passieren? Mit dieser schmerzhaften Frage sehen sich neben Wagenknecht natürlich auch ihre Parteigenoss:innen konfrontiert. Die Wut, die auf den Schock und die Hilflosigkeit folgt, findet aber kein Ventil, keinen Weg nach außen, sondern bleibt in den eigenen Reihen. Als wäre das Schlachtfeld im Bundestag noch nicht genug, entstehen auch bei den Linken Grabenkämpfe an der Migrationsfrage.

Und genau das ist eigentlich das Schockierende an Kaudelkas Film. Wagenknecht lässt sich auch als Geschichte von der zersetzenden Macht der AfD lesen. Denn auch Politiker:innen sind nur Menschen, die sich in ihrem beruflichen Umfeld plötzlich mit einem unerwarteten Ausmaß an Hass und Aggression konfrontiert sehen, das sie schlichtweg überfordert. Wie umgehen mit einer Alice Weidel, die die Beschimpfung von „Kopftuchmädchen“ als politischen Redeinhalt ansieht?

Eine Menschenmenge und Sahra Wagenknechts Hinterkopf.

© Michael Kotschi

Sahra Wagenknecht kommentiert die Konflikte innerhalb ihrer Partei bis zum Schluss als Normalzustand, als völlig gewöhnliche politische innerparteiliche Meinungsverschiedenheit, die eben ausgehalten werden müsse. Das Framing von Kaudelkas Film jedoch, die Auswahl der Zeitspanne und des Materials, legt einen Zusammenhang zwischen dem Auflodern eben jener Konflikte und dem Einzug der AfD in den Bundestag nahe – und das übrigens ohne deren Vertreter:innen oder Inhalten unnötig Raum zu geben. Es mag auch zuvor in den eigenen Parteireihen Kritiker:innen von Sahra Wagenknecht gegeben haben, doch die Vehemenz und Emotionalität mit der ihr die Genoss:innen nun zuweilen gegenübertreten, scheint eine neue Qualität erreicht zu haben.

Es ist faszinierend und zugleich bedrückend, diesen Entwicklungen zuzusehen, nachzuvollziehen wie Sahra Wagenknecht versucht, dem Rechtsruck ihres Landes entgegenzuwirken und dabei schließlich an der Zusammenarbeit mit ihrer eigenen Partei scheitert – wozu sie, wohl gemerkt, selbst ihren Teil beiträgt. Dennoch ist nur zu betrauern, wie der leidenschaftliche Kampf Wagenknechts für eine gerechtere Gesellschaft, hier dem „Schlangennest“ der Parteipolitik zum Opfer fällt. Und wenn Sandra Kaudelka hier für ihren Film ein Vorwurf zu machen ist, denn nur der, dass sie mit Wagenknecht zu mehr Politikverdrossenheit beiträgt. Denn was noch wählen, wenn der deutsche Politikbetrieb wie seine eigene traurige Persiflage erscheint?

Sophie Charlotte Rieger
Letzte Artikel von Sophie Charlotte Rieger (Alle anzeigen)