FFMUC 2019: Judy and Punch

Unsere Geschichte spielt in Seaside. Und das ist weit weg vom Meer gelegen, wie uns ein Titelbild ganz zu Anfang von Judy and Punch verrät. Wenn dann auch noch basslastige Musik das mittelalterliche Setting untermalt, ist endgültig klar: Das Folgende ist unter keinen Umständen ernst zu nehmen. Regisseurin Mirrah Foulkes inszeniert hier keinen Märchenfilm und schon gar keinen historischen Stoff, sondern eine Art Groteske, die wir als allegorisch lesen und verstehen können.

Worum es ihr geht, ist denn ebenfalls in den ersten Filmminuten erklärt. Hier sehen wir die titelgebenden Hauptfiguren, den narzisstischen Puppenspieler Punch (Damon Herriman) und seine Frau* und Assistentin Judy (Mia Wasikowska), bei ihrer aktuellen Inszenierung. Inhaltlich handelt es sich im Grunde um eine Aneinanderreihung von Gewaltszenarien, in denen meist eine männliche* Figur eine weibliche* verprügelt. Das Publikum grölt und fühlt sich herrlich unterhalten.

Judy and Punch

© FILMFEST MÜNCHEN 2019

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Darüber sollten wir im Kinopublikum übrigens nicht die Augen rollen. Ein Großteil des Mainstreamkinos tut genau dasselbe wie die Puppenspieler_innen: Es benutzt Gewalt, oftmals Gewalt gegen Frauen*, als Unterhaltungsfaktor. Jeder Superheld_innen-Film ist ein Beispiel dafür, wie Mord und Totschlag zu reinen Schauwerten verkommen. Krimis, Thriller und Horrorfilme wiederum verteilen die Opferrolle immer noch mehrheitlich an Frauen*. Wir sind kein Fünkchen besser als die grölende Meute in Foulkes’ Film.

Ganz konsequent ist diese Kritik an Gewaltdarstellungen allerdings in Judy and Punch nicht, denn auch hier geht es ordentlich brutal zu. Wir sehen die Steinigung dreier vermeintlicher Hexen, wir sehen den Tod eines Babys und häusliche Gewalt. Immerhin bleibt das meiste davon der Vorstellung der Zuschauer_innen überlassen und wird nicht visuell auserzählt. Nichtsdestotrotz ist auch in Judy and Punch der Mann* der Täter und die Frau* das Opfer. Doch diese Geschichte wäre ja viel zu schnell auserzählt, wenn sich Judy nicht an ihrem versoffenen und gewalttätigen Ehemann* würde rächen wollen.

Judy and Punch

© FILMFEST MÜNCHEN 2019

Am Ende ist Judy and Punch dann vielleicht doch wieder ein Märchen. Denn wenn wir ehrlich sind, strotzen unsere liebgewonnen Geschichten aus der Kindheit ja ebenfalls von Gewalt. Da wird ein kleines Mädchen von einem Wolf gefressen und später aus seinem Bauch herausgeschnitten. Eine Hexe mästet kleine Kinder, um sie zu verspeisen, stirbt dann aber den Flammentod. Selbst im vermeintlich harmlosen Aschenputtel schneiden sich junge Frauen* die Zehen ab! Was Mirrah Foulkes’ Inszenierung jedoch von diesen Märchen unterscheidet, ist der Tonfall. Judy and Punch nimmt sich auch innerhalb seines fiktiven Universums nicht sonderlich ernst. Die Allegorie bleibt als solche stetig sichtbar.

Da ist in jedem Fall ein starker feministischer Subtext, der Gewalt gegen Frauen* auf verschiedenen Ebenen adressiert – nicht nur als physische Misshandlung, sondern auch als strukturelle Diskriminierung wie sie in der von Männern* angetriebenen Hexenjagd ein Bild findet. Mirrah Foulkes geht aber noch keinen Schritt weiter und überträgt eben jenes Bild auch auf andere Formen der Diskriminierung des „Anderen“ und stellt damit einen breiteren Gegenwartsbezug her. Letztlich, so die Mär dieser Geschichte, drückt sich in der Feindseligkeit der Menschen vor allem die Angst vor dem eigenen Anderssein aus: Was passiert, wenn ich morgen „di_er Andere“ bin, wenn ich morgen im Abseits stehe?! Das ist mit Sicherheit auch eine Frage, die im heutigen Rechtspopulismus eine Rolle spielt.

© FILMFEST MÜNCHEN 2019

Trotz des Unterhaltungsfaktors und des klugen Kerns dieser Mär trägt das Konzept nicht durchgängig. Die Anleihen bei der Märchendramaturgie bringen es mit sich, dass die Figuren reine Typen bleiben, gut oder böse, und sich die Handlung außerordentlich vorhersehbar gestaltet. Leider bietet Mirrah Foulkes nicht ausreichend Komik oder anderweitig unterhaltsame Elemente, um dies auszugleichen. Auch bleibt der entscheidende Wendepunkt der Geschichte völlig rätselhaft und reine Behauptung. Schade dass die Regisseurin die großzügigen 105 Minuten Spielzeit nicht dazu nutzt, den Ausgang ihrer Geschichte nachvollziehbar herzuleiten.

Ein Meisterwerk ist Judy and Punch also definitiv nicht. Dafür aber ein vergnügliches und emanzipatorisch wertvolles Filmerlebnis mit Mia Wasikowska in der Hauptrolle. Was will frau mehr?!

Sophie Charlotte Rieger
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