Mein neues bestes Stück

„Mit Penis hat man es leichter!“ Ich gebe zu, diesen Satz schon selbst gesagt zu haben. Dabei ist an ihm so Vieles falsch. Zum Beispiel die Gleichsetzung von Penis und männlicher* Identität, denn nicht Penisse haben es in unserer Gesellschaft leichter, sondern männlich identifizierte Menschen. Und nicht alle Männer haben einen Penis. Und nicht alle Menschen mit Penis sind männlich*. Aber dennoch: Mit dieser Idee kann ich etwas anfangen. Sie löst etwas in mir aus, erinnert mich an Situationen und Lebensphasen, in denen ich mich als Frau* benachteiligt, diskriminiert, pathologisiert und/oder missachtet gefühlt habe und meinte, mit einem Penis wäre mir das nicht passiert. Deshalb ist diese Passage auch die einzige im gesamten Drehbuch von Maud Ameline und Audrey Dana, mit der ich etwas anfangen kann.

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Plötzlich Penis

Formuliert wird diese Idee von Jeanne, der Heldin dieser Geschichte. Mit Ende 30 wird die Architektin überraschend von ihrem Ehemann* für eine andere Frau* verlassen, steht als alleinerziehende Mutter und von Liebeskummer geschüttelt am Rande eines Nervenzusammenbruchs, kämpft aber dennoch für das alleinige Sorgerecht und… scheitert. Im Büro läuft es auch nicht gut, denn Jeanne wird weder von Vorgesetzten noch von Kolleg_innen ernst genommen. Naja, und das alles liegt halt nur daran, dass sie keinen Penis hat. Was sich aus mysteriösen Gründen über Nacht ändert und Jeanne vor ganz neue Herausforderungen stellt.

Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll diese haarsträubende Aneinanderreihung von Sexismus, Trans*feindlichkeit und auf Fremdscham-Niveau scheitertendem Slapstick zu zerpflücken. Aber um es einmal kurz auf den Punkt zu bringen: Mein neues bestes Stück ist nicht nur die Apotheose sexistischer Kackscheiße, sondern auch der finale Beweis, dass Frauen* in dieser Hinsicht ebenso katastrophale Filme schaffen können wie Männer*, denn – die Pointe ist ja nun schon raus – Mein neues bestes Stück stammt von einer Frau*, Audrey Dana, die außerdem das Drehbuch verbrochen hat und die Hauptrolle spielt. Ich will einfach nur laut, ganz laut WARUM??? schreien. Ich tu’s jetzt einfach mal:

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Jeder Penis sehnt sich nach einer Muschi

Fangen wir die detaillierte Betrachtung einmal damit an, dass Jeannes Scheitern überhaupt nichts mit ihrem sozialen oder biologischen Geschlecht zu tun hat. Gar nichts. Dass ihr Mann sie verlässt ohnehin nicht, denn der wackelt ja von einer Muschi zur nächsten. Im Büro kommt Jeanne auf keinen grünen Zweig, weil sie vollends inkompetent und latent überfordert wirkt und nicht weil sie Brüste hat. Und das mit dem alleinigen Sorgerecht… Es ist ohnehin vollkommen unklar, weshalb sie dies überhaupt anstrebt. Ach, vielleicht weil Ex-Frauen* ihren Ex-Männern* immer Böses wollen? Weil sie völlig irrational einfach nur Dinge tun, um den armen, armen Männern* zu schaden? Ja, bestimmt deshalb.

Über Nacht wächst Jeanne also ein Penis. So weit so gut. Könnte ja eine herrlich genderqueere Geschichte werden. Jeanne wankt nachts zum Klo, pisst im Stehen hinein und erst als sie wieder in ihr Bett zurückkehrt, wird ihr klar, dass sie gerade mit einem Penis und nicht einer Vulva gepullert hat. Ne, is klar. Kann ja mal passieren, dass eins im Halbschlaf nicht bemerkt, dass es im Stehen statt im Sitzen pisst. Mal ehrlich: Wer als Mensch ohne Penis schon einmal eine Urinella benutzt hat, der wird wissen, dass im Stehen zu urinieren definitiv Übung braucht. Würde mir über Nacht ein Penis wachsen und ich käme aus irgendwelchen dramaturgischen Gründen auf die Idee im Stehen zu pissen, würde ich spätestens davon endgültig wach werden, dass ich mir auf die Füße statt ins Klobecken schiffe oder dass mein unkontrollierter Strahl am Beckenrand zerstäubend auf mich zurückspritzt!

