Female Gaze – Warum strukturelle Veränderung unerlässlich ist

Das Filmsymposium im Cinema Quadrat, das im Juni 1986 ins Leben gerufen wurde, ist eine regelmäßige Veranstaltung, bei der sich Menschen um ein Diskussionsforum versammeln, um Filme zu sehen. Das kommunale Kino, das ehrenamtlich arbeitet, organisiert diese Veranstaltung einmal im Jahr für drei Tage, um verschiedene Themen zu diskutieren (zu den jüngsten Themen gehören „Filmtricks und Special Effects in der filmischen Erzählung“, “ Perspektiven der Diversität“ und „Sounds of Cinema“). In diesem Jahr lag der Fokus auf dem weiblichen Blick, Filmlöwin war dabei und hat sich ein paar Gedanken zu filmfeministischen Veranstaltungen gemacht.

© Cinema Quadrat

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Der Female Gaze – ein bestrittenes Thema

Für das 36. Mannheimer Filmsymposium hat sich das Cinema Quadrat vorgenommen, den „Female Gaze – Der weibliche Blick“ zu diskutieren und zu analysieren. Das Mannheimer Kommunale Kino hat sich die Messlatte für diese Aufgabe selbst hoch gelegt. Der „weibliche Blick“ ist nicht nur ein positives Gegenprogramm zum hegemonialen männlichen Blick, den die Filmtheoretikerin Laura Mulvey in seiner konkreteren Ausprägung diagnostiziert hat, sondern auch einer der am heftigsten umstrittenen Begriffe der Filmwissenschaft. Es liegt an jeder:m selbst, den weiblichen Blick auf ihre:seine Weise zu verstehen, sei es oppositionell (als Antwort auf Mulveys Theoretisierung des männlichen Blicks), systematisch (in Bezug auf den Anteil von Frauen in Produktionen), psychoanalytisch (als Umstrukturierung des Begehrens im Gegensatz zur traditionellen Filmtheorie) oder kulturell (als eine Art von Kulturkritik). 

Definitionen, Debatten, Interpretationen und Kritik sind ständige Themen, die mit dem „weiblichen Blick“ verbunden sind. Klar ist jedoch, dass sich hinter den meisten Interpretationen ein positiver, emanzipatorischer Antrieb verbirgt, der die von Männern dominierte Welt auf mehreren Ebenen kritisiert, sowohl in diskursiver als auch in praktischer Hinsicht. Die „Lösung“ scheint naheliegend: Bringt Frauen hinter die Kamera, dann wird der weibliche Blick erscheinen. Der Mulvey-Aufsatz geht über die bloße Empfehlung hinaus, mehr Frauen hinter die Kamera zu holen: Er skizziert auch nicht-narrative Formen als Antwort auf den Malestream. „Frauen, deren Bild immer wieder gestohlen und für diesen Zweck verwendet wurde, können den Niedergang der traditionellen Filmform nicht mit viel mehr als sentimentalem Bedauern betrachten.” (Mulvey, 1975)
. Sich in terminologischen Debatten zu verlieren, bedeutet allerdings  oft, sich zu sehr auf akademischem Terrain zu bewegen; die Praxis als eine Reihe konkreter Fälle zu analysieren, birgt die Gefahr, das größere Bild zu verpassen, in dem strukturelle Kritik gemacht werden kann. Denn diese Debatten finden in einer von Männern dominierten Welt statt, in der die Richtigkeit feministischer Interventionen von vornherein in Frage gestellt und als „Minderheitenthema“ verstanden wird. 

Gegen diese strukturelle Schwierigkeit, auf die Debatten um den weiblichen Blick selbst stoßen, hat die feministische Tradition eine reiche Geschichte, feministische Räume so zu organisieren, dass ein schwesterliches, kameradschaftliches und solidarisches Umfeld erreicht werden kann. In solchen Räumen, die so pädagogisch sind wie ein wissenschaftliches Symposium, aber auch einladend, was der universitäre Raum ironischerweise oft nicht ist, erleichtern die Moderator:innen  das Gespräch, indem sie den Austausch mit dem Publikum fließend und respektvoll gestalten und den Podiumsteilnehmer:innen die Möglichkeit geben, die Fragen so ausführlich wie möglich zu beantworten. 

