The Kitchen

Ocean’s 8, Widows, The Kitchen – es scheint, als gäbe es einen neuen Hollywood Trend hin zu kriminellen Frauen*figuren. Daran ist erst einmal nichts verkehrt, denn mal abgesehen von Märchenprinzessin und Love Interest können wir von so ziemlich jedem Typ Frauen*figur noch zahlreiche Exemplare gebrauchen, um auch nur ansatzweise ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis auf den Leinwänden zu erreichen. Aber taugt der Film von Andrea Barloff auch über die Figurenquote hinaus?

© 2019 WARNER BROS. ENTERTAINMENT INC.

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Die Geschichte von The Kitchen basiert auf der gleichnamigen Graphic Novel von Ollie Masters und Ming Doyle und handelt von drei Frauen* die im New York der 70er Jahre während der Abwesenheit ihrer Ehemänner* deren Mafiageschäfte übernehmen. In den Hauptrollen spielen Melissa McCarthy, Tiffany Haddish und Elisabeth Moss – letztere leider zum gefühlt hundertsten Mal den Part eines Gewaltopfers. Überhaupt schleicht sich schon beim Blick auf die Figurenaufstellung ein wenig Unwohlsein ein. McCarthys Figur Kathy, eine glücklich verheiratete zweifache Mutter, ist das Oberhaupt der Truppe und auch jene Figur, der das in dieser Hinsicht recht geizige Drehbuch von Regisseurin Andrea Berloff am meisten Charaktertiefe zukommen lässt. Tiffany Haddish mimt den Part der Schwarzen Außenseiterin, die sich als einzige Person of Color im irisch dominierten Bezirk „Hell’s Kitchen“ doppelt und dreifach bewähren muss und über diese Funktion hinaus im Grunde keinerlei Charakterzeichnung erfährt. Elisabeth Moss spielt eine Variante des Rape Revenge Plots, innerhalb dessen sich die erlebte Gewalt auf tradierte Weise als alleiniger Emanzipationsmotor erweist. Und außerdem ist sie als weiße und normschöne Frau* natürlich auch diejenige, deren Liebesgeschichte einen eigenen Erzählstrang verdient.

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Im Gegensatz zu Steve McQueens Widows, der eine ähnliche Geschichte erzählte, handelt es sich bei den Figuren in The Kitchen vornehmlich um Typen und weniger um Persönlichkeiten, in die sich die Kinozuschauer_innen einfühlen könnten. Daran ist erst einmal nichts auszusetzen, schließlich gibt es zahlreiche Filme des Gangster-Genres, die ohne komplexe Charakterstudien ausgezeichnet als Unterhaltungsfilme funktionieren. Doch irgendwie mag diese Rechnung in The Kitchen nicht ganz aufgehen. Zu sehr oszilliert der Film zwischen unterschiedlichen Polen. Mal komödiantisch bis hin zu im Slapstick-Stil choreographierten Szenen, dann wieder bitterernst findet Andrea Berloff für ihre Inszenierung leider keinen konsistenten Tonfall.

Auch das Drehbuch lässt insbesondere im ersten und letzten Drittel bedauerlich viel Luft nach oben. Die Exposition als solche ist zu kurz, um den Aufstieg der drei „braven Hausfrauen*“ zu Mafia Queens glaubwürdig zu vermitteln. Und nach dem zum Teil dramatischen Mittelteil fällt das Finale enttäuschend unspektakulär aus, als hätte Berloff das Interesse an ihren eigenen Figuren und deren Geschichte verloren. Auch hier entstehen die inneren Fragezeichen auf Grund der schlingernden Stoßrichtung des Ganzen: Für einen Gangster_innenfilm fehlt es dem Ende an Action, für ein Drama an Tiefe und Emotion.

Doch ist das wirklich ein Manko oder nicht vielleicht eine mutige Brechung mit Genre-Konventionen, die untrennbar mit dem sozialen Geschlecht der Hauptfiguren verknüpft ist? Es wäre unfair, an The Kitchen den Anspruch eines stringenten Gangsterfilms zu stellen. Denn natürlich bringen die drei Frauen* im Zentrum der Geschichte nicht nur die Mafia, sondern auch das Kinopublikum durcheinander. Es mag sich nämlich einerseits um bekannte und streitbare Typen handeln – die gutherzige Familienmutter, die kämpferische Afroamerikanerin, die Rape Revenge Killerin – aber andererseits sehen wir drei moralisch scheiternde Frauen*figuren. Und das wiederum ist in unseren Erzählungen, egal ob auf Leinwand oder Papier, noch immer eine ziemliche Seltenheit.

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Mit ihren drei fehlbaren Heldinnen Kathy, Ruby (Haddish) und Claire (Moss) geht Regisseurin Andrea Berloff ein großes Risiko ein. Am Ende liegt unsere Unfähigkeit, Empathie oder Sympathie zu empfinden, vielleicht weniger an der filmischen Inszenierung und mehr an den sexistischen Vorurteilen, die wir in Hosen- und Rocktaschen mit ins Kino schleppen. Wäre Kathy ein Mann*, würde uns die Zerrissenheit zwischen Familienfürsorge und Mafia-Karriere stärker unter die Haut gehen, ganz einfach weil wir das Interesse an letzterer nicht ständig in Zweifel zögen. Rubys Streben nach Macht wäre nachvollziehbarer und Claires neues Faible für das Tranchieren toter Menschen den einen oder anderen Lacher wert. So aber heben wir skeptisch die Augenbrauen und empfinden das Leinwandgeschehen als unzureichend hergeleitet. Es steht zu befürchten, dass die Zeit, nein, dass wir einfach noch nicht reif sind für einen solchen Film.

Die Schwächen des Drehbuchs kann diese Überlegung aber freilich nicht aufwiegen. Ein bisschen mehr Tempo, Spannung und auch Drama, insgesamt einfach ein wenig mehr Leidenschaft hätte The Kitchen sicherlich gut getan. Was Berloff an Mut in ihre Figurenzeichnung investiert, fehlt ihr leider in der Regie. Trotz 70er Jahre Mode und Mucke wirkt ihre Inszenierung letztlich blutleer und kraftlos.

Im Jahr 2019 wird The Kitchen wohl keine Jubelstürme auslösen oder Verkaufsrekorde aufstellen. Aber wer weiß, vielleicht hat Andrea Berloff einen dieser Filme geschaffen, die zwanzig Jahre später wiederentdeckt und gerade weil sie zu ihrer Zeit auf taube Ohren und Augen stießen in der Zukunft mit Kultstatus geadelt werden.

Kinostart: 19. September 2019

Sophie Charlotte Rieger
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