She Said – Maria Schrader im Interview

In ihrem im Herbst in den Kinos erschienen Spielfilm She Said nahm sich Maria Schrader der bahnbrechenden Geschichte der Investigativjournalistinnen Jodi Kantor und Megan Twohey an, die Harvey Weinstein zu Fall brachten. Im Gespräch mit Filmlöwin Bianca gibt sie Einblicke in die Zusammenarbeit mit den beiden Journalistinnen für die Vorbereitungen zum Film. Schrader berichtet auch über die Auswirkungen auf ihr eigenes Leben, nachdem der New York-Times im Herbst 2017 publik wurde und reflektiert über ihr eigenen Erfahrungen innerhalb eines patriarchalen Systems, in dem sie alltäglichen Chauvinismus gewohnt war, genauso wie selbst mal mit einem Flirt den „mächtigeren Mann“ zu bespielen. Einblicke gibt die Regisseurin außerdem über die Veränderungen am Streaming-Markt, die in der US-Industrie möglicherweise zum Hinterfragen sprachlicher Vormachtstellungen führten.

© Universal Christine Fenzl

Kannst du dich erinnern, wie du zum allerersten Mal von der Weinstein-Affäre erfahren hast?

Ich habe damals aus deutscher Presse davon erfahren und dann den New York Times Artikel gelesen. Ich gehörte zu der Gruppe von zahlreichen Schauspielerinnen, die dann von deutschen Journalisten kontaktiert wurden, die auf der Suche nach dem deutschen Harvey Weinstein waren. Ich kann mich an die große Berichterstattung erinnern, an Doppelseiten, an Kolleginnen, die wiederum ihre Erlebnisse erzählt haben. Ich würde sagen, dass da ein Damm von Schweigen gebrochen ist. Auch in meinem Arbeitsumfeld und meinem privaten Umfeld kann ich mich an wirklich sehr viele Gespräche erinnern. Ich selbst habe mich plötzliche wieder an Erlebnisse erinnert, die ich als Normalität abgetan und vergessen hatte, nicht nur in meinem beruflichen Leben. Ich habe sie im Zuge von #Metoo in anderem Licht betrachtet, es hat für viele eine Art „reframing“ stattgefunden. ___STEADY_PAYWALL___

Wie kamen die Produzent:innen auf dich als potenzielle Regisseurin von She Said zu?

Es war Unorthodox, das mich ins Visier der Produzenten gerückt hat. Die Serie war auch in den USA sehr erfolgreich. Ich glaube aber, dass es in diesem Fall auch der Inhalt war, im Kern war er mit She Said verwandt: extreme Intimität, dysfunktionale Sexualität und gesellschaftlicher Erwartungsdruck bei Unorthodox, in diesem Film jetzt sexuelle Gewalt in Abhängigkeitsverhältnissen und einer gesellschaftlichen, systemischen Komplizenschaft. 

„Das Thema betrifft uns alle. Wenn wir unsere Kinder ansehen so wie Meghan ihre frisch geborene Tochter im Film, dann schwingt es mit, dann fragt sie sich, wie die Welt in zwanzig Jahren wohl aussehen wird und ob sich das System, in dem wir gerade leben, bis dahin verändert haben wird?“

Was hat dich in der neuen Erfahrung, deiner Hollywood-Premiere, besonders herausgefordert? 

Ich glaube, jedes Mal wenn ich ein Projekt anfange, gib es nicht nur Vorfreude, sondern auch Ängste. Ich stelle mir vor, welche konkreten und spezifischen Aufgaben jeweils auf mich warten, was ein Problem werden könnte und welchen Aufgaben ich vielleicht nicht gewachsen sein könnte. Der Sprung von Unorthodox, das immer noch schmal budgetiert war und in Europa gedreht wurde, in eine Studioproduktion mit allem, was damit einhergeht, hat mich wahrscheinlich am meisten nervös gemacht. Und dann natürlich die Verantwortung dieser Geschichte gegenüber und den wirklichen Personen, die von ihren eigenen Erlebnissen erzählen. Ich bin es als Schauspielerin zwar gewohnt, Nervosität in Kreativität umzusetzen, aber wenn sie zu sehr steigt, dann kippt die Nordsee um. Vielleicht habe ich auch durch meine vorigen Filme erst das Selbstbewusstsein bekommen, mir dieses Projekt zuzutrauen.

Denkst du, dass in den letzten Jahren die Akzeptanz von Personen, deren Erstsprache nicht Englisch ist, vor und hinter der Kamera in US-Produktionen gestiegen ist?