In der biologistischen Logik von Mein neues bestes Stück aber macht es absolut Sinn, dass Jeanne einfach nur deshalb im Stehen pinkeln kann, weil sie einen Penis hat. Denn mit diesem Organ verändern sich über Nacht auch viele andere Dinge. Zum Beispiel hat sie einen festeren Händedruck und schimpft gerne spontan drauf los (ohne Penis hieße das Hysterie, mit Penis aber männliche Dominanz – was echt ein cleveres Statement sein könnte, wenn es hier eine ironische Metaebene gäbe…). Viel fataler allerdings: Obwohl Jeanne stockhetero ist, was sie mehrfach betont, bringt sie die Omnipräsenz halbnackter Frauen* völlig aus dem Konzept. Hier findet sich jedoch keine Kritik an sexistischer Werbung oder dem „männlichen Blick“ in Film und Fernsehen. Vielmehr möchte uns Audrey Dana mit ihrem Film zu mehr Verständnis für die armen, armen Männer* verhelfen, die doch wirklich nicht anders können als ständig Frauen* anzugraffen. Die können doch nix dafür die Armen! Sie haben halt einen Penis, das müssen wir endlich einmal anerkennen! Und weil die arme Jeanne jetzt eben auch einen Penis hat, kann sie nicht umhin, ihre beste Freundin als das geile Stück Fleisch anzustarren, das sie nun mal ist. Unter dem Deckmantel einer vermeintlich feministischen Geschichte lässt Mein neues bestes Stück wahrlich keine, aber wirklich KEINE Gelegenheit aus, Frauen* zu sexualisieren und zu objektifizieren. Und trifft wie nebenbei die heteronormative Zuordnung, dass sich jeder Schwanz nach einer Muschi sehnt.

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Pfui Pimmel!

Jeanne rennt also zum Arzt. Was soll mensch auch tun mit so einem Penis? Anfassen will Jeanne den nicht, das wäre ja eklig (an dieser Stelle beginnen wir übrigens zu ahnen, weshalb ihr Mann* sie verlassen hat). Der Arzt rät zu Masturbieren und damit Druck abzubauen. Wir lernen: Der Penisträger hat es wirklich schwer mit seinem Organ, denn er muss, ja er MUSS es täglich durch Wichsen entlasten. Viel irritierender als diese verquere Sexualaufklärung aber ist die Tatsache, dass dieser Penis, der im Zentrum der Geschichte und nicht zuletzt auch im Filmtitel steht, NIEMALS gezeigt wird. Mein neues bestes Stück ist ebenso unendlich verklemmt wie seine Hauptfigur. Schwänze und Geschlechtsverkehr können wir uns nur im Kopfkino anschauen, aber Titten und nackte Frauen bekommen wir auf dem Tablett serviert

Nun aber zum absolut widerwärtigsten Aspekt dieses filmischen Verbrechens, nämlich der Trans*feindlichkeit der Geschichte. Ja, es ist nicht schön, wenn mensch mit einem Geschlechtsorgan ausgestattet ist, das nicht der gefühlten Geschlechtsidentität entspricht. Das ist sogar ziemlich scheiße. Zum Beispiel weil andere Menschen so etwas sagen wie „Du bist eine Mutantin“ oder „Das ist krank“ oder „Eine Mutter mit Schwanz ist peinlich“ – all dies übrigens Zitate, die im Film weder ironisch gebrochen noch durch eine andere Figur kritisiert werden. Aber Mein neues bestes Stück ist die Situation von Trans*menschen nicht nur egal, der Film zieht sie auch gerne ins Lächerliche, beispielsweise wenn Jeanne wiederholt ins Behandlungszimmer ihres Gynäkolgen stürzt und schreit „Bringen sie mich nach Bangkok!“ Es ist nämlich total einfach mit so einem unliebsamen Penis: Ein Urlaub in Bangkok und alles ist wieder im Lot!

