achtung berlin 2024: For the time being
Von ihrer Hochzeit gibt es nur ein Polaroid Foto, aufgenommen im New Yorker Sing Sing Gefängnis. Dort heiratete Michelle Bastien-Archer ihren Ehemann Jermaine, feierte Weihnachten und Geburtstage. Jermaine 1998 wurde auf Grundlage zweifelhafter Zeug*innenaussagen wegen vorsätzlicher Tötung zu lebenslanger Haft verurteilt, von der er mindestens 22 Jahre absitzen muss. Michelle hat es zu ihrer Lebensaufgabe gemacht, seine Unschuld zu beweisen. For the Time Being begleitet ihren Alltag und ihren Kampf um Jermaines Freilassung über fast ein Jahrzehnt.___STEADY_PAYWALL___
Die USA haben eine extrem hohe Inhaftierungsrate. Überproportional viele der Gefangenen sind People of Colour. Die Kampagne “One in Five” von The Sentencing Project macht auf die rassistische Ungerechtigkeit des Strafsystems aufmerksam. Mit For the Time Being richtet Nele Dehnenkamp den Blick auf die Ehefrauen von Inhaftierten, mit deren Lebenssituation sie sich zunächst im Rahmen ihres Soziologiestudiums in den USA wissenschaftlich befasste. In diesem Kontext lernte sie auch Michelle über eine Nichtregierungsorganisation kennen.
For the Time Being entstand im engen Dialog mit Michelle und bleibt inhaltlich wie visuell nah bei ihr. Über den langen Entstehungszeitraum des Films öffnet sie sich, teilt Sorgen und Hoffnungen. Der Traum von einem ganz normalen Familienleben treibt sie an und trägt sie durch unzählige Besuche bei Anwält*innen, Behördengänge und Proteste gegen die Ungerechtigkeiten des Justizsystems. Gleichzeitig muss sie allein für ihre Familie sorgen. Der Kontakt zu Jermaine, die Möglichkeit die Beziehung zu pflegen und organisatorische Absprachen zu treffen, beschränkt sich auf feste Telefon- und Besuchszeiten.
Fotos von wichtigen (Familien-)Ereignissen unterbrechen die Routine, sie markieren, dass wieder und wieder und wieder ein Jahr vergangen ist: Der Collegeabschluss von Michelles Kindern, ihr Umzug, der Ausbruch der Corona Pandemie, die Black Lives Matter Proteste. Nele Dehnenkamp vermittelt in ihrer Langzeitdokumentation die große Ungewissheit, unter der Michelle und ihre Familie leiden. Kann Michelle Jermaines Unschuld beweisen? Wann wird er frei kommen? Wie wird ihr Zusammenleben außerhalb der Gefängnismauern aussehen?
For the Time Being ist ein beeindruckendes Porträt einer Frau, die niemals aufgibt und für sich einsteht. Darüber hinaus soll der Film auf die Langzeitfolgen und die Belastung von Angehörigen durch Haftstrafen aufmerksam machen. Begleitend zum Kinostart am 18. April 2024 gibt es Filmvorführungen in Justizvollzugsanstalten. Beim achtung berlin Filmfestival ist der Dokumentarfilm bereits am 16. und 17. April zu sehen.
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