Oskars Kleid

Passend zu Weihnachten brachte Hüseyin Tabak eine Familienkomödie nach dem Drehbuch von Florian David Fitz auf die Kinoleinwand. Der Film handelt von Lili (Laurì) oder viel mehr von Lilis Vater Ben (Florian David Fitz), der nicht akzeptieren will, dass sein Kind trans ist. Weil Ben seine Tochter als Junge in Mädchenkleidern sieht, lautet der Titel des Films Oskars Kleid.

© 2021 PANTALEON Films GmbH / Erfttal Film- und Fernsehproduktion GmbH & Co. KG / Warner Bros. Entertainment GmbH

Viele Medien feierten den Film dafür, dass Oskars Kleid Transgeschlechtlichkeit einem größeren Publikum zugänglich macht. In Interviews betonte Drehbuchautor Fitz, ihm ginge es um Sensibilisierung. Die queere Community reagierte bereits im Vorfeld skeptisch auf den Film. Als Teil dieser Community wollten wir uns aber selbst ein Bild machen und sahen Oskars Kleid zwischen den Jahren im Berliner Kant-Kino.___STEADY_PAYWALL___

Oskars Kleid ist aus der Perspektive des Vaters erzählt. Ben ist Polizist, Alkoholiker und Vater von zwei Kindern, die bei ihrer Mutter Mira (Marie Burchard) aufwachsen. Mira ist hochschwanger von ihrem neuen Partner Diego (Juan Carlos Lo Sasso). Als die Ärzt:innen ihr strikte Bettruhe verordnen, besteht Ben gegen den Willen der Mutter darauf, die Kinder vorübergehend zu sich zu nehmen. Ungeduldig, weil er eigentlich im Dienst und überhaupt nicht vorbereitet ist, ruft er beim Abholen mehrfach nach Oskar. Schließlich tritt ihm Lili in ihrem gelben Lieblingskleid gegenüber.

Lilis Entmündigung beginnt mit dem Filmtitel

Lili ist zu diesem Zeitpunkt bereits einige Monate out gegenüber ihrer Mutter und Diego sowie ihrer jüngeren Schwester Erna (Ava Petsch). Die Mutter und ihr neuer Partner schützen Lili umfänglich: mit einem Schulwechsel und im Umgang mit dem Vater. Dieser reagiert (wie seine Ex-Frau bereits angenommen hatte) mit Unverständnis, Aggression und Gewalt. Als ein Psychologe Ben erklärt: „Ihr Sohn ist ein Mädchen”, rastet der Vater aus und schmeißt einen Stuhl gegen das Fenster. Zu Hause richtet er ein Männlichkeits-Boot-Camp ein, in dem im Stehen gepinkelt, Klimmzüge gemacht und Baumhäuser gebaut werden. Sein archaisches Männlichkeitsbild zeigt sich auch, wenn er Lili anstachelt, in Schlägereien am härtesten zuzuschlagen.

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Geschlechterklischees, (sexualisierte) Gewalt und Missbrauch sind in Oskars Kleid allgegenwärtig, ohne dass sie je ernsthaft bearbeitet werden. Oft ist Ben in Gegenwart seiner Kinder so betrunken, dass sie die Verantwortung für ihn übernehmen. Im Krankenhaus küsst Ben Mira ohne deren Einverständnis in der Überzeugung, sie müsse ihn noch lieben. Aus Eifersucht schlägt er an anderer Stelle ihren neuen Partner, den er regelmäßig bedroht (mit körperlicher Gewalt oder anlassloser Verfolgung durch die Polizei) und rassistisch beleidigt. Auf Bens Polizeirevier gibt es eine Sexismuskasse, die vor allem gefüttert wird, wenn die Kollegen ihren Chef Peter als “Petra” ansprechen. Ginge es Fitz um die Darstellung rassistischer und sexistischer Strukturen in der Polizei, wäre ihm das gelungen. Aber eigentlich soll es ja um Transgeschlechtlichkeit gehen und außerdem reicht Diskriminierung zu zeigen nicht aus, um diese zu kritisieren.

Die Entmündigung Lilis beginnt mit dem Filmtitel Oskars Kleid. Deadnaming und Misgendering ziehen sich durch den Film. Selbst unterstützende Personen sprechen über Lili, immer wieder als “er” oder rufen sie “Oskar”. Das ist respektlos und suggeriert eine Verwirrung, die es gar nicht gibt. Lili ist sich ihrer Identität bewusst und verteidigt diese gegen ihr transfeindliches Umfeld. Eine ältere trans Frau – die im Film namenlos bleibt und von Georgette Dee gespielt wird – betont, dass es in dieser Frage ausschließlich um Lili gehen sollte. Ihr Gespräch mit Ben ist eine der wenigen sachlichen Auseinandersetzungen mit dem Thema innerhalb des Films, aber auch der namenlosen trans Frau legt Fitz eine Spitze á la LGBTIQ-ABCDE, die Liste von Identitäten werde ja immer länger, in den Mund.

Oskars Kleid reproduziert transfeindliche Talkingpoints

Der Film erscheint während der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um das Selbstbestimmungsgesetz. Tatsächlich behandelt der Film zahlreiche Themen, die für trans Kinder und deren Eltern relevant sind: Unverständnis der Eltern, Gewalt, Mobbing, Hormonsubstitution, Passing, die Suche nach Informationen zu trans Kindern. Dem Film gelingt jedoch kaum Aufklärung, weil er diese Themen nur anreißt und sie zwischen flachen Witzen verloren gehen. An verschiedenen Stellen reproduziert der Film transfeindliche Talkingpoints ohne diese einzuordnen oder ihnen argumentativ etwas entgegenzusetzen.

