SPIELERINNEN – Aysun Bademsoy im Interview
Aysun Bademsoy erzählt in ihren Filmen von deutsch-türkischem Leben. Ihre Langzeitbeobachtung von Fußballerinnen des Kreuzberger Vereins Ağrı Spor – dem ersten mit einer deutsch-türkischen Frauenmannschaft – ergänzt sie mit Spielerinnen um einen vierten Teil, der gerade beim DOK Leipzig Weltpremiere feierte.
Die Mädchen am Ball sind inzwischen erwachsen geworden und haben jede auf ihre Weise einen Platz in der Gesellschaft gefunden. Die langjährige Beziehung zwischen Protagonistinnen und Filmemacherin erlaubt ihnen, sich wirklich zu öffnen. Spielerinnen bietet in Verbindung mit den anderen Teilen der Reihe eine liebevolle und ehrliche Bestandsaufnahme individueller Lebenswege und gesellschaftlicher Veränderungen.
Über ihre Beobachtungen dieser Entwicklungen und die Notwendigkeit, Türen zu öffnen, sprach Aysun Bademsoy mit FILMLÖWIN Lea Gronenberg.
Lea Gronenberg: Die ersten Filme mit den Fußballerinnen (Mädchen am Ball und Nach dem Spiel) entstanden in den 1990ern, der letzte Teil (Ich gehe jetzt rein) erschien 2008. Wie kam es, dass du jetzt – 15/16 Jahre später – den Faden wieder aufgenommen hast?
Aysun Bademsoy: Ich bin immer in Kontakt mit den Mädchen gewesen und habe mitgekriegt, wie sich ihre Leben entwickeln. Das ist auch bei anderen so. Mit Fikriye Selen, der Boxerin aus Mädchen im Ring, die inzwischen in New York lebt, bin ich ganz nah. Auch bei Am Rand der Städte habe ich noch Kontakt zu den Leuten, die in die Türkei zurückgekehrt sind. Ich versuche da immer dranzubleiben und hatte das daher schon ein bisschen im Hinterkopf. Diese Fußballerinnen sind einfach so tolle und starke Frauen.
Für Spielerinnen hast du noch die Generation der Töchter dazu genommen.
Die sind jetzt im selben Alter wie ihre Mütter im ersten Film, den ich gemacht habe. Mich hat interessiert, ob sich die Kraft, die diese Frauen im Fußballverein hatten, auf die Kinder übertragen hat. Sind die selbständiger? Nehmen sie ihr Leben selber in die Hand? Wie verortet sind sie in Kreuzberg, da, wo sie leben? Das war die Idee, einfach noch mal zu gucken, wie es bei den Nachfolgegenerationen ist.
Gab es Parallelen zwischen beiden Generationen, die du beobachten konntest? Oder auch große Unterschiede?
Was sich wiederholt, ist dieses Nesthäkchen-Dasein. Die Familie ist der Schutzraum für die Kinder. Überrascht hat mich bei Selina, dass sie schon ihr eigenes Leben gestaltet, aber die Religion viel präsenter ist, als es bei den Mädchen damals war. Dass sie wirklich in die Moschee gehen und beten. Das hat mich schon geschockt. Ich habe ehrlich nicht erwartet, dass das Religiöse so identitätsstiftend ist in dieser Gesellschaft.
Die Frage nach Identität in Bezug auf die Herkunft stellst du im Film ganz offensiv.
Sie sagen selber im Film, dass sie nicht als Deutsche gesehen werden, auch wenn sie hier geboren wurden. Das zieht sich durch alle meine Filme. Im letzten Film Ich gehe jetzt rein erzählt Türkan vor dem Arbeitsamt, dass sie dort so tun, als wären sie alle Ausländer und könnten gar kein Deutsch. Das wiederholt sich, obwohl ich gedacht hätte, das hätte sich aufgelöst. Die Kinder sprechen alle fließend Deutsch und sind in der Sprache viel mehr verwurzelt als ihre Mütter oder Großmütter. Dass sie von der deutschen Gesellschaft nicht als Teil dieser Gesellschaft behütet oder eingerahmt werden, das hat mich total erschreckt.
2020 haben wir uns über deinen Film Spuren unterhalten, in dem du Angehörige der Opfer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) begleitet hast. Der NSU-Komplex ist ebenfalls Ausdruck von Rassismus in unserer Gesellschaft. Ziehst du da Verbindungen?
Spuren ist noch einen Tick härter und dramatischer und auch brutaler. Der Rassismus, der unterschwellig in so Alltagsgeschichten passiert, ist ein anderer. Der NSU hat gezielt Morde an Kleinunternehmern verübt und war so organisiert, keine Spuren zu hinterlassen. Die waren strukturiert und hatten Netzwerke. Verbindungen sehe ich insofern, dass die AfD auf einmal über 30% der Stimmen bekommt. Das ist ein Zeichen dafür, dass irgendwas in dieser Gesellschaft nicht funktioniert hat bisher. Gerade in der ehemaligen DDR. Dort haben sie keine Vermischung gelernt. Die Menschen aus Vietnam oder Mozambique durften gar keine Berührung mit Deutschen haben.
Du selbst bist als Kind nach Westberlin gekommen und hast das anders erlebt?
