Queer Gardening

Gärten – das sind paradiesische Orte. Imaginierte Sehnsuchtsorte, Orte des Rückzugs, der Intimität und Fantasie. Doch bei all der wuchernden Träumerei ist dem Paradies auch fortwährend Konflikt eingeschrieben. Koloniale Ausbeutungsverhältnisse, patriarchale Vorstellungen von Wachstum und Fortpflanzung, christliche Moralvorstellungen strukturieren Gärten als physische Orte sowie Denkfiguren. 

„Land use is never innocent”, erklärt Filmemacherin Ella von der Haide zu Beginn ihres Dokumentarfilm Queer Gardening (USA/CAN 2022). Durch die filmische Begegnung mit vielfältigen queeren Garten-Gemeinschaften, Gärtner*innen, Kollektiven und Initiativen, die Hortikultur in queerer Solidarität betreiben und sich historischen Ausbeutungs- und Ausgrenzungsverhältnissen widersetzen, eröffnet Queer Gardening eine Collage wachsender Orte zwischen Konflikt und Utopie. Eine Erzählung, die das Paradies nicht von der Schuldfrage befreit, sondern Schuld zur dringenden Frage nach Verantwortung und Fürsorge abseits patriarchaler Moralvorstellungen umgestaltet. 

© Ella von der Haide

Über zwanzig urbane und ländliche Orte in ganz Nordamerika besucht von der Haide für ihren Film und dokumentiert deren landwirtschaftliche Praxen, sowie die Notwendigkeiten und Sehnsüchte, die darin verwurzelt sind. Die queeren Zusammenschlüsse, denen sie begegnet, reagieren mit Gegenentwürfen auf jene kapitalistischen Machtverhältnisse, die Land und dessen Nutzung – sowie die daraus entstehenden ökologischen Konsequenzen – denjenigen mit mehr ökonomischem Kapital zusprechen. Im Austausch mit den Protagonist*innen wird deutlich, dass es sich um keine neuen Schieflagen in der Macht- und Landverteilung handelt. Der Anspruch auf Umwelt und wie diese für den Menschen zur Verfügung zu stehen hat, entspringt gewaltvollen Beziehungsverhältnissen der Unterdrückung und ist (unter anderem) in den USA schlichtweg untrennbar mit kolonialem Landraub und patriarchalen Besitzverhältnissen verknüpft. Hortikultur wird unter diesen Gesichtspunkten zur Schnittstelle von Fragen nach sozialer wie ökologischer Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. 

Die bruchstückhaften Einblicke in die queeren Gärten von Queer Gardening unterstreichen diese Schnittstelle sowie dass es sich bei diesen Projekten vor allem um Orte für Gemeinschaft handelt, die binäre Ordnungssysteme hinterfragen und herausfordern. Gesellschaftlich konstruierte Gegensatzpaare wie „Mensch – Natur“, „Mann – Frau“, „Natürlich – Widernatürlich“ werden dabei nicht nur von den Gärtner*innen, sondern auch von den Pflanzen selbst verworfen: Asexuelle Vermehrung, multiple, sich ständig ändernde Geschlechtsidentitäten und symbiotische Pflanzengemeinschaften fordern heteronormative Vorstellungen von (Fort-)Pflanzung und damit auch von „Natürlichkeit“ heraus. Und schnell wird (wenig überraschend) deutlich, dass die Kategorien, mit denen unsere Welt beschrieben wird, nicht ausreichen, um die existierende Vielseitigkeit sich ständig in Transformation befindender Lebensformen zu beschreiben. 

© Ella von der Haide

In der Überschneidung von landwirtschaftlicher Arbeit, Aktivismus, queer-feministischer sowie anti-kolonialer Theorie und indigenen Wissenformen entpuppt sich der Garten in der Dokumentation als Ort unendlich vieler queerer Lebensformen, die Vorstellungen von „Natur“ und „Natürlichkeit“ als kolonial-heteronormative Konstrukte auffliegen lassen. Feministische Theorien und Epistemologien abseits Westlicher und weißer Wissensproduktion, sowie gelebte Erfahrungen von Ausgrenzung innerhalb gesellschaftlicher Ungleichverhältnisse sind für viele der Gärtner*innen essenziell, um Gemeinschaft und Landnutzung als Gegenentwurf nicht nur zu denken, sondern zu leben. Für die Entwicklung von Alternativen zur kapitalistischen Ausbeutung von Land greifen die porträtierten Gemeinschaften auf vielfältige Wissensbestände zurück, die oft – wie Landnutzung selbst – durch koloniale Gewalt reguliert wurden und werden. 

