Berlinale 2011: Tomboy

Dieser Text stammt von meinem ersten Blog SophiesBerlinale und gehört somit zu meinen ersten wackligen Schritten als Filmjournalistin. Deshalb bitte ich darum, etwaige Mängel zu entschuldigen und wohlwollend darüber zu schmunzeln.

Diesem spezifischen Text ist außerdem deutlich anzumerken, dass ich mich zu diesem Zeitpunkt noch kaum mit den Themen Gender und trans* beschäftigt hatte. Ich wollte ihn dennoch möglichst authentisch als Teil meiner Entwicklungsgeschichte als Autorin erhalten und habe ihn nur dort redigiert, wo mir Formulierungen aus heutiger Sicht stark diskriminierend erschienen.

© Alive

© Alive

„Als Tomboy (im Deutschen ungefähr entsprechend dem Wildfang) werden Mädchen bezeichnet, die sich entsprechend der gängigen Geschlechterrolle von Jungen verhalten. Der Begriff kann auch auf erwachsene Frauen angewendet werden.“ (Wikipedia)

Hier wird für meinen Geschmack etwas zu kompliziert ausgedrückt, was der Film von Céline Sciamma weitaus verständlicher und deutlich unterhaltsamer darstellt: ein kleines Mädchen, das gerne ein Junge wäre. Laure wäre gerne Mikael und deshalb nutzt sie den familiären Umzug, um sich in der Nachbarschaft eine neue Identität aufzubauen. Die kleinen Hürden des Alltags meistert sie gekonnt: Beim Baden mit den anderen Kindern steckt sie sich eine Knetwurst in die selbst geschneiderte Badehose. Nur Laures Mutter ist von der Identitätssuche ihrer Tochter wenig begeistert und so muss Mikael die Männlichkeit an seinen neu geborenen Bruder abtreten und wieder zum Mädchen werden.

Ja, die Geschichte des gesamten Films lässt sich in diese wenigen Worte packen. Dass es trotzdem nicht langweilig wird, liegt an den tollen Darsteller:innen. Es ist mir unerklärlich wie Sciamma es schafft, derart überzeugende Darstellungen aus den kleinen Leuten heraus zu kitzeln, während ich mich in deutschen Kinderfilmen oft an Schultheater erinnert fühle. Ein kleiner Wermutstropfen an dieser Stelle ist, dass Mikaels kleine Schwester Jeanne ihm mit ihren komödiantischen Einlagen oftmals die Show stiehlt.

Der Film plätschert leicht dahin, ohne Filmmusik und nur von authentischem Kinderlachen begleitet. Hier werden keine komplexen Probleme der Geschlechtsidentität gewälzt, keine Sozialstudie betrieben, um Ursachen für Laures Verhalten zu ergründen. Laut Sciamma lässt der Film bewusst offen, ob sich das Mädchen auch in und nach der Pubertät noch als Junge identifizieren wird, oder ob es sich um ein vorübergehendes Experimentieren mit der eigenen Identität handelt.

Eines habe ich dennoch gelernt: Um ein echter Junge zu sein, muss eins ohne T-Shirt Fußball spielen und kräftig auf den Boden spucken können!

Sophie Charlotte Rieger
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