Geschlechtersensible Sprache wird am Beispiel des Neopronomens xi verhandelt, das Lilis Oma (Senta Berger) in einem Ratgeber findet. Ihr Ehemann erwidert auf ihre Entdeckung sinngemäß, gendergerechte Sprache sei Ausdruck von Faschismus. Der Film zeichnet Lilis Großeltern, insbesondere den Großvater, als konservativ und nimmt eine kritische Distanz zu ihnen ein – den Witz zu Lasten nicht-binärer Personen, die ansonsten nicht im Film vorkommen, nimmt er dennoch mit.

Auf der Suche nach Informationen zu trans Kindern stößt Ben zunächst auf den YouTube-Kanal eines transskeptischen Psychologen. Dieser behauptet, trans wäre „die neue Magersucht“. Rechte nutzen diesen Vergleich, um auszudrücken, trans wäre eine psychische Störung und ein Trend. Das ist transfeindlich und verharmlost Magersucht. Ben konfrontiert Mira damit, sie hätte Lili beeinflusst, in Wirklichkeit würde ihr nur ein Vater fehlen. Anstatt tatsächlich Verantwortung zu übernehmen – eine Therapie beginnen, einen Entzug machen oder eine Betreuung für seine Kinder organisieren, die er während seiner Arbeitszeit im Möbelhaus parkt – redet er Lili ins Gewissen, sie müsse “das” nicht tun, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Einmal mehr stellt Ben sich damit in den Vordergrund und setzt Lili enormem emotionalen Druck aus. Lili geht infolgedessen in Jungsklamotten in die Schule, nennt sich wieder Oskar – und wird verprügelt.

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Die Erkenntnis, dass sich nicht Lili ändern muss, sondern Ben, setzt mit dieser Zuspitzung langsam ein und kommt erst dann richtig bei Ben an, als Lili verschwindet. Spannend wäre eine Auseinandersetzung damit, wie die Verhaltensänderung gelingt und was sie beinhaltet, eine Reflektion, die den Zuschauer:innen eine Hilfestellung im Umgang mit trans Kindern bieten könnte. Stattdessen übergeht der Film Lilis drastische Äußerung “Ich wollte nicht weglaufen, ich wollte verschwinden. Ich bin das Problem, alle streiten wegen mir. Warum bin ich nicht wie alle, ich meine normal?”, mit der der Film erstmals ihr Gefühlsleben thematisiert. Statt der hier angemessenen ernstzunehmenden Verhandlung von Lilis emotionaler Belastung gibt es Kalendersprüche über Selbstakzeptanz, um dann direkt zu einem Happy End zu springen, das Ben und dem Publikum jede weitere (selbst-)kritische Auseinandersetzung erspart.

Oskars Kleid trägt nicht zu Gleichberechtigung und Akzeptanz bei

Vielleicht wollte Fitz Sensibilität schaffen. Im Kinosaal erlebten wir jedoch das Gegenteil. Das übergriffige Verhalten des Vaters, wenn er Lilis Kleid in den Müll schmeißt oder sie mit in die Männerumkleide nimmt, war beklemmend und schmerzhaft. Für uns jedenfalls. Für einen Großteil des Publikums im Charlottenburger Kant-Kino blieb der Film ein spaßiger Klamauk. Ältere Damen im Saal quittierten gender-nonkonformes Verhalten Lilis stoßseufzend mit einem „Ach herrje“, ihre lackierten Fußnägel mit „Ach du Scheiße”. Mit zunehmenden Konflikten im Film, aber auch mit dem andauernden entschlossenen Ringen Lilis um ihre Transition versiegte das Lachen im Kinosaal. Es flammte erneut auf, als der Vater in der letzten Szene auch einen Rock trägt.

Diese Szene ist durch ein Foto inspiriert, das Fitz nach eigenen Angaben in der EMMA sah. Auf besagtem Foto sind ein Vater und sein Sohn zu sehen, beide tragen Rock, keiner der beiden ist trans. Nils Pickert (der Vater auf dem Foto) schreibt spürbar getroffen auf Instagram: „Es ist als hätte [Florian David Fitz] unsere Geschichte genommen und alle Regler bis zum Anschlag aufgedreht, um daraus einen funktionierenden Kinofilm zu machen. Einen, der simplifiziert und auch lustig ist, damit möglichst viele Menschen sich dem Thema nähern“.

Das Drehbuch, das Fitz auf dem Foto aufgebaut hat, vermischt in dieser Vereinfachung Rollenbilder, sexuelle und geschlechtliche Identitäten. Noch dazu steckt es voller Klischees und ist überladen durch die zahlreichen Konflikte Bens mit seinen jüdischen Eltern, seiner Alkoholsucht, seiner Ex-Partnerin und schließlich der Transgeschlechtlichkeit seines Kindes. Es ist, als würde man einer KI sagen: „Schreib einen Film über ein trans Kind“ und sie vorher mit Tatort-Drehbüchern und EMMA-Ausgaben füttern.

Transfeindlichkeit, wie sie Lili im Film und uns im Kinosaal begegnet, findet auch in der Gesellschaft statt. In der gesellschaftlichen Debatte um die Verwirklichung von Menschenrechten, Diskriminierungsabbau, Gesundheit und sozialer Teilhabe von trans Menschen weiß Oskars Kleid zur Gleichberechtigung und Akzeptanz für trans Menschen nicht beizutragen.

Kinostart: 22. Dezember 2022

Den Text schrieb Lea Gronenberg von FILMLÖWIN gemeinsam mit Lea Lölhöffel. Lea Lölhöffel ist trans und jagt hauptberuflich Nazis im Internet. Hin und wieder guckt sie Filme, die sie nicht mag. Ihr Blick sucht Leerstellen und fordert freie und gleiche Teilhabe ein.

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