Berlinale 2019: Ich war zuhause, aber

Angela Schanelecs Film Ich war zuhause, aber beginnt dort, wo sich „Fuchs und Hase gute Nacht sagen“, oder besser gesagt, wo sich Hund und Esel eine Waldhütte teilen. Denn genau das sehen wir: einen Esel, der zum Fenster hinausblickt, und einen Hund, der sich zu seinen Füßen legt. Und sofort sind da Projektionen und Interpretationen: Vielleicht wohnen sie dort, vielleicht sind sie so eine Art altes Ehepaar oder doch eher zwei Freunde auf Wochenendausflug. In meiner Projektion sind beide Tiere automatisch männlich*, obwohl es in Wahrheit nichts, aber auch gar nichts gibt, das darauf hindeuten würde.

© Nachmittagfilm

Mit dieser Eingangssequenz und ihrer aus der Irritation geborenen Komik ebnet Angela Schanelec den Zugang zu einem Film, der dem Publikum permanent Projektionen entlockt, ganz einfach, weil er selbst so wenig über sich preisgibt. Die Handlung ist nur grob zu erahnen: Da ist eine alleinerziehende Mutter, Maren Eggert als Astrid, mit zwei Kindern, von denen ich das jüngere (Clara Möller als Flo) übrigens so lange für einen Jungen* halte, bis es sich einen Bikini anzieht. Hier werden mir meine eigenen Projektionen besonders deutlich vor Augen geführt. Das ältere Kind, diesmal für mich eindeutig ein Junge namens Philipp (Jakob Lassalle), war verschwunden und ist jetzt wieder da. Wo er war, wie lange und warum, erfahre ich nicht. Aber die Lehrer_innen zeigen sich besorgt um den etwa 12-jährigen, der übrigens gerade mit seiner Schulklasse Hamlet einstudiert. Einer der Lehrer (Franz Rogowski als Lars) hat derweil Beziehungsprobleme.

Ich war zuhause, aber ist wie auch der Titel quasi ein Lückentext, zu dessen Vervollständigung uns Regisseurin Angela Schanelec herzlich einlädt. Nicht nur der Plot ist dabei auf wenige Informationen beschränkt, auch das Schauspiel ist so roh und gestelzt, dass es nur ein Minimum an emotionalen Einsichten in die Figuren erlaubt. Die Aufnahmen der Schultheaterproben führen uns deutlich vor Augen, was für den ganzen Film gilt: So wie die Kinder hier lyrische Zeilen nachsprechen, deren Inhalt sich ihnen nur ansatzweise erschließt, sagen die Menschen in Ich war zu hause, aber ebenfalls lediglich Texte auf. Aber sie spielen nicht. Nur ganz selten treten Gefühle als solche wirklich zu Tage, beispielsweise wenn Astrid ihre Kinder wutentbrannt im wahrsten Sinne des Wortes vor die Tür setzt, wobei wir auch hier über die Ursachen dieses Ausbruchs nur mutmaßen können.

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Schanalec lässt uns mit dieser rätselhaften Inszenierung jedoch nicht vollkommen alleine, sondern bietet immer wieder Hilfestellung. Die Eingangsszene beispielsweise verweist deutlich darauf, dass es in Ich war zuhause, aber viel mehr um unsere eigenen Assoziationen als um eine von der Filmemacherin gesteuerte Aussage geht. Ein Metadialog zwischen Astrid und einem Regisseur (Dane Komljen) liefert dann eine Erklärung für das extrem reduzierte Schauspiel. „Alle Schauspieler lügen“, so Astrids Meinung. Und Angela Schanelec setzt diese Position konsequent stilistisch um, indem sie diese Lüge nicht verschleiert, sondern auf Brecht’sche Art und Weise omnipräsent macht: Ich war zuhause, aber erzeugt zu keinem Zeitpunkt die Illusion einer Realitätsabbildung.

Und doch ist der Film von amüsanter Wahrhaftigkeit. So begegnet der junge Regisseur Astrids scharfer Kritik seines Werks mit der Anmerkung, sie hätte den Film wohl zu Ende schauen müssen, um ihn zu verstehen. Dasselbe ließe sich den Kolleg_innen mit auf den Weg geben, die in einem vielleicht zufälligen, vielleicht intendierten Metamoment die Pressevorführung von Ich war zuhause, aber bei der Berlinale 2019 vorzeitig verließen. „Artifiziell“ und „echt“ sind also ganz offensichtlich keine sich diametral gegenüberliegenden Pole, denn die Grenze zwischen Film und Nicht-Film verschwindet hier auf Nimmerwiedersehen.

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Schauspiel ist also immer ein Spiel, immer artifiziell, egal ob von Kindern auf einer Schulbühne oder von professionellen Darsteller_innen in einem Berlinale-Film. Egal wie sehr sich die Menschen auf der Leinwand auch bemühen, wie nah sie dem was wir „echt“ nennen auch kommen, so bleibt ihre Performance doch immer nur genau das: ein „So tun als ob“. Und jede Geschichte, egal wie detailliert erzählt, ruft in ihrer Lückenhaftigkeit immer auch Projektionen und Interpretationen des Publikums ab. Nichts ist echt, alles ist Kunst, Kunst ist alles und echt ist nichts.

Vielleicht will uns Angela Schanelec mit Ich war zu hause, aber also gar keine Geschichte erzählen, sondern etwas über das (filmische) Geschichtenerzählen selbst. Doch auch das ist freilich nur meine ganz eigene Interpretation.

Screenings bei der Berlinale 2019

Sophie Charlotte Rieger
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