Ja, da , da hat sich viel getan in den letzten Jahren. Deutschland 83 war 2015 die erste Serie, die im amerikanischen Fernsehen komplett untertitelt gelaufen ist. Noch vor drei Jahren, als wir Unorthodox gedreht haben, war es außergewöhnlich, dass es uns erlaubt wurde, Jiddisch als Hauptsprache zu haben, da es weltweit nur noch von einer Million Menschen gesprochen wird. Wir sind davor auch zu öffentlich-rechtlichen Fernsehstationen gegangen und dort war es völlig undenkbar, auf Jiddisch zu drehen, das hat uns zu Netflix geführt. Die Streamer haben die Originalfassungen populär gemacht. Dass man nun mit sprachlicher und kultureller Authentizität arbeiten kann, das ist wirklich eine Entwicklung der letzten Jahre. Natürlich hat sich dadurch auch in politischer Hinsicht das Bewusstsein von US-amerikanischen Filmschaffenden und auch US.amerikanischen Bürgern geändert. Also dieser Ansatz von „wir sind das Zentrum der Welt und schicken unsere amerikanischen Schauspieler nach Deutschland und kümmern uns nicht mal darum, dass dort eine andere Sprache als Englisch gesprochen wird.“. Diese Zeiten sind einfach vorbei und das ist auch gut so.

© Universal Pictures

In She Said sehen wir die beiden Journalist:innen nicht nur bei der Arbeit, sondern auch in ihrem Alltag: Care-Arbeit und Post-Partum-Blues gehören ebenso dazu wie unterstützende Männer bzw. Väter. Diese „working dads“ sind mir, leider, muss ich ja sagen, besonders aufgefallen. Leider sage ich, weil es ein Zeichen dafür ist, wie selten wir immer noch Bilder von gleichberechtigten Partner:innen präsentiert bekommen. Das Privatleben ist ja im Buch nur zum Teil angedeutet.

Ja, das ist natürlich großartig, dass wir diese Aspekte in She Said integrieren konnten. Dafür bin ich Jodi (Kantor) und Megan (Twohey) extrem dankbar. Das, was die beiden in ihrem Faktenbericht über die Recherche veröffentlicht haben, hat den privaten Teil – die Emotion, die Sorge, die durchwachten Nächte – ausgelassen. Unser Anspruch war es, auch die privaten Seiten ihres Lebens während der Recherche zu zeigen, um so ein kompletteres Bild von arbeitenden Frauen und Müttern zu präsentieren– deren Arbeitsalltag in meinen Augen einfach nach wie vor ein anderer ist als der von Männern.

Auch ein Novum im Genre der Investigativgeschichten.

Ja, das haben wir in diesem Genre ganz sicher noch nicht gesehen. Auch zwei weibliche Protagonistinnen haben wir noch nicht in einem Journalisten Thriller gesehen. Ihr Privatleben zu integrieren, wurde durch den Vertrauensvorschuss, den wir von Megan und Jodi erhalten haben, möglich. Auf der anderen Seite finde ich, dass es auch unmittelbar mit dem Thema zu tun hat, das sie recherchieren. Das ist im Gegensatz zu so einem Film wie All The President’s Men unausweichlich. Auch Jodi und Megan sind ja als Mädchen und Frauen in unserem patriarchalen System groß geworden und haben ihre eigenen Erfahrungen in der Ausbildung, in der Schule, auf dem Weg zur Arbeit, am Arbeitsplatz gemacht. Ich glaube nicht, dass Bob Woodward und Carl Bernstein (All The President’s Men) ihre Position als Mann in der Gesellschaft je hinterfragt haben, während sie Kampagnengelder und politische Korruption untersucht haben. Ich liebe diesen Film auch, aber das Frau-Sein, Journalistin-Sein, Familie haben, Kinder haben, hat bei She Said direkt mit dem Thema zu tun und deshalb finde ich alle diese Anteile an der Geschichte umso wichtiger. 

„Wir sind seit Jahrhunderten in einer männerdominierten Welt in patriarchalen Strukturen geboren, aufgewachsen, und ausgebildet worden. Gesellschaftlich sind wir von einem bestimmten Frauenbild und einem bestimmten Männerbild geprägt, die sich sehr unterscheiden. Ich erkenne diese Prägung bei mir selbst noch oft.“

Wie eng konnte denn die Zusammenarbeit mit Jodi Kantor und Meghan Twohey erfolgen? Es steckt ja als Filmemacherin eine Verantwortung und Belastung dahinter, diese gesellschaftsrelevante Geschichte zu erzählen.

