My Days of Mercy

My Days of Mercy beginnt als Roadmovie. Lucy (Ellen Page), ihre ältere Schwester Martha (Amy Seimetz) und ihr kleiner Bruder (Charlie Shotwell) sind im Campingmobil unterwegs. Allerdings fahren sie nicht in den Urlaub, sondern sind regelmäßig unterwegs zu Demonstrationen gegen die Todesstrafe. Die Geschichte der drei Geschwister ist dramatisch. Sie kämpfen um das Überleben ihres Vaters, der für den Mord an ihrer Mutter zu Tode verurteilt wurde, und wollen seine Unschuld beweisen. Bei einer der Protestaktionen trifft Lucy auf Mercy (Kate Mara), die auf der Seite der Bürworter_innen der Todesstrafe steht. Damit beginnt eine komplizierte Liebesgeschichte und die Selbstfindung zweier junger Frauen*.

© Kinostar Filmverleih GmbH

___STEADY_PAYWALL___

Die Geschichte klingt zunächst fürchterlich konstruiert und die Vermischung von Genres (Roadmovie, Sozialdrama, Krimi, Romanze, Coming of Age) überladen. Dennoch ist My Days of Mercy in sich schlüssig. Die einzelnen Handlungsstränge sind gekonnt miteinander verwoben, so dass die verschiedenen Elemente jeweils genug Raum erhalten und sich doch zu einem schlüssigen großen Ganzen verbinden.  Der Film steuert dabei nicht auf ein großes Finale zu, in dem alles zusammenläuft. Stattdessen lösen sich Probleme in ihrem eigenen Tempo. Lucys Geschichte bildet dabei den roten Faden.

Regisseurin Tali Shalom Ezer entwickelt die Liebesgeschichte der Protagonistinnen und ihre Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität unwahrscheinlich gefühlvoll und authentisch. Für die Sexszenen arbeitete sie dafür mit ihrer Ehefrau* zusammen.  Das Ergebnis ist eine Inszenierung voller Selbstverständlichkeit und Ernsthaftigkeit, eine glaubwürdige Darstellung durch Ellen Page und Kate Mara, sowie explizite, aber nicht voyeuristische Aufnahmen, die Vorbildcharakter haben.

© Kinostar Filmverleih GmbH

Tali Shalom Ezer greift mit ihrem Film gleich zwei Themen auf, bei denen sich die amerikanische Gesellschaft in Liberale und Konservative spaltet: Todesstrafe und Homosexualität. In 30 Bundesstaaten der USA werden bis heute Menschen zum Tode verurteilt – mit steigender Befürwortung der US-amerikanischen Bevölkerung. Die unterschiedlichen Positionen zur Todesstrafe innerhalb einer lesbische Liebesgeschichte zu verhandeln ist ein starkes Statement, denn unter der Regierung Trump steigt auch der Druck auf die LGBTIQ*-Community.

My Days of Mercy ist ein politischer Film, der ohne erhobenen Zeigefinger auskommt. Die Regisseurin und beide Hauptdarstellerinnen, die gleichzeitig als Produzentinnen am Film mitwirkten, positionieren sich unverkennbar auf Seite der Liberalen. Sie verzichten dabei jedoch auf eine Dämonisierung der Gegenseite oder plumpe Bekehrungsversuche. Lucys Perspektive, und damit die der Gegner_innen der Todesstrafe, ist zentral. Zugleich bekommen die Befürworter_innen Raum und mit Mercy ebenfalls eine Sympathieträgerin.

© Kinostar Filmverleih GmbH

Die gegensätzliche politische Ausrichtung führt zu Spannungen und Konflikten zwischen Lucy und Mercy, sie dominiert aber nicht die Beziehung der beiden. Ihre unterschiedliche Haltung zur Todesstrafe ist nur ein Symptom der Verschiedenheit in Ideologie und Klassenzugehörigkeit. Die Perlenohrringe tragende Mercy stammt aus einer erzkonservativen Familie. Lucys Ersatzfamilie besteht neben ihren Geschwistern aus der bunten Community von Gegner_innen der Todesstrafe. Während Martha das College abgebrochen hat, um die Rolle der alleinerziehenden Mutter für ihre jüngeren Geschwister zu übernehmen und Lucy händeringend nach einem Job sucht, macht Mercy Karriere in einer Anwaltskanzlei.

Beide Frauen* haben eine Hintergrundgeschichte und entwickeln sich im Verlauf des Films weiter. Der Filmtitel erinnert an 500 Days of Summer, das Paradebeispiel für  die Trope des Manic Pixie Dream Girls – einer weiblichen* Filmfigur, die mit ihrer unbedarft kindlichen Art, zur Entwicklung eines männlichen* Protagonisten beiträgt, während sie selbst eine platte Schablone bleibt – eine Trope eben. In My Days of Mercy haben die beiden zentralen weiblichen* Rollen gleichermaßen eine Hintergrundgeschichte und entwickeln sich im Verlauf des Films weiter. Neben der Liebesbeziehung spielen auch die Beziehungen zwischen Lucy und ihrem Vater, ihrer Schwester, ihrem Bruder und der Community der Gegner_innen der Todesstrafe eine große Rolle.

© Kinostar Filmverleih GmbH

Lucys Vater tritt als einziger Todestraktinsasse selbst in Erscheinung, wenn er mit seinen Töchtern interagiert. Die Beschäftigung mit der Todesstrafe beschränkt sich jedoch nicht auf diesen Einzelfall. Hinrichtungen strukturieren den Film. Eine Aufnahme der Henkersmahlzeit versehen mit dem Namen des Verurteilten, der Ortsangabe und des Urteils leitet jeweils einen neuen Filmabschnitt ein. Auf diese Weise richtet Tali Shalom Ezer das Augenmerk auf die Verurteilten, ohne die Hinrichtung zur Schau zu stellen.

© Kinostar Filmverleih GmbH

My Days of Mercy strahlt bildlich und erzählerisch Wärme aus und setzt damit einen Kontrast zu der Kälte und Unbarmherzigkeit des Todestrakts. Tali Shalom Ezer zeigt ein gutes Gespür für persönliche Belastungen und gesellschaftlichen Spannungen, die im Zusammenhang mit der Todesstrafe stehen. Sie ist sensibel für unterschiedliche Perspektiven, ohne ihren Standpunkt aufzugeben. Aus einem politisch aufgeladenen Stoff entwickelt sie so eine bewegende Geschichte über Familie, Liebe und Erwachsenwerden.

Kinostart: 11. Juli 2019

Letzte Artikel von Lea Gronenberg (Alle anzeigen)