Das Cinema Quadrat Symposium über den weiblichen Blick sollte daher als Chance verstanden werden, kritisch auf die aktuelle Veranstaltungspraxis mit feministischen Fokus zu schauen. 

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“Brainwashed” von Nina Menkes: die Vereinfachung einer noch komplexeren Situation

In dem Fall begann das Symposium mit einem Video von Agnes Varda, in dem sie eloquent und kämpferisch über die Entwicklung der Rolle der Frau im Produktionsprozess des Filmemachens spricht. Ihre Worte, die vom Cinema Quadrat ins Deutsche übersetzt wurden, spiegeln die Gedanken der 68er Generation und die allgemeine feministische Stimmung in Aktivist:innen- und Akademiker:innenkreisen in Frankreich wider. Dr. Peter Bär, der auch Moderator für die ganze Veranstaltung war, folgte dem Video mit einer kleinen Einführung und so begann das Symposium mit einer Vorführung von “Brainwashed: sex, camera and power“ von Nina Menkes.

Der Film stellt eine Einführung in den männlichen und weiblichen Blick dar. Menkes analysiert sehr grob und ohne viel Subtilität die vielen verschiedenen Arten, wie der männliche Blick Filme beeinflusst hat. Er hat sie nämlich zu einer Maschine gemacht, in der die Objektivierung von Frauen zur Tagesordnung gehört. Der Dokumentarfilm stellt eine Art Dreiklang dar, in dem der männliche Blick in Beziehung zu sexueller Belästigung und Arbeitsbedingungen gesetzt wird. Mulvey selbst taucht ein- oder zweimal auf, aber ihre Aussagen, die interessanter sind, als es der Dokumentarfilm zulässt, beschränken sich auf eine sekundäre, oder besser gesagt tertiäre Rolle in einem Dokumentarfilm über ihre eigene Kritik am Hollywood-System. 

Ohne eine klare Begründung, außer dass sie ihre Behauptungen theoretisch untermauert, präsentiert Menkes eine Reihe von Prominentinnen, Anwältinnen und Akademikerinnen, die ihr Verständnis des männlichen Blicks als repressiver, unsolidarischer und vergewaltigungsmotivierender Mechanismus untermauern. Diese Unmittelbarkeit macht den Film so spannend, dass er in einigen US-Kanälen sicher noch eine ganze Weile laufen wird. Ob ihre Beispiele jedoch tatsächlich ihre Argumentation stützen, bleibt, um es freundlich auszudrücken, der:m Leser:in überlassen. In ähnlicher Weise muss man sich fragen, wie glaubwürdig die Ansichten sind, wenn man sein eigenes Werk als Gegenmittel für die aktuelle Malaise Hollywoods ins Spiel bringt. Das Thema ist zu groß und zu komplex für diesen Dokumentarfilm, der hilflos versucht, die Problematik mit Formeln zu erfassen. 

“Heldinnnen-Reisen”: die Komplexität des männlichen und weiblichen Blicks

Ursula von Keitz, auch zu sehen in der Asta Nielsen ABC. Filme und Fragmente Reihe des Filmmuseums Potsdam, hielt einen Vortrag mit dem Titel „Heldinnen-Reisen? Narration, Blickstrukturen und Figurenentwicklung im (nicht nur) feministischen Film“)“ Von Keitz ging es darum, den weiblichen Blick im Kontext der Heldinnen-Reise zu verstehen. 

