FFMUC 2019: All I Never Wanted
Leonie Stade und Annika Blendl wollen einen Film machen. Ein Dokumentarfilm soll es werden, über die Schauspielerin Mareile Blendl und das 17jährige Model Nina, zwei Frauen* unterschiedlichen Alters an Wendepunkten ihrer Karriere. Auf dem Filmfest München finden die Filmemacherinnen einen großzügigen Finanzier und es kann endlich losgehen. Sie begleiten Mareile, die ihre Rolle in einer TV-Serie verliert und ins „Provinztheater“ nach Lindau wechseln muss. Und sie folgen Nina nach Milan, wo diese erste Schritte als internationales Model wagt. Doch beide als Erfolgsstories geplanten Geschichten laufen in eine unerwartete Richtung.
___STEADY_PAYWALL___
Und vor allem gibt es diesen Dokumentarfilm gar nicht. Oder besser gesagt: All I Never Wanted ist nicht dieser Dokumentarfilm, sondern ein Spielfilm mit einigen wenigen dokumentarischen Anteilen. Die Hauptfiguren spielen sich selbst unter eigenem Namen, bis auf Model Lida Freudenreich, die hier als „Nina“ auftritt. Fiktion und Realität fließen ineinander – nicht unbedingt, weil die inszenierten und dokumentierten Passagen nicht zu unterscheiden wären (sie sind es fast immer), sondern vor allem weil All I Never Wanted trotz komödiantischer Brechung als Kommentar auf die Berufsrealität von Models und Schauspielerinnen funktioniert. Auch wenn die Handlung erfunden, die Ereignisse gespielt sind, so spiegeln sie doch sehr reale Verhältnisse und höchstwahrscheinlich auch die Erfahrungen der Darsteller_innen wider.
Thematisch erinnert All I Never Wanted natürlich an Isabel Subas Männer zeigen Filme und Frauen ihre Brüste, geht es doch hier wie dort um sexistische Strukturen in der Medienbranche. Wo Suba ihren Fokus jedoch auf die Berufsgruppe der Regisseurinnen legt, geht es Stade und Blendl – trotz kleiner Ausflüge in den Sexismus der Filmindustrie – vor allem um die Inszenierung von Frauen*körpern vor Kameras wie auch auf Bühnen.
Auch ermöglicht die Konsequenz der dokumentarischen und improvisierten Inszenierung Isabel Suba im Gegensatz zu Stade und Blendl ein subtiles Adressieren ihrer Themen. Im Kontrast dazu schwingt All I Never Wanted leider insbesondere zu Beginn den Holzhammer: Hauptfigur Mareile Blendl tritt im Film erstmalig beim öffentlichen Screening ihrer letzten TV-Krimi-Folge auf, bei der auch die junge Nachfolgerin vorgestellt wird. Die Altersdiskriminierung der Ü40-Schauspielerin ist hier bereits deutlich als solche etabliert. Dennoch lassen die Regisseurinnen das Thema noch einmal explizit durch Mareile und ihren Film-Ehemann* diskutieren. Dieser Dialog ist nicht nur unnötig, sondern droht sein Publikum auch für dumm zu verkaufen, dem hier nicht zugetraut wird, dass Offensichtliche selbst zu begreifen.
Es ist natürlich auch dem komödiantischen Konzept des Films zuzuschreiben, dass dieser in der Darstellung von Sexismus und Diskriminierung recht dick aufträgt. All I Never Wanted ist alles andere als subtil, sondern insbesondere in Mareile Blendls Teil der Geschichte sehr direkt und – wie es im Englischen so schön heißt – „in your face“. Dabei unterscheiden sich die Portraits der beiden Hauptfiguren stark voneinander. Auch Ninas Geschichte in Milan verleitet immer wieder zum Schmunzeln, erreicht dies jedoch vor allem durch das Vorführen realer Strukturen im Modelbusiness und weniger durch eine komödiantisch überzeichnete Inszenierung wie wir sie in den Theaterproben Blendls sehen. Zudem enthalten die Passagen in Milan dokumentarisches Material, das klar als solches zu erkennen ist. Vergleichbares fehlt in den Lindauer Aufnahmen.