Queer Gardening wählt für den Bruch mit Konventionen jedoch filmisch sehr konventionelle Erzählmethoden: Gespräche verweilen in klassischen Interview- und Talking Head-Einstellungen, die Auseinandersetzung mit Pflanzen, Gärten und Landschaften verharrt in Aufnahmen, wie sie aus Dokumentationen seit Jahrzehnten bekannt sind. Eingangs von der Filmemacherin als  “Puzzle, inviting to play“ vorgestellt, lässt sich im Film selbst wenig Raum für Spiel, Transformation, Dekonstruktion und eigene Imagination finden. In der Erzählstruktur bleibt der Film dadurch leider entgegen aller transportierten Inhalte, Vorstellungen und gelebten Praxen der besuchten Gärtner*innen und Gärten statisch, wodurch die Distanz zwischen Erzählung und Erzähltem mit fortlaufendem Film immer größer wird. 

Zeitgleich zu Ella von der Haides Arbeit wagen Filme wie Geographies of Solitude (R: Jacquelyn Mills, 2022), Herbaria (R: Leandro Listorti, 2022) oder The Silence of the Banana Trees (R:  Eneos Çarka, 2022) feinfühlige Versuche, durch experimentelle Erzählweisen Gärten, Pflanzen und ganze Landschaften zu Protagonist*innen zu machen. Wenn Eneos Çarka in seinem Film Bananenbäume zu emotionalen Beobachter*innen mit eigenen Erzählmomenten werden lässt, die zunächst noch in sanfter Zurückhaltung Räume füllen und schließlich durch ihr stetiges Wachsen und Vermehren vom einsamen Verstreichen der Zeit erzählen, oder Jaqueline Mills analogen Film mit Meerwasser und Pferdehaar entwickelt, lassen diese Filme das Erzählte mit den Erzählenden verwachsen. Die Perspektive auf „Umwelt“ verändert sich dadurch, tritt sie nicht zuletzt aus der Position der schweigenden Kulisse hervor. 

Während in diesen Arbeiten die Auseinandersetzung mit nicht-menschlichen Charakteren bekannte Perspektiven, Geschichten und Sprachen herausfordert, bleibt Queer Gardening in der Trennung zischen Form und Inhalt verhaftet. Der Wunsch nach der Auflösung der starren Grenzen zwischen den binären Konstruktionen „Mensch“ und „Natur“ bleibt im Fall von Queer Gardening im Garten selbst zurück. Nichtsdestotrotz geht Ella von der Haide einer nicht zu vernachlässigende Wichtigkeit nach: Der Dokumentation und Historisierung queerer Communities, die sich an der Schnittstelle von Climate Justice und Social Justice bilden und alternative Möglichkeiten für Gemeinschaft und Landwirtschaft in Zeiten der Klimakatastrophe eröffnen. Trotz vereinfachter Erzählweisen gestaltet sich Queer Gardening dadurch zu einem zugänglicher Dokumentarfilm von aktueller Dringlichkeit mit inhaltlicher Stärke. 

Queer Gardening läuft weiterhin österreichweit im Rahmen von Hunger Macht Profite – Filmtage zum Recht auf Nahrung


© Lorenz Zenleser

Lisa Heuschober ist Kuratorin, Kulturarbeiterin und Autorin based in Wien. Seit 2024 ist sie Co-Leiterin des feministischen Animationsfilmfestivals Tricky Women Tricky Realities. Für u.a. YOUKI – International Youth Media Festivalframe[o]ut im MuseumsQuartier und Gartenbaukino Wien gestaltet sie Filmprogramme, Workshops und Gesprächsformate. Als freie Autorin schreibt sie am liebsten zu Erinnerungsarbeit, sowie den vielfältigen Erzähl- und Handlungsmöglichkeiten durch Film.