Von Kietz knüpfte gekonnt an das freudsche Konzept der Fetischisierung an und veranschaulichte ihre Ausführungen mit Screenshots, die in einer Matrix gipfelten, die den Unterschied zwischen der männlichen und der weiblichen Heldenreise verdeutlichte, die in der Präsentation entwickelt wurde. Ein solches Unterfangen führte zu erhellenden Momenten echter Einsicht, wie etwa das binäre Verständnis der Helden- und Heldinnenreise, die nach der Präsentation je nach erzählerischer Notwendigkeit gemischt und angepasst werden können. Die Fragen aus dem Publikum zeigten, wie schwierig es ist, über die von Keitz fachmännisch nachgezeichnete Binarität hinauszudenken. Der Tag endete mit Titane, einem Film, der zuvor in Nina Menkes‚ Film als Beispiel dafür genannt worden war, wie der männliche Blick von Filmemacherinnen eingesetzt werden kann.

Ästhetische Einordnung, ein Highlight des Symposiums

© sixpackfilm

Es gab aber auch einige Highlights: Esther Buss, die mit mehreren Beiträgen im schriftlichen Programm vertreten war, hielt den Vortrag „Köperinszenierungen / Körperbilder“. In ihren Beiträgen plädierte Buss für den weiblichen Blick als eine Art Kulturkritik, die in der Lage ist, Räume des Dialogs, des Dissenses und der produktiven Zuschauer:innenschaft im Sinne einer aktiven Betrachterin zu eröffnen, die Darstellungen und Bilder hinterfragt, die uns vorgesetzt werden. Dies spiegelte sich in ihrer Präsentation wider, in der sie eine Reihe von Filmemachern wie Chantal Akerman, Joanna Hogg, Athina Rachel Tsangari, Nanouk Leopold, Lilith Kraxner und Milena Czernovsky und deren Verständnis von Raum und Intimität als eine Art von Frau-Werden oder Frau-Sein vorstellte, die sich den Rahmen für die Entfaltung und Beobachtung des Körpers neu aneignen. 

Buss’ Präsentation gehört zu den besten, weil sie diese Linie nachzeichnete und die Lehren aus dem weiblichen Blick als einem oppositionellen, aber auch ausdrucksstarken Blick aufnahm. Die gezeigten Filme haben den alternativen Charakter des Blicks und die Position der Frauenkörper in ihrer Rahmung verstanden, indem sie nach anderen Konfigurationen und Möglichkeiten der Rahmung strebten. Die Rezeption solcher Filme kann recht schwierig sein, da ihr Tempo nicht der Norm entspricht und sie eine andere Art von Grammatik aufweisen, die weit vom Mainstream-Kino, wie wir es kennen, entfernt ist, sowie von den Überschreitungen des Edgy-Arthouse-Kinos. Die Betrachtung und das Verständnis von Zeit und Raum als Orte der Untersuchung ist der Punkt, an dem sich die von Buss skizzierten Filme treffen. Diese Schwierigkeit zeigte sich in der Diskussion, als ein Zuschauer schnippisch bemerkte, dass, wenn dies die Bemühungen des weiblichen Kinos seien, es keine Frage sein sollte, warum sie nicht die Augen des Mainstream-Publikums erreichen könnten.

Männliche Raumübernahme: immer noch ein Problem

© Criterion Collection

© Criterion Collection

Allerdings war das Hauptproblem beim Symposium eins, das häufig stattfindet, wenn diese Themen von “außen” gesprochen werden. Eine männliche Raumübernahme ist im Wesentlichen Ausdruck eines Phänomens, das man in der Bahn beobachten kann: Es gibt nur wenige freie Sitzplätze und trotzdem sitzt eine Gruppe von Männern mit weit gespreizten Beinen da und nimmt dabei mehr Platz ein als nötig. Ähnliches geschieht in sozialen und kulturellen Räumen: Männer nehmen den größten Teil des Raums ein, der ihnen zur Verfügung steht, um über sich selbst zu sprechen, über die Themen, die sie für wichtig halten, und spreizen dabei ihre metaphorischen Beine, bis niemand mehr reden kann.