Es gab auch hier Rassismus und Anschläge wie in Solingen. Aber im alltäglichen Leben hat man die Trennung nicht immer gespürt. Ich bin auf eine deutsche Schule gegangen, meine ganzen Freundinnen waren Deutsche, wir hatten viele deutsche Nachbarn, die offen waren und vielleicht neugierig auf eine Kultur, die sie nicht kannten. In meinem Empfinden ist die Gesellschaft viel offener. Mich beängstigt, dass sich die Nazis so ausbreiten. Dass du in der S-Bahn den Rassismus bemerkst, der sich öffentlich ausbreitet. Die Kinder der Fußballerinnen sind dem auch ausgesetzt, wenn sie in der Schule in Steglitz belächelt werden, weil sie ein Wort falsch aussprechen. Sie fühlen sich wohler in Kreuzberg, wo sie mehr unter Migranten sind. Lehrer und Institutionen müssen das thematisieren. Ich hätte mir aber auch von den Mädchen gewünscht, dass sie offensiver sind, das auszudiskutieren und sich nicht abschotten lassen.
Du hast bereits gesagt, dass diese Rückbesinnung auf traditionelle Werte und Religion und der Rückzug in (post-)migrantische Communitys dich geschockt haben.
Im Filmgespräch in Leipzig habe ich schon darüber gesprochen, dass es bei Migration oft ähnlich verläuft. Da findet irgendwann eine Verklärung statt. In vielem ist die türkische Gesellschaft viel weiter als die türkische Community hier. Viele Diskussionen, die in der Türkei geführt wurden über Sexualität zum Beispiel, haben hier gar nicht stattgefunden. Die Unabhängigkeit von den Eltern ist in der Türkei wichtiger geworden. Selina führt auch ihr eigenes Leben und studiert. Trotzdem darf sie nicht machen, was sie will. Warum darf sie denn nicht ausziehen? Das habe ich schon gefragt, aber ich darf sie da auch nicht beeinflussen.
War das schwierig für dich während der Dreharbeiten?
Nein, gar nicht. Die wissen, wie ich drauf bin. Bei den ersten Filmen, ich glaube zwischen dem ersten und dem zweiten, habe ich sie zu mir eingeladen. Da habe ich in einer 4-Zimmer-Wohnung gelebt mit einem Mitbewohner. Das war für sie überhaupt nicht vorstellbar. Das fand ich richtig lustig. Inzwischen bin ich Abla, also die ältere Schwester, und sie wissen, dass ich anders ticke, eine andere Haltung habe. Sie merken das auch an der Art, wie ich nachfrage. Ich fand das so toll, als Nalan diesen Ausschnitt aus Nach dem Spiel sieht, wo ich gefragt habe, ob sie einen Freund haben oder nicht. Aus Respekt vor dem Vater und dem Bruder konnten sie nicht die Wahrheit sagen, wollten mich aber auch nicht anlügen. Das hat mich total berührt. In dem Moment merkst du, dass Respekt vor den Eltern einen anderen Stellenwert hat und du bestimmte Sachen machst, aber nicht erzählst. Ich wusste das natürlich zu 100%.
Als Filmemacherin begibst du dich in die Position der Beobachterin.
Ich lasse die Frauen so sein und finde auch gut, wie die sind. Es ist nicht so, dass ich sie beurteile oder verurteile. Ich respektiere sie und ich verstehe alles, was sie erzählen. Ich verstehe Ihre Ausgangsposition. Es gab sehr oft, wenn ich die Filme früher in kleinen sozialen Gruppen wie Mädchengruppen vorbereitet habe, die Frage, wie sie mit solchen Situationen und Fragen umgehen sollen. Sollen sie lügen? Sollen sie die Wahrheit sagen? Da habe ich immer gesagt, das ist eure Entscheidung. Wenn deine Familie nicht respektiert, wie du dein Leben führst, ist das ein großes Risiko. Das muss aus ihnen selbst herauswachsen und dann muss man sie unterstützen. Ich würde jedes dieser Mädchen jederzeit unterstützen, aber ich würde es niemals forcieren. Trotzdem frage ich mich, warum sind die so weit weg von der deutschen Gesellschaft oder die deutsche Gesellschaft von ihnen?
Die Frauen in Spielerinnen sind nicht mehr aktiv im Verein, aber würdest du grundsätzlich sagen, dass Sportvereine einen Beitrag leisten können?
Ich wollte so gerne, dass Safiye wieder mitmacht, aber sie wollte leider nicht. Sie ist Trainerin bei Türkiyemspor. Die Mädchen in ihrem Verein sind so toll miteinander und viel selbstbewusster als Fußballerinnen, aber auch mit ihrer Sexualität viel offener und selbstverständlicher. Es ist wichtig, Mädchen und Frauen nicht nur in Sportvereine, sondern auch in politische Gruppen oder soziale Projekte einzubeziehen, damit sie merken, dass es ein anderes Leben gibt als das, was sie zu Hause kennen, so konservativ und zurückgezogen.
Indem du mit deinen Filmen Einblicke in (post-)migrantische Lebensrealitäten ermöglichst, trägst du selbst ein Stück weit dazu bei, diese Distanz zu überbrücken. Wird es Vorführungen von Spielerinnen geben, vielleicht sogar gemeinsam mit den anderen Teilen der Reihe?
Es wäre richtig toll, die Filme als ein gesamtes Programm oder in einer Reihe zu zeigen. Erst vor kurzem liefen zwei der Filme am Mehringplatz beim Sommerkino. Das war richtig toll. Die Fußballerinnen sind dabei gewesen und haben ganz viele Fragen bekommen, auch von kleinen Jungs und Mädchen, die bei diesem Fußballthema richtig mitgegangen sind. Bei der Weltpremiere in Leipzig hat das Publikum gefeiert, was für tolle Frauen das sind, so stark und auch lustig. Aber welches Kino nimmt solche Filme einfach ins Programm? Dokumentarfilme, gerade zu Migrationsgeschichten, sind eine Nische. Es ist immer viel Arbeit, die an ein Publikum zu bringen. Aber es gibt ein Publikum, das diese Filme sehen möchte.
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