Berlinale 2019: Elisa y Marcela

von Sophie Charlotte Rieger

Als die jugendliche Marcela (Greta Fernández) ihrer Mitschülerin Elisa (Natalia de Molina) das erste Mal begegnet, sehen wir sofort die Funken sprühen. Die sich entspinnende Liebesgeschichte und ihre Konsequenzen im Spanien Ende des 19. Jahrhunderts sind in diesen ersten zärtlichen Blickwechseln bereits angelegt. Drei Jahre des sehnsuchtsvollen Begehrens müssen vergehen, bevor die beiden jungen Frauen* endlich einen Weg zu einander finden. Doch kaum haben sie sich in aller Heimlichkeit ein gemeinsames Leben geschaffen, wächst das Misstrauen in ihrer galizischen Dorfgemeinschaft und das Drama nimmt seinen Lauf.

© Netflix

In ihren Grundzügen ist Elisa y Marcela der spanischen Regisseurin Isabel Coixet die schon vielfach erzählte Geschichte einer unsternbedrohten Liebe, deren Romantik vor allem aus der Tragik der Unmöglichkeit entsteht. Wenn auch basierend auf einer wahren Geschichte, vermag Elisa y Marcela keine Historizität zu kreieren, sondern bleibt primär ein gefühlsbetonter und ausnehmend kitschiger Liebesfilm. In Anbetracht der lesbischen Love Story liegt hierin zweifelsohne auch eine queere Aneignung eines traditionell heterosexuellen Narrativs. Nur leider, leider ergibt diese Aneignung im Fall von Elisa y Marcela keinen guten Film.

Da wäre beispielsweise die Rahmenhandlung von Ana (Sara Casasnovas), die nach Argentinien reist, um ihre biologischen Mutter zu finden, deren Geschichte der Film nun in der Rückschau erzählt. Diese Mutter ist Marcela, die auch im Alter von etwa 50 Jahren noch von Greta Fernández gespielt wird und deren Make-Up und angegrautes Haar sie leider kein Stück älter aussehen lassen. Die zwei gleich alt wirkenden Figuren auf der Leinwand können keine Sekunde als Mutter und Tochter überzeugen, wodurch dem Film bereits die Prämisse der folgenden Erzählung abhanden kommt.

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Wenig überzeugend ist auch das folgende historische Setting. Die schwarz-weiß Optik und die an eine vergangene Filmära erinnernde kreisrunde Irisblende helfen wenig dabei, die Geschichte von Elisa y Marcela in die Zeit um 1900 zu transportieren, sondern kreieren zuweilen gar unfreiwillige Komik. Überhaupt wirkt die Wahl der ästhetischen Gestaltungsmittel eher wie eine Spielerei denn wie die konsequente Umsetzung einer konzeptuellen Idee.

Unglaubwürdig gestalten sich auch einzelne Szenen, beispielsweise wenn die Dörfler_innen das Haus von Elisa und Marcela mit Steinen bewerfen und sich die Frauen*, statt hinter Möbeln oder Türen Schutz zu suchen, dramatisch aneinander geklammert mitten in die Schusslinie setzen. All das könnte freilich ein intendierter humoristischer Bruch sein, widerspricht sich als solcher jedoch gänzlich mit der übrigen Inszenierung einer dramatisch-kitschigen Liebesgeschichte.

Nebst der fehlenden Überzeugungskraft von Setting und Figuren, irritiert Coixets Inszenierung des lesbischen Sexes. Da wäre zum Einen die sichtbare Freude an den normschönen Körpern der jungen Schauspieler_innen, die hier im Stile des male gaze ausgiebig zur Schau gestellt werden. Zum Anderen verwirrt die Bildsprache heterosexueller Pornographie, wie das laszive Spiel mit aus dem Mundwinkel rinnender Milch. Da kann sich die feministische Filmkritik wirklich nur die Haare raufen. Und die lesbische vermutlich auch.

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Die Haare raufen sich vermutlich auch Kostümbildner_innen. Denn nicht nur die Alterung von Marcela ist trefflich misslungen. Auch der Versuch, Elisa als Crossdresserin ein männliches* Antlitz zu verleihen, scheitert fulminant. Dass es ihr mit diesem Aufzug gelingt, Marcela kirchlich zu heiraten, beraubt dem Film dann auch sein letztes Fünkchen Glaubwürdigkeit: Welcher Mensch könnte diese Frau* im Anzug jemals für einen Mann* halten? Zudem legt das Bild der echten Elisa und Marcela im Abspann nahe, dass Anfang des 20. Jahrhunderts besseres Make Up zur Verfügung stand als während der Filmproduktion über 100 Jahre später, denn hier ist Elisa eindeutig als Mann* lesbar.

Immerhin: Das körperliche Begehren zwischen Elisa und Marcela ist zumindest im Anfangsstadium glaubwürdig, die gegenseitige Anziehung spürbar. Doch die großzügige Portion romantischen Kitschs allein reicht nicht aus, um ein Kinopublikum durch die zweistündige, inhaltlich recht vorhersehbare Geschichte zu tragen.

Die Informationen zum aktuellen rechtlichen Status homosexueller Menschen in verschiedenen Ländern der Welt, die Isabel Coixet ihrem Publikum im Abspann präsentiert, verweisen auf eine löbliche Intention der Filmemacherin, für dieses Thema zu sensibilisieren. Umso bedauerlicher, dass Elisa y Marcela auf Grund seiner Schwächen zu diesem Diskurs wenig beitragen kann.

Screenings bei der Berlinale 2019

Sophie Charlotte Rieger
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