Nirgendwo wurde die Notwendigkeit einer Sensibilisierung für dieses Problem so deutlich wie bei der Diskussion im Anschluss an die Vorführung von Céline Sciammas Porträt einer jungen Frau in Flammen, zu welcher auch Filmlöwin Bianca Jasmina Rauch geladen war. Themen des Gesprächs waren Sciamma, der weibliche Blick, die Infragestellung des männlichen Blicks als Begriff an sich, der objektivierende Blick, Top Gun Maverick, die vermeintliche Neutralität von Überwachungskameras, die Unpolitizität von Claire Denis, der Unterschied zwischen Filmkritik und Filmwissenschaft, dass einige von Celine Sciammas Filmen mit einem männlichen Blick gedreht wurden und mehr. Nach etwa 20 Minuten dieser Punkte kam Bianca endlich ins Gespräch. Wenn das für ein Symposium, das sich mit dem weiblichen Blick beschäftigt, unterentwickelt und kontraproduktiv klingt, dann war es das halt auch. Während der Diskussionsrunde widersprach eine weibliche Teilnehmerin einigen dieser Punkte mit einer Mischung aus Frustration und dem Willen, etwas zu korrigieren. Sie wurde jedoch prompt abgewimmelt, wie es männliche Teilnehmer in weiblichen Veranstaltungen zu tun pflegen, wenn sie von weiblichen Stimmen widersprochen werden. Ein solches „Gespräch“ trug wenig dazu bei, Porträt der jungen Frau in Flammen zu analysieren, und zog es ja stattdessen vor, eine Flut von weniger wichtigen Themen auf einer Veranstaltung zu behandeln, die eigentlich Raum für andere Stimmen schaffen sollte. 

Um eine feministische Filmveranstaltung zu kuratieren, oder in diesem Fall eine Veranstaltung über Frauen und Film, sollte sich vorher dringend Gedanken über Konzept und Zielgruppe gemacht werden. Welche feministische Haltung liegt zugrunde, welche Definition? Wie spreche ich wen an? Wie gestalten ich einen sicheren Raum? Über die Stimmen hinwegsprechen, denen eigentlich Raum gegeben werden soll, darf bei einem feministischen Symposium keinen Platz haben. Einfach ein paar Themen zusammenstellen, die sich gut anhören, und ansonsten alles beim Alten lassen, reicht in dem Fall leider nicht. Um ein Gespräch über diese Themen zu führen und ein feministisches Filmsymposium zu veranstalten, muss man die Beschaffenheit des Raums berücksichtigen, eine Atmosphäre der schwesterlichen Kameradschaft und des Verständnisses kultivieren, die alle einschließt, ohne Angst oder Unsicherheiten über das, was wir wissen und was wir nicht wissen. 

Ein einladendes Umfeld geht Hand in Hand mit der Wahl des Moderators, der in diesem Fall ein Mann war,  der es auf sich nahm, Fragen aus dem Publikum zu beantworten, anstatt die weiblichen Teilnehmer sprechen zu lassen. Doch auch mit der Auswahl der Personen, die zu der Veranstaltung eingeladen werden. Dies wurde von feministischen nicht-akademischen wie auch akademischen Organisationen jahrelang gelehrt, jedoch ist ein Problem, das alle Veranstaltungen über feministische Themen aus einer Außenseiterperspektive plagt, solche Probleme sind systematischer als dieses Symposium, das nur das jüngste Symptom eines strukturellen Problems ist. Jene Veranstaltungen stellen klar, dass es außerhalb der sogennanten progressiven Hauptstädte Europas noch eine Menge Arbeit zu tun gibt. Kameradschaft und schwesterliches Gefühl müssen nicht nur vorhanden werden, sondern auch entwickelt und obwohl es zu applaudieren ist, dass kommunale Kinos sich mit progressiven Themen beschäftigen, fehlten die Bedingungen für einen sicheren feministischen Raum für Austausch und Lernen. Darüber hinaus muss es mehr Kompromisse geben, um diese Themen weniger oberflächlich zu behandeln, nicht als Minderheitenthema, sondern als Affront gegen männliche Ansätze, damit man nicht zu mehr Lärm beiträgt, wo Klarheit und Verständnis erforderlich sind.

Giancarlo M. Sandoval
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