Marie Curie

Marie Curie ist eine wahnsinnig beeindruckende Frau, eine wichtige Identifikationsfigur für werdende Wissenschaftler:innen und ein Vorbild für all jene, die sich aus dem gesellschaftlichen Korsett weiblicher Zuschreibungen befreien wollen. Kurzum: Es kann gerne noch viel mehr Filme über die Physikerin geben. Doch müssen sie auch immer dieselbe Geschichte erzählen?

Eine Portraitaufnahme von Marie Curie. Im Hintergrund eine Tafel der chemischen Elemente.

© Studiokanal

Auch in der neusten Version des Marie Curie Bio-Pics, das im Original übrigens Radioactive heißt, dreht sich alles um die Ehe und wissenschaftliche Zusammenarbeit von Marie (Rosamund Pike) und Pierre Curie (Sam Riley), insbesondere die Entdeckung des Radiums. Und wie auch in Marie Noelles gleichnamigen Bio-Pic aus dem Jahr 2016 spielen zusätzlich die Liason Maries mit Laborpartner Paul Langevin (Aneurin Barnard) sowie die darauffolgende gesellschaftliche Ächtung eine Rolle. Neu, und deshalb eigentlich am spannendsten, ist die im letzten Teil des Films kurz erwähnte Beteiligung Curies an der medizinischen Versorgung von Soldaten an der Front des Ersten Weltkriegs.

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Wie immer ausgespart indes ist ihre Kindheit, die hier auf traumatische Erinnerungen an den Tod der Mutter reduziert bleibt. Auch Curies beruflicher Werdegang, die Ursprünge ihrer wissenschaftlichen Karriere, die Initialzündung ihrer genialen Forschung… all das bleibt einmal mehr unerzählt. Die Enttäuschung darüber ist aber wohl dem ungeschickt gewählten deutschen Verleihtitel Marie Curie zuzuschreiben, der ein klassisches Bio-Pic suggeriert, wo keines ist und auch gar keines sein sollte. Der Originaltitel Radioactive trifft den Kern der Sache deutlich besser: Es geht nicht um das Leben der Person Marie Curie, sondern um ihre Rolle innerhalb der Entdeckung eines Elements, das der Menschheit Freud wie auch Leid gebracht hat. Immer wieder durchbricht Regisseurin Marjane Satrapi den – klassisch auf dem Sterbebett initiierten – biographischen Rückblick mit Zeitsprüngen zu Meilensteinen der Radioaktivität: die erste erfolgreiche Strahlentherapie eines jungen Krebspatienten findet somit ebenso ihren Weg in diesen Film wie die Katastrophen von Hiroshima und Tschernobyl.

Dass diese – innerhalb der biographischen Dramaturgie eher ungewöhnlichen – Elemente keinen unangenehmen Stilbruch verursachen, ist der Regie von Marjane Satrapi zu verdanken, die in gewohnt märchenhafter Art und Weise hier eine Graphic Novel von Lauren Redniss adaptiert. Dabei steht die zutiefst rationale, zuweilen spröde und betont unsentimentale Hauptfigur zu diesem eher sinnlichen Filmerlebnis niemals im Kontrast. Vielmehr gelingt es Satrapi mit starken Farben, Weichzeichnungen und Animationssequenzen immer wieder jene magische Wirkung zu transportieren, die das Radium sowie die naturwissenschaftliche Forschung auf Marie Curie ausüben.

Marie Curie in ihrem Labor. Sie gießt eine Flüssigkeit aus einem großen Reagenzglas.

© Studiokanal

Dass das Drehbuch von einem Mann, nämlich Jack Thorne stammt, kann vielleicht als Erklärung dafür dienen, dass die geschlechterspezifischen Hürden und Herausforderungen, die Marie Curie im Laufe ihres Lebens bezwingen muss, zwar anklingen, aber niemals in ihrer zutiefst erschütternden Macht erfahrbar werden. Auffällig ist auch die Tendenz, die Stärke, Entschiedenheit und Intelligenz der Hauptfigur immer wieder durch deren Opferstatus zu unterminieren. Thorne und Satrapi verzichten darauf, Marie Curie einen pathetischen Heldinnenmoment zu schenken und begehen an ihr damit im Grunde dasselbe Unrecht wie die Geschichte. So leidet die feministische Durchschlagkraft ihres Werkes unter einem klassischen Problem: Wo inhaltlich auf sexistische Strukturen hingewiesen wird, scheitert der Film selbst an eben jenen, in diesem Fall der Unfähigkeit, den Scheinwerfer weg von den privaten Schicksalsschlägen und hin zu den beruflichen Erfolgen der weiblichen Hauptfigur zu schwenken.

Während Regie und Drehbuch leider spürbar unter dem eigenen Potential bleiben – auch Marjane Satrapi haben wir in den Adaptionen ihrer eigenen Graphic Novels schon deutlich mutiger und kreativer erlebt – überrascht Hauptdarstellerin Rosamund Pike mit einer auffallend nuancierten und glaubwürdigen Darstellung. Ihre Marie Curie ist zugleich eine sensible, wie auch eine arrogante Person, eine ebenso rationale wie emotional bedürftige, eine gutherzige ebenso wie auch egozentrische. Freilich ist es ebenso dem Drehbuch von Jack Thorne zu verdanken, dass die Heldin hier durch moralisch zweifelhaftes Handeln Komplexität erlangt, aber es ist Rosamund Pike, die dieser Komplexität Leben einhaucht.

Marie und Pierre Curie. Marie hat die Augen verbunden und lächelt.

© Studiokanal

Trotz all der guten Zutaten, bleibt Marie Curie am Ende merkwürdig unausgegoren. Die verschiedenen Elemente bleiben lose Fäden, die Marjane Satrapi nicht vollständig zu einem Gesamtwerk verbinden kann. Allein auf der Handlungsebene konkurrieren die Radioaktivität und Marie Curie als zentrale Themen der Handlung, in Curies Biographie wiederum verbleiben die emanzipatorischen Kämpfe und moralischen Zweifel zu Gunsten der Liebesgeschichte in spürbar unpassender Andeutung. Da ist so viel mehr in dieser Geschichte, so viel mehr in dieser Person, das sich erzählen ließe. Allein in der zuvor erwähnten Sequenz zu Curies Engagement im Ersten Weltkrieg schlummert ein eigener Film, der hier im Schnelldurchlauf abgespielt das Publikum reichlich unbefriedigt entlässt. Und so weckt auch dieses Bio-Pic zu Marie Curie nur einen Bruchteil jener Begeisterung, die seine Titelfigur verdient hätte.

Kinostart: 9. April 2020

Sophie Charlotte Rieger
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