FFMUC 2019: Mein Ende. Dein Anfang.

„Alles was Du gemacht hast, hat dich genau hier her geführt.“ Wer kennt sie nicht, diese Gedanken an kleine Entscheidungen, die in letzter Konsequenz große Auswirkungen auf das eigene Leben oder auch das anderer Personen gehabt haben. Diese gefühlten Versäumnisse, die in der Rückschau dann doch etwas Gutes hatten. Oder vielleicht auch umgekehrt: Reue über Dinge, die wir getan oder – viel öfter – nicht getan haben.

Für die Heldin in Mariko Minoguchis Regiedebut Mein Ende. Dein Anfang. sind diese Überlegungen mehr als nur ein Spiel, denn sie hat gerade ihre große Liebe verloren. Nora (Saskia Rosendahl) und Aron (Julius Feldmeier) geraten durch einen Zufall, oder vielleicht doch eher die Verkettung ungünstiger Umstände, in einen Banküberfall, bei dem Aron erschossen wird. Kurz darauf erscheint Natan (Edin Hasanovic) auf der Bildfläche, taucht – zufällig? – immer dort auf, wo Nora gerade Hilfe benötigt, während er selbst einen eigenen Kampf gegen den Tod ausfechten muss.

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© FILMFEST MÜNCHEN 2019

Wenn Physiker Aron mit seinen Überlegungen zu der Verkettung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft den Film einleitet, dann legt er bereits den Grundstein für die nun folgende nicht chronologische Montage der Ereignisse. Ganz so geheimnisvoll oder doch zumindest philosophisch, wie die Eingangsszene es andeutet, gestaltet sich Mein Ende. Dein Anfang. dann aber leider doch nicht, denn wie die beiden Erzählstränge von Nora und Natan zusammenhängen, ist sehr früh abzusehen. Darunter leidet nicht nur der Spannungsbogen, der sich nur mehr um die Frage dreht, wann denn nun auch der Film endlich jene Verbindungen zieht, die das Publikum schon lange begriffen hat, sondern auch die Intensität der Inszenierung. Die Magie der Unberechenbarkeit temporaler Kausalitäten bleibt ein leeres Versprechen.

Und doch hat Minoguchis Film großen Charme. Es sind insbesondere die verspielten Momente zwischen Nora und Aron, größtenteils Rückblicke in ihr Leben als glückliches Paar, die verzaubern und berühren. Die Regisseurin erzeugt Momente großer Intimität, die zugleich von einer solch locker leichten Selbstverständlichkeit geprägt sind, dass sie ohne jeden Kitsch auskommen.

Mein Ende. Dein Anfang.

© FILMFEST MÜNCHEN 2019

Leider ist es eben jene Leichtigkeit, die Mein Ende. Dein Anfang. an anderer Stelle fehlt. Mit ihrem Debütfilm wagt Mariko Minoguchi den Vorstoß in Gefilde abseits des deutschen Mainstreamkinos: In den Ansätzen erinnert ihr Film an US-amerikanische Indie-Produktionen, an Liebesfilme mit magischen Zwischentönen im Stil von Eternal Sunshine Of the Spotless Mind, die lange nach dem Tod des Leinwand-Melodrams eine neue Form romantischen Zaubers entfalten. Doch entweder ist der Filmemacherin am Ende dann doch der Mut ausgegangen oder er ist in den verschiedenen Entwicklungsstadien des Drehbuchs sukzessive versiegt. Zu viele Möglichkeiten, dieser Geschichte eine andere Ebene als die der nur mäßig originellen Handlung zu geben, bleiben ungenutzt. Das von Aron eingangs formulierte metaphysische Prinzip wird als strukturelles Motiv des Films verschenkt und durch die deutsche Manier des Übererklärens ersetzt: Nichts wird der Interpretation des Publikums überlassen, alles wird ausgesprochen und ausgespielt. Doch wo kein Raum für Fragen bleibt, wo keine Ungewissheit herrschen darf, da fehlt auch die Magie.

Die Anleihen beim US-amerikanischen Film deuten sich auch auf inhaltlicher Ebene an. Allein der bewaffnete Banküberfall als Todesursache wirkt im deutschen Kontext schon recht bemüht, ebenso wie im späteren Verlauf des Films die Nebenhandlung über fehlenden Versicherungsschutz und unbezahlbare Gesundheitsleistungen. Mein Ende. Dein Anfang. hätte als US-Produktion also nicht nur deshalb besser funktioniert, weil auf der anderen Seite des großen Wassers mehr Offenheit für diese Form der Romanze besteht, sondern auch, weil die Geschichte schlicht und einfach besser in den Kontext der US-amerikanischen Gesellschaft gepasst hätte.

© FILMFEST MÜNCHEN 2019

So richtig mag sich Mein Ende. Dein Anfang. also nicht zu einem kohärenten Ganzen zusammenfügen, während die Stoßrichtung jedoch stets sichtbar bleibt. Und nicht nur diese: Vor allem in der visuellen Umsetzung, den Farbstimmungen und in der Bildgestaltung zeigt sich eine klare künstlerische Linie der Regisseurin. Nicht zuletzt kann das Wagnis dieser Romanze im deutschen Kinoeinheitsbrei gar nicht laut genug umjubelt werden. Deshalb steht unterm Strich vor allem eins: Auf den weiteren Werdegang von Mariko Minoguchi dürfen wir gespannt sein. Und vielleicht brauchte es heute eben auch genau diesen Film, um sie in der Zukunft für ihr bahnbrechend mutiges deutsches Kino zu feiern.

Sophie Charlotte Rieger
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