She Said

Zwei Frauen, die wir alle als zwei Heldinnen der letzten Jahre feiern sollten, sind die New Yorker Journalistinnen Jodi Kantor und Megan Twohey: ihre Recherchen befeuerten vor fünf Jahren maßgeblich die #Metoo-Bewegung, die einen länderübergreifenden Diskurs über Machtmissbrauch und sexuelle Belästigung anstieß. In ihrem 2019 erschienen Buch She Said: Breaking the Sexual Harassment Story That Helped Ignite a Movement schilderten die beiden anhand ihrer New York Times Recherchen mit welchen Mechanismen und Strukturen die Filmindustrie operiert, um mächtigen Männer wie Harvey Weinstein systematisch ihr ungestraftes Vorgehen zu sichern. Mit der gleichnamigen Verfilmung der Investigativgeschichte She Said realisierte die deutsche Regisseurin und Schauspielerin Maria Schrader nach Ich bin dein Mensch ihr erstes Projekt in den USA, mit an Board vor der Kamera: Carey Mulligan, Zoe Kazan und Patricia Clarkson

© Universal Pictures ___STEADY_PAYWALL___

Es gibt eine  ganze  Reihe von Spielfilmen, die die Arbeit von Investgativjournalist:innen in ihr Zentrum stellen, in einem breiten Kanon am präsentesten sind davon wohl: All the President’s Men, Spotlight oder The Post. Meistens handelt es sich um die Aufdeckung von Machtverstrickungen auf politischer Ebene, die für das Geschehen eines Landes entscheidende Konsequenzen mit sich brachten. Gemeinsam sind diesen Filmen der Schauplatz USA, die Überzahl männlicher Handlungsträger, die Orientierung an realen Ereignissen – eigentlich immer die Aufklärung von Machtmissbrauch – und eine männliche Regie und Drehbucharbeit (unter den drei genannten agierte nur in The Post eine Ko-Autorin: Elizabeth Hannah). Maria Schrader kann diesen Aspekten mit She Said einiges entgegensetzen, bleibt aber auch dem Format treu, indem sie die Erzählung atmosphärisch als Thriller kreiert und spannungsgeladenes Tempo hineinbringt. Die Heldinnen der Geschichte, die Rebecca Lenkiewicz am Sachbuch orientiert als Drehbuch adaptierte, sind Jodi Kantor (Zoe Kazan) und Megan Twohey (Carey Muligan).

Die Handlung von She Said setzt ein, als die bereits schwangere Thowey gerade noch mitten in einer Reportage über sexuelle Übergriffe durch den damaligen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump steckt. Souverän und kampfbereit führt sie in ihrem Wohnzimmer ein Telefonat mit dem zukünftigen Präsidenten, dem die Anklagepunkte aber – wir kennen das nachfolgende politische Zeitgeschehen – keine Wahlschlappe bringen sollten. Trump respektlose Antwort entspricht jener, die er der Journalistin Thowey damals tatsächlich entgegnete. Bereits in den ersten Szenen etabliert der Film jene Eckpfeiler, die die Haupthandlung auch im weiteren Verlauf tragen werden: zentral ist der Kampf gegen Täter sexueller Übergriffe und die Arbeit der Journalistin nimmt auch ihren privaten Raum, ihre theoretisch berufsfreie Zeit ein. Während Thowey sich aufgrund ihrer Schwanger- bzw. Mutterschaft für einige Monate – Postpartum Depression inklusive – dem Tagesgeschäft des New York Times Büros entzieht, steigt Kollegin Jodi Kantor in eine Recherche ein, die zunächst nur mit einem Hinweis beginnt aber für die leitende Redakteurin Rebecca Corbett (Patricia Clarkson) sofort deutlich den potenziellen Gipfel eines systemerhaltenden Eisberges darstellt: es liegen Berichte über sexuelle Übergriffe des Miramaxgründers und Hollywoodmoguls Harvey Weinstein vor.

