Kurdisches Filmfestival 2019: Girls of the Sun

Das französische Drama Girls of the Sun, das 2018 im Wettbewerb von Cannes angetreten war, eröffnete am 1. August 2019 das 9. Kurdische Filmfestival. Programmkuratorin Lea Drescher fiel es sichtlich schwer, die richtigen Worte zur Ankündigung des Films zu finden. Es ist kein Kinoerlebnis, für das eins dem Publikum einfach nur „Viel Spaß“ wünschen kann.

Girls of the Sun erzählt vom Leid tausender Frauen* durch Daesh (die sich selbst als “Islamischer Staat” bezeichnen) aber auch vom Kampf gegen die Unterdrückung. Die Geschichte des Films basiert auf realen Ereignissen im Norden Kurdistans 2014/2015. Darauf verweist Regisseurin Eva Husson zu Beginn mit einer Einblendung. Sie verfolgt den Anspruch, exemplarisch die Realität von Frauen* im Krieg mit Daesh abzubilden und diese einem europäischen Publikum zugänglich zu machen.

© Maneki Films

___STEADY_PAYWALL___

Dieser Zugang erfolgt über die französische Journalistin Mathilde (Emmanuelle Bercot), die für eine Reportage in den Kurdischen Gebieten unterwegs ist. Die Figur basiert auf der US-amerikanischen Kriegsreporterin Marie Colvin. Ihre Perspektive als außenstehende Berichterstatterin bietet einen Einstieg, verschwimmt jedoch immer mehr mit der der kämpfenden Frauen*. Die Journalistin fungiert auch als Sprachrohr der Regisseurin, die nur über die Kurdinnen und nicht für sie sprechen kann.

Im Zentrum von Girls of the Sun steht eine weibliche* Einheit jesidischer Selbstverteidigungsmilizen unter Führung von Bahar (Golshifteh Farahani), die sich aus ehemaligen Gefangenen der Daesh zusammensetzt. Diese Frauen* haben sich dazu entschieden nicht in einer Opferrolle zu verbleiben, sondern zu kämpfen. Sie schildern Mathilde ihre Erfahrungen von Gewalt durch Daesh, die ihre Männer* vor ihren Augen erschossen, ihre Kinder entführten und sie selbst vergewaltigten und als Sklavinnen verkauften.

© Maneki Films – Photo Khatia (Juda) Psuturi

Die Zuschauer*innen des Films erleben diese Berichte als Rückblenden. Obwohl die unfassbare Gewalt ständig präsent ist, verzichtet Eva Husson auf ihre explizite Darstellung. Vor dem thematischen Hintergrund des Films und den in diesem Kontext bekannten Schilderungen von Überlebenden sind Andeutungen völlig ausreichend, um einen Schrecken zu vermitteln, der vom Kinosessel aus niemals gänzlich zu erfassen ist. Die Regisseurin begegnet den traumatischen Erfahrungen mit der notwendigen Sensibilität. Gewalt gegen Frauen* dient in ihrem Film nicht der Unterhaltung, sie ist bittere Realität.

Eine weitere Facette weiblicher* Realitäten, die Girls of the Sun aufgreift, ist Mutterschaft. Bahar, deren Sohn von Daesh entführt wurde, und Mathilde, die ihre Tochter auf Reisen in Krisengebiete zurücklassen muss, verbindet die Sehnsucht nach ihren Kindern. Bahar zieht aus der Hoffnung, ihren Sohn zu finden, zudem ihre Motivation für den Kampf. Eine weitere Protagonistin erlebt ihre Schwangerschaft auf der Flucht vor Daesh als zusätzliche Belastung.

Dadurch dass alle drei Frauen*, deren Hintergrundgeschichte erzählt wird, Mütter sind, entsteht einerseits ein recht begrenztes Frauen*bild. Andererseits unterstreicht Eva Husson damit, dass Frauen* nicht nur entweder Kämpferinnen oder Mütter sein können.Wenn es um das Überleben des eigenen Volkes geht, stehen Mütterlichkeit und bewaffneter Kampf vielleicht gar nicht im Widerspruch zueinander, sondern bedingen sich gegenseitig.

© Maneki Films – Photo Khatia (Juda) Psuturi

Dennoch ist Girls of the Sun kein Dokumentarfilm, sondern ein Spielfilm. Die Erzählung folgt der Schlacht um Bahars Heimatdorf. Die weiblichen Milizen müssen sich dabei nicht nur gegen den Feind, sondern auch gegen die verbündeten (männlichen*) Peschmerga behaupten. Immer wieder erleiden sie Rückschläge, viele Kämpfer_innen sind bereits gefallen. Die erfolgreiche Flucht vor Daesh, Momente der Solidarität zwischen den Kämpferinnen und Erfolge in der Schlacht bieten nur kurze Atempausen. Obwohl das Publikum mit den Protagonist_innen um den Sieg bangt, zeichnet sich frühzeitig ab, dass dieser kein großes Happy End bringen wird. Wer hier “gewinnt” ist nebensächlich: Die Traumata und Verluste, die auch nach dem Abspann noch nachhallen, sind dafür zu schwer.

Eva Husson setzt in ihrer Inszenierung auf die Schönheit der kurdischen Berge (wobei diese in Wirklichkeit in Georgien stehen), zwischen denen wahlweise der Morgennebel oder der Rauch von Bomben und Granaten aufsteigt. Die Berge sind nicht nur geografisch, sondern auch symbolisch eng verbunden mit dem kurdischen Freiheitskampf. Sie dienen der kurdischen Guerilla als Versteck. Für Frauen* sind sie oftmals ein Zufluchtsort vor Zwangsheirat.

Auch Hauptdarstellerin Golshifteh Farahani ist immer wieder in Nahaufnahmen zu sehen, den Blick verträumt nach innen oder fest entschlossen auf den Feind gerichtet, die Haare unter einem bunten Turban, den sie, so beschreibt es Mathilde im Film, wie eine Krone trägt. Diese Ikonisierung kurdischer Kämpferinnen in westlichen Medien, mit der eine Objektifizierung der Frauen* einhergeht, steht zurecht in der Kritik und war auch Thema eines Panels beim Kurdischen Filmfestival.

© Maneki Films

Bei aller Kritik ist die Bildsprache des Films intensiv und einnehmend. Die Protagonistinnen verkörpern auf beeindruckende Weise eine tiefe Verzweiflung, aus der die „Wut zum Überleben“ erwächst. In Vorbereitung auf den entscheidenden Kampf singen sie gemeinsam von einer neuen Ära für Frauen*, Leben, Freiheit (auf kurdisch: Jin, Jiyan, Azadî). Darin schwingt eine Hoffnung mit, die sich auf das Publikum überträgt. Als eine Kämpferin die Fahne des IS vom Fahnenmast der befreiten Stadt reißt, applaudierte das Publikum beim Kurdischen Filmfest. Wie soll eins die Geschichte eines Befreiungskampfes ohne Pathos erzählen?

Lea Gronenberg
Letzte Artikel von Lea Gronenberg (Alle anzeigen)