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Betroffenheitskino über die Lage des Mannes*

Aber mal ehrlich. Frauen*, Trans*menschen – die mögen ja ihre Probleme haben. Aber das ist ja alles nichts im Vergleich zu den armen heterosexuellen Männern*! Die nämlich sind nicht nur ihren Trieben völlig hilflos ausgeliefert und von Natur aus, nämlich durch ihren Penis, dazu gezwungen allen Frauen* auf die Titten zu starren, nein, sie haben es auch ganz, ganz schwer Unterwäsche zu finden, die ihre Klöten nicht zerquetscht, und müssen beim Fahrradfahren immer aufpassen, die Kronjuwelen nicht zu beschädigen. Außerdem sind sie im Falle einer Scheidung total stark benachteiligt, weil die bösen Frauen* ja immer das alleinige Sorgerecht haben wollen und vor allem eben ganz, ganz böse sind. Die sind einfach böse, weil sie Frauen* sind. Einfach so. Krass, oder?! Im Grunde ist Mein neues bestes Stück ein Film, der dem Publikum die harte Lebensrealität von heterosexuellen Männern in Mitteleuropa näherbringen möchte, ein wirklich wichtiges und viel zu selten beleuchtetes gesellschaftliches Thema.

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Von bösen Homos und schönen Schwänzen

Es gibt eigentlich nur einen wirklich positiven Aspekt am Mann*sein: den Penis. Mein neues bestes Stück ist wie der Titel schon andeutet ein Lobgesang auf das männliche* Genital. In blumigen Worten beschreibt Jeannes beste Freundin eben jenes prominente Körperteil, das uns als Zuschauer_innen leider vorenthalten wird. An anderer Stelle berichtet Jeanne von den Freuden des männlichen Orgasmus und erklärt, dass sie, kaum mit dem Schleudern aufgehört, am liebsten schon wieder loslegen möchte.

Und jetzt mal Ironie beiseite. Es folgt ein Exkurs in die Sexualaufklärung: Die Vulva – in diesem Film nicht nur unsichtbar, sondern auch unbenannt (!) – ist wunderschön! Es gibt unzählige Möglichkeiten sie zu beschreiben, sie mit Blumen und Früchten zu vergleichen. Das weibliche* Genital kann so oft orgasmieren wie es möchte!! Im Gegensatz zum Penis, der immer eine Erholungsphase braucht, kann ein Kitzler einen Höhepunkt nach dem nächsten produzieren. Ohhhh jaaaa. Sex mit einer Vulva und Vagina macht großen Spaß und ist definitiv etwas, auf das eins als Mensch mit Penis neidisch sein kann.

Aber Mein neues bestes Stück interessiert sich aber nicht fürs Frau*sein – weder für die damit verbundenen Freuden, noch für die Probleme. Der Film interessiert sich auch nicht für Trans*identität oder Queerness, denn alle Figuren sind cis-geschlechtlich und betont hetero. Schwul ist nur der Vater der Ex-Frau* von Jeannes Schwarm Merlin. Das klingt kompliziert? Das liegt daran, dass es total absurd ist eine solche Figur für einen einzigen Nebensatz einzuführen. Ein Nebensatz, der im Film darüber informiert, dass jene Ex-Frau* vom Outing ihres Vaters derart traumatisiert war, dass ihre Ehe in die Binsen ging. Diese bösen, bösen Homos! Ohne sie wäre die Welt viel besser!

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Ist das Kunst oder kann das weg?

Irgendwie ist Mein neues bestes Stück am Ende doch ein faszinierender Akt der Kunst, ein Film mit weiblichen* Figuren, der sich quasi ausschließlich um Männlichkeit* dreht. Ein misogyner Film über das Empowerment einer Frau*. Ein Film über eine Trans*person, der ihre Existenz im Grunde leugnet und mit verbissener Heteronormativität jegliche Abweichung vom bipolaren Mann*-Frau*-Konzept aufs Schärfste verurteilt. Derartige Paradoxien kann ich als künstlerische Leistung durchaus anerkennen! Was diese Gülle allerdings in unseren Kinos zu suchen hat, wird mir für immer ein Rätsel bleiben.

Kinostart: 15. Juni 2017

Sophie Charlotte Rieger
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