Land of Dreams

In Land of Dreams betrachten Shirin Neshat und Shoja Azari die amerikanische Gesellschaft aus einer migrantischen Perspektive und verwischen dabei die Grenzen zwischen Zukunft und Gegenwart, Traum und Realität, Innen und Außen. Sie arbeiten die Ambivalenzen von Amerikas Versprechen von Freiheit und Selbstverwirklichung, dem American Dream, und einer gespaltenen Gesellschaft heraus, die Migrant:innen feindselig begegnet.___STEADY_PAYWALL___

© W-film / Ghasem Ebrahimian / Bon Voyage Films / Palodeon Pictures

Land of Dreams spielt in einer nicht näher definierten Zukunft, in der eine autoritäre Regierung die Grenzen der USA geschlossen hat und die Träume der Bürger:innen erfasst, um sie besser verstehen und kontrollieren zu können. Im Mittelpunkt der Handlung steht die  iranisch-stämmige Simin (Sheila Vand). Als “Traumfängerin” reist sie für die Zensus-Behörde durch den Mittleren Westen und interviewt Menschen zu ihren Träumen. Nach Feierabend schlüpft Simin in die Rolle der Befragten und teilt deren Träume in Farsi auf Social Media. Sie eignet sich auf diese Weise die Träume der amerikanischen Gesellschaft an und verbindet sie mit ihrer eigenen Migrationsgeschichte. Als Simin den Auftrag erhält, die Bewohner:innen einer Kolonie von Exil-Iraner:innen für den Zensus zu befragen, wird sie mit ihrer eigenen Vergangenheit und der Frage nach ihrer Identität konfrontiert. Zunehmend hinterfragt sie, ob ihre Arbeit wirklich nur zur Sicherheit des Landes beiträgt.

© W-film / Ghasem Ebrahimian / Bon Voyage Films / Palodeon Pictures

Die Vorstellung, eine Regierung würde über Träume in das Unterbewusstsein der Bürger:innen vordringen, erscheint gleichermaßen absurd wie erschreckend. Dabei ist ein autoritäres Amerika mit abgeschotteten Grenzen spätestens mit der Präsidentschaft Trumps vorstellbar geworden, der eine unüberwindbare Mauer an der amerikanisch-mexikansichen Grenze plante und Einreiseverbote gegen Muslim:innen aus bestimmten Ländern verhängte. Shirin Neshat sammelte in dieser Zeit ebenso wie die Protagonistin ihres Spielfilms die Träume von Amerikaner:innen für eine Portraitserie und Videoinstallation, die die Grundlage für Land of Dreams bildeten.

© W-film / Ghasem Ebrahimian / Bon Voyage Films / Palodeon Pictures

Auch Visuell erscheint Land of Dreams kaum futuristisch. Simins kastenförmiges Auto, das Motel, in dem sie absteigt und das Kostümbild erinnern an die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts – eine Zeit, in der viele Iraner:innen in die USA emigrierten. Zugleich sind Filme, Fotografien und andere Kunstwerke aus dieser Zeit prägend für die Wahrnehmung der amerikanischen Kultur im Ausland. Obwohl Land of Dreams im Mittleren Westen spielt, drehten Shirin Neshat und Shoja Azari in New Mexico. Simins Fahrten durch die Weite und Einsamkeit der Wüstenlandschaft erinnern an klassische Roadmovies, die das amerikanische Freiheitsversprechen und die Suche nach der eigenen Identität behandeln.

© W-film / Ghasem Ebrahimian / Bon Voyage Films / Palodeon Pictures

Der Mittlere Westen der USA ist überwiegend landwirtschaftlich geprägt und gilt als konservativ. Viele Menschen dort fühlen sich abgehängt, am Rande der Gesellschaft. Land of Dreams schafft durch Dialoge und Bildgestaltung eine Collage, die die Klischees über den Mittleren Westen aufgreift, ohne dessen Bewohner:innen pauschal als Hinterwäldler:innen abzustempeln. Offen bleibt, ob beispielsweise die überspitzte Zurschaustellung christlich-religiöser Artefakte Ausdruck der Kultur des Mittleren Westens oder die Außenwahrnehmung Simins widerspiegelt.

© W-film / Ghasem Ebrahimian / Bon Voyage Films / Palodeon Pictures

Land of Dreams spielt mit dem Traummotiv und der Frage, was das Unterbewusstsein über uns und die Gesellschaft, in der wir leben, verrät. Wie in einem Traum lassen sich die Figuren und Handlungsstränge nicht konkret greifen. Dieser assoziative Erzählstil lässt Raum für eigene (Traum-)Deutungen und führt zu einer tieferen Beschäftigung mit der Frage, was Amerika als Land der Träume eigentlich ausmacht.

Kinostart: 3. November 2022

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