Die Rahmenhandlung der Filmemacherinnen, die immer wieder auch vor der Kamera aktiv sind, den Protagonistinnen die Tränen trocknen oder sich mit ihrem Geldgeber auseinandersetzen, hält diese in Tonfall und Inszenierung recht unterschiedlichen Erzählstränge gekonnt zusammen. Dennoch bleibt die Frage im Raum stehen, weshalb sich Leonie Stade und Annika Blendl dafür entschieden haben, beide Berufsbilder zu kombinieren. Natürlich spielt die Vermarktung des weiblichen* Körpers im einen wie im anderen eine zentrale Rolle, doch der Kontext unterscheidet sich gravierend. Wo Models von vornherein in erster Linie als Anschauungsobjekte dienen und der Diskurs darum kreist, welche Bilder von „Schönheit“ wir postulieren, kämpfen Schauspielerinnen vor allem um die Anerkennung ihres Talents, das von ihrer „Schönheit“ ja vollkommen unabhängig ist beziehungsweise sein sollte. Doch All I Never Wanted bleibt insgesamt zu oberflächlich um diesem Unterschied Rechnung zu tragen.
Überhaupt arbeiten Leonie Stade und Annika Blendl auf sehr bekanntem Terrain. Wer sich schon einmal mit Frauen*bildern in den Medien und den Strukturen der Industrie dahinter beschäftigt hat, mag hier den einen oder anderen Witz besser verstehen, wird aber vermutlich eine komplexere Auseinandersetzung mit diesen Themen vermissen. Einige Szenen, wie die leider auch absolut vorhersehbare sexuelle Belästigung Leonie Stades durch den Ko-Produzenten, sind dann auch schlicht und einfach zu platt geraten, um tatsächliche Durchschlagkraft zu entwickeln.
Vergnüglich gestaltet sich das alles dennoch. Außerdem brauchen feministische Themen leider auch im 21. Jahrhundert immer noch fuchtelnde Zaunpfähle, um gesehen und gehört zu werden. Ob der Film dann auch ein Publikum anziehen wird, das aus ihm noch etwas lernen kann, bleibt abzuwarten. Aber selbst wenn sich am Ende nur Feminist_innen daran freuen, ist ja auch schon viel gewonnen. Denn wir haben ja selten was zu lachen!
- Könige des Sommers – Kurzkritik - 1. Februar 2025
- 10 Jahre FILMLÖWIN – und (k)eine Party - 21. Januar 2025
- Irene von Alberti über Die geschützten Männer - 11. Dezember 2024
Zu deiner Frage, warum man hier Schauspielerei und das Modeln in einen Topf geworfen hat, haben die Filmemacherinnen im Q&A schon eine Antwort gegeben.
Es geht bei diesem Film um Frauen, die vermeintliche Traumberufe ausüben und denken, wenn sie ein bestimmtes Ziel erreicht haben, dass dann alles besser wird bzw. dass sich die Strapazen gelohnt haben. Nina möchte als Model durchstarten und Mareile möchte in ihrem Job erfolgreich sein. Beide erreichen am Ende des Films ihr Ziel und doch sind sie nicht glücklich, obwohl sie sich beide in Situationen gebracht haben, die ihnen unangenehm sind. Beide haben sich für ihren Traum aufgeopfert und die Frage, die sich hier stellt, ob es das wert war.
Auch die Szene mit dem übergriffigen Geldgeber fand ich gar nicht so platt, wie du es beschreibst, sondern erzählerisch ziemlich konsequent. Ich mochte das Spiel mit Fiktion und dem Dokumentarischen und auch den Humor, der sich ja meistens aus der Situation heraus ergibt. Ich würde mir auch wünschen, dass der Film ein größeres Publikum erreicht.