Die Zusammenarbeit mit Jodi und Megan und darüber hinaus auch mit Rebecca Corbett, der Editorin, war in der Vorbereitung sehr eng. Auch während wir im New York Times-Gebäude gedreht haben – zum ersten Mal wurde das ermöglicht, denn durch die Pandemie waren die Journalisten im Home Office – waren Megan und Jodi jederzeit für uns erreichbar, auch für die Schauspieler:innen. Bis in die kleinsten Detailfragen konnten wir uns an sie wenden und das ermöglichte uns auch, die journalistische Arbeit so wahrheitsgetreu wie möglich zu porträtieren. Ich würde diesen Film als außergewöhnlich kollaborativ bezeichnen. Viele Stimmen sind zu Wort gekommen. Auch die der Opfer selbst, denn es war uns wichtig, dass sie mit den Szenen, die ihre eigenen Erlebnisse betreffen, zufrieden waren, und diese auch ändern, Dinge dazu oder wegnehmen konnten. Es gibt viele Realitätsebenen in diesem Film und die damit einhergehende Verantwortung. Das Thema betrifft uns alle. Wenn wir unsere Kinder ansehen so wie Meghan ihre frisch geborene Tochter im Film, dann schwingt es mit, dann fragt sie sich, wie die Welt in zwanzig Jahren wohl aussehen wird und ob sich das System, in dem wir gerade leben, bis dahin verändert haben wird? 

© Universal Pictures

Wie ist denn dein Eindruck dazu?

Wir sind seit Jahrhunderten in einer männerdominierten Welt in patriarchalen Strukturen geboren, aufgewachsen, und ausgebildet worden. Gesellschaftlich sind wir von einem bestimmten Frauenbild und einem bestimmten Männerbild geprägt, die sich sehr unterscheiden. Ich erkenne diese Prägung bei mir selbst noch oft. Die Sexualität des Mannes gilt als Naturgewalt, gegen die man nichts machen kann. Die Frauen werden so erzogen, dass sie für ihre eigene Sicherheit zu sorgen haben, in der Form wie sie sich kleiden, wie sie sich verhalten. Sollte dennoch etwas passieren, haben wir viel zu oft erlebt, wie Frauen sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, den sexuellen Übergriff provoziert zu haben. Die weibliche Sexualität wird als etwas passives beschrieben – das führt zu Scham. Das hat auch zur Folge, dass Frauen zugeschrieben wird, überwältigt werden zu wollen. Das sind alles lang installierte gesellschaftliche Normen, in denen wir aufgewachsen sind.  

„Ich hoffe, dass der Film, obwohl er ja auch manchmal traurig ist oder Traumata berührt, eigentlich Mut macht und inspirierend ist.“

Inwiefern empfindest du dich selbst als Teil davon?

Ich glaube, dass ich in meinem Werdegang, also zumindest im Arbeitsumfeld, durchaus gelernt habe, den „mächtigeren Mann“ in seiner Position für meinen eigenen Nutzen zu bespielen und da ist Flirt ganz sicher ein Teil davon. Auch die lange Akzeptanz eines gewissen alltäglichen Chauvinismus, den wir alle auf die eine oder andere Weise erlebt haben – und ich spreche ja von einer breiten Skala, die vom unangenehmen Erlebnis oder verbalen Sexismus bis zu justiziablem Gewaltverbrechen reicht. Um in meinem eigenen Umgang möglichst unberührt davon zu bleiben und dem kein Gewicht zu geben, habe ich Dinge bestimmt auch mit Absicht vergessen und bin Teil dieses Systems gewesen. Sich nichts anmerken zu lassen, habe ich als Stärke empfunden. 

Es gibt über She Said hinaus über Weinstein Berichterstattung, Dokumentationen kamen über die letzten Jahre heraus: Was würdest du dir wünschen, dass der Spielfilm beim Publikum letztlich auslöst?

Ich wünsche mir, dass die Fragen, die jetzt in Interviews aufkommen – „Was ist denn eigentlich passiert in den fünf Jahren und was muss noch passieren und wo stehen wir“ – durch den Film in Gesprächen diskutiert werden, dass Austausch und Dialog angeregt wird. Ich hoffe, dass der Film, obwohl er ja auch manchmal traurig ist oder Traumata berührt, eigentlich Mut macht und inspirierend ist. Wir erzählen ja nicht die Geschichte von #MeToo, wir erzählen, wie es überhaupt dazu gekommen ist, dass zwei Journalistinnen aufgebrochen sind und sich Harvey Weinstein und den Gerüchten angenommen haben, was sie auf dem Weg dorthin für Schwierigkeiten hatten und was sie noch alles erfahren haben. Das ist unsere Perspektive. Gleichzeitig soll auch deutlich werden, wie viele Geschichten unveröffentlicht geblieben sind, und zwar bis heute. Es liegt mir sehr am Herzen, dass man durch die wenigen Frauen, die sich Jodi und Megan schließlich anvertraut haben, spürt, wie erleichternd es sein kann, sich mitzuteilen und gehört zu werden. Das ist, so hoffe ich, inspirierend für andere.

She Said ist ab 23.02. auf DVD erhältlich.

Bianca Jasmina Rauch
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