Berlinale 2019: Die Einzelteile der Liebe

von Sophie Charlotte Rieger

„Ich hasse Dich“ – das ist die ersten Dialogzeile von Sophie (Birte Schöink). Sie rennt dem Auto hinterher, mit dem ihr Ex-Partner gerade den gemeinsamen Sohn entführt. Wobei Entführung hier ein dehnbarer Begriff ist. Immerhin hat sie Georg (Ole Lagerpusch) über Wochen das Besuchsrecht vorenthalten. Aber ist das nun eine Rechtfertigung, den kleinen Jakob einfach ins Auto zu setzen und mitzunehmen?

Eine große Weisheit der Liebe ist, dass sie nicht im Alleingang gegen die Wand gefahren werden kann. Es gehören immer mindestens zwei Personen zum Scheitern einer Beziehung. So auch hier. In drei Rückblicken in die Zeit vor sechs und drei Jahren beziehungsweise drei Monaten seziert Regisseurin Miriam Bliese in ihrem Langzeitdebüt die Liebes- und Trennungsgeschichte ihrer beiden Protagonist_innen in ihre Einzelteile – vom ersten Kuss bis zum letzten.

© Markus Koob / dffb

Dabei spielt ein Großteil der Handlung vor einem Mehrfamilienhaus in Berlin Tiergarten. Hier steigen Sophie und Georg ins Auto, um zur Geburt des Kindes ins Krankenhaus zu fahren. Hier findet die erste Party nach Jakobs Geburt statt, bei der sich die Eltern im Rausch der Feier versehentlich aussperren und durch das Babyphone dem Schreien ihres Babys lauschen. Hier spielen sich zärtliche Momente wie auch erste Krisen ab. Hier spricht Georg schließlich die Trennung aus.

Leider durchbricht Miriam Bliese aus nicht nachvollziehbaren Gründen diese konsequente und reduzierte Inszenierung an einigen wenigen Stellen durch Einblicke in die gemeinsame Wohnung des Paares. Auch die anfängliche Unsichtbarkeit Jakobs revidiert Bliese später durch den wiederholten Auftritt des kleinen Jungen, ein bedauerlicher Richtungswechsel, weil gerade seine Abwesenheit den Konflikt der Eltern auf das Wesentliche reduzierte. Es geht nicht wirklich um das Sorgerecht, sondern um eine klassische Schlammschlacht zweier verletzter Herzen.

© Markus Koob / dffb

Auch dramaturgisch geht das Konzept nicht ganz auf. Wenn sich der Kreis aus Rahmen und Binnenhandlung schließt, erliegt Bliese der Versuchung ihre Geschichte weiterzuerzählen und zu einem versöhnlichen, wenn auch nicht übertrieben glücklichen Ende zu führen, anstatt ihr Publikum der unbequemen Ratlosigkeit auszusetzen, die mit dem Scheitern einer Beziehung nun einmal einhergeht. Dadurch verliert das bis hierhin trotz seiner Nüchternheit fesselnde Drama an Sog- und Überzeugungskraft.

Letztere krankt auch erheblich am reduzierten Spiel der Darstellenden. Streitigkeiten lösen sich schnell in Wohlgefallen aus, die Eingangsszene bleibt die einzige emotionale Eskalation. Und ebenso flach wie die Niederungen fallen auch die Höhepunkte dieser Beziehung aus, die niemals echte Leidenschaft vermittelt und somit auch die notwendige Fallhöhe für das sich entspinnende Drama entbehrt. Es ist, als habe Miriam Bliese wie auch ihre Protagonist_innen die Liebe selbst missverstanden. Liebe lässt sich nun mal nicht in ihre Einzelteile sezieren, sie ist ein Konglomerat untrennbar mit einander verwobener Emotionen, die sich gerade durch ihre irrationale Intensität auszeichnen.

© Markus Koob / dffb

Wo die Gefühlsebene nicht ausreichend erfahrbar wird, gelingt es der Filmemacherin jedoch, die subtile, sich steigernde passive Aggressivität einer scheiternden Beziehung einzufangen: sich mehrende Missverständnisse, fehlende Kommunikation und Stellvertreterdiskussionen, die den wahren Kern der Krise verschleiern. Und hier kommt Die Einzelteile der Liebe die Nüchternheit von Spiel und Inszenierung wieder zu Gute: Miriam Bliese vermeidet gekonnt das Abdriften in melodramatische Gefilde, die ihre Beziehungsanalyse in den Hintergrund drängen würden.

Aus feministischer Perspektive hat jedoch auch diese Beziehungsanalyse ihre Schattenseiten. So erscheint Georg selbst bei der Entführung seines Adoptivsohns die rationalere Person, während Sophie als „Hysterikerin“ auftritt, deren Reaktionen und Handlungen keine ausreichende Erklärung finden. In der Genese der Beziehung ist es auch stets sie, die weniger elterlich auftritt, egoistischer agiert und zu der Entzündung von Konflikten den größeren Beitrag leistet. Damit bedient Miriam Bliese bedauerlicher Weise verschiedene Stereotypen. Wir sehen einen hingebungsvollen Vater neben einer auf Grund ihrer Berufstätigkeit desinteressiert wirkenden Mutter. Wir sehen einen besonnen Mann* neben einer nervlich angespannten Frau*. Die Sympathien sind klar zu Sophies Ungunsten verteilt.

Die inhaltliche und stilistische Idee des Films ist bei all dem zwar klar ersichtlich, doch das Konzept geht nicht ganz auf. Zu wenig emotional greifbar sind diese Figuren, um sie auf ihrer emotionalen Reise zu begleiten. Die nüchterne Inszenierung einer Achterbahn der Gefühle ist ein spannendes, aber auch ausnehmend großes Wagnis – zu groß für einen Debütfilm.

Screenings bei der Berlinale 2019

Sophie Charlotte Rieger
Letzte Artikel von Sophie Charlotte Rieger (Alle anzeigen)