© Universal Pictures

Im Laufe der zweistündigen Handlung folgen wir den Journalistinnen, wie sie von einer Spur zur nächsten gelangen und dabei versuchen, für die Veröffentlichung ihres anstehenden Artikels möglichst viele handfeste und folgenschwere Beweise liefern zu können. Weinsteins Vergewaltigung der Schauspielerin Rose McGowan oder seiner Praktikantin Rowena Chiu während der Festspiele in Venedig, die Informationen der langjährigen Assistentin Zelda Perkins, Gwyneth Paltrows oder Ashley Judds (die sich im Film selbst spielt). Offene Gespräche in Cafeterias, gedämpfte Konversationen an privaten Eingangstüren, taktische Besprechungen mit untergeklemmten Notizen im New York Times Gebäude, dringende Anrufe mitten in der Nacht: She Said präsentiert uns die Recherchen auf einem filmischen Tablett, das sich zwar als stilistisch vertraut aber deshalb nicht weniger spannungswirksam herausstellt. Auch entfalten sich die Tragweite und gleichzeitig die Herausforderung der Recherchen recht schnell vor den Augen eines aufmerksamen Publikums: Wie die erhaltenen Informationen nützen, wenn die betroffenen Personen ihre Aussagen nicht öffentlich machen wollen? Denn Kantor und Thowey stellen bald fest, dass sie nicht die ersten sind, die versuchen, den Fall Weinstein ans Licht zu bringen. Im Weg stand bisher das geniale System Miramax, mithilfe dessen Weinstein seine Missbräuche aufrecht erhalten und unbeachtet lassen konnte: Erhob eine Person, die sexuellen Missbrauch erfuhr, Anklage gegen den Gewalttäter Weinstein, handelten seine Anwälte schnell eine Abfertigungssumme aus und erlegten zusätzlich die Kondition der Schweigepflicht in einem Vertrag auf, der den Opfern danach nicht mehr zugänglich war, Kopien ausgeschlossen: der totale Entzug jeglicher Beweise. Die Journalistinnen befinden sich ständig auf dem glattem Eis des Schweigens, zu dem Miramax die Frauen verpflichtet hat. Nun liegt es in der Entscheidung der Opfer, die sich mit ihren traumatischen Erfahrungen zurückgezogen haben, ob sie dieses durchbrechen können und wollen. Ohne Aussage, ohne Beweise werden Kantor und Twoheys Recherchen Sprengkraft verlieren und Weinstein, wie Trump, als alter Charmeur mit seinen vernachlässigungswürdigen Kavaliersdelikten, davonkommen.

Es ist ein großer Triumph, dass She Said den Täter, dessen über allem schwebende Omnipräsenz eine Unvermeidlichkeit darstellt, nur ein einziges Mal, und zwar in einer Halbnahen von hinten, im Bild erscheinen lässt. Denn hier stehen die Frauen, ihre Namen, Aktionen und Gesichter im Zentrum. Hier geht es um die Frauen, die sich wehren und die sich untereinander verbünden und auch mit ihren männlichen Allies – wesentlich beteiligt ist etwa Chefredakteur Dean Baquet (Andre Braughter), der dem System Weinstein genauso vehement den Kampf ansagt – am Fall des Systems arbeiten.
Die Lebenspartner an der Seite der beiden Journalistinnen verkörpern unterstützende Nebengestalten, denen durch das auffallend häufige widerstandslose Übernehmen der Care-Arbeit das Label Working Dad mit einem weinenden und lachenden Auge übergestülpt werden könnte. Dass diese Partner mit den Kindern am Arm durch ihre Zurückhaltung und Bescheidenheit so auffallen, macht in dieser Umkehrung einer patriarchalen Repräsentationsnorm die starre Imbalance noch immer vorherrschender Figurenzeichnungen bewusst: weibliche Figuren mit Kindern nennen wir Working Mums, männliche Figuren mit Kindern bekommen keine Beschreibung umgehängt, es sei denn sie sind alleinerziehend und deshalb sehr rührend oder werden auf ironische Weise zu Hausmännern degradiert.

Schrader macht also auch das Privatleben der beiden Journalistinnen, das in der Buchvorlage keine Rolle spielt, sichtbar. Auch fällt eine Szene auf, die zwar für sich steht, aber in ihrer Alltäglichkeit wieder den Kern des Systems trifft, in dem Männer es sich angewöhnen, zu insistieren und ein „Nein“ nicht zu akzeptieren. Als Kantor und Twohey sich in einem Lokal an einen Tisch setzen, kommt ein Mann aus der Nähe, er möchte ihnen Gesellschaft leisten. Twohey lehnt ab, sie möchten unter sich bleiben, doch der Mann insistiert weiter, bis Twohey schließlich explodiert und ihn beschimpft. Viele Frauen kennen diese Situation in und auswendig. Durch solche Momente schafft es She Said Verbindungen des Machtsystems Hollywood mit unserem Alltag im Patriarchat herzustellen, um die Weinsteins und Trumps nicht als Einzelfälle dastehen, sondern als Puzzleteile eines strukturellen Problems erkennbar werden zu lassen. Außerdem ehrt She Said die Arbeit von Journalistinnen wie Kantor und Twohey, deren von Solidarität geprägten Teamspirit und erinnert uns, dass die vielen Weinsteins, die noch zu Fall zu bringen sind, ihre Posten nicht von alleine aufgeben werden.

Bianca Jasmina Rauch
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