Ein Besuch bei queeren Filmfestivals in Görlitz und Ludwigslust

Kino in Zeiten der Unsicherheit

QueerScope, der Verband der unabhängigen queeren Filmfestivals in Deutschland, hat dieses Jahr vier neue queere Filmfestivals in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Sachsen gefördert. Einige davon fanden zum ersten Mal statt, andere konnten durch die Förderung ihr Programm erweitern. Ziel ist, die queeren Communitys vor Ort zu stärken.___STEADY_PAYWALL___

„Wir haben schon seit Jahren gemerkt, dass es eine Leerstelle gibt in den neuen Bundesländern, konnten es uns aufwandsmäßig und finanziell aber nicht leisten, dem nachzugehen,” sagt Hanne, Vorstand von QueerScope und Co-Organisatorin des Hamburg International Queer Film Festival. „Dieses Jahr haben wir dann vom Bund eine höhere Förderung bekommen und gedacht: ‘So, jetzt ist der Moment gekommen.’” Kat hat die neuen queeren Filmfestivals betreut und sagt: „Ich bin selbst im Osten aufgewachsen und habe die Ausschreibung gezielt an queere Communitys, Programmkinos und Leute geschickt, die sich dort engagieren.”

Queerscope Plakate für die geförderten Festivals in Görlitz und Ludwigslust

Queerscope Plakate für die geförderten Festivals in Görlitz und Ludwigslust

Während die Queer Cinema Week in Görlitz schon länger stattfindet und auch dank der QueerScope-Förderung ein eigenes Kurzfilmfestival veranstalten konnte, wurde die QueerLustinale in Ludwigslust von einer kleinen Gruppe engagierter Queers dieses Jahr zum ersten Mal aus dem Boden gestampft. Filmlöwin Theresa hat die beiden Festivals besucht, mit den Leuten vor Ort gesprochen und gefragt: Wie geht es der queeren Community in den Kleinstädten und im ländlichen Raum, wo sich der gesamtdeutsche Rechtsruck scheinbar besonders schmerzhaft bemerkbar macht?

Zwischen Unsicherheit und Hoffnung: Die Queer Cinema Week in Görlitz

Görlitz ist an diesem Freitagnachmittag im November überraschend leer. Außer auf der Einkaufsstraße zwischen Bahnhof und Stadtzentrum sind kaum Menschen unterwegs. In der Altstadt schlendern dennoch ein paar Menschen übers Kopfsteinpflaster, bewundern (zurecht) die Mischung aus Jugendstil-, Gotik-, Renaissance- und Barockarchitektur und stöbern in den Läden mit Bunzlauer Porzellan. Am Obermarkt putzt eine junge Frau mit zwei Kindern Stolpersteine – morgen ist der 9. November. Am Ufer der Neiße, direkt vor der Brücke, die Deutschland und Polen, Görlitz und Zgorzelec, miteinander verbindet, sitzen zwei Polizeibeamte in einem Streifenwagen und langweilen sich – Ausdruck verschärfter Grenzkontrollen und einer nach rechts gerückten Gesellschaft.

Kino, Kurzfilm, freier Eintritt

Nur wenige hundert Meter vom Grenzübergang entfernt, drei Ecken und eine schmale, steile Gasse weiter, befindet sich das CamilloKino. Hier findet die Queer Cinema Week statt – das einzige queere Filmfestival in Ostsachsen. Unter dem Motto „trans*formation” werden dieses Jahr Spielfilme wie Emilia Pérez, Tandem und All the Colours of the World are Between Black and White gezeigt. Außerdem gibt es eine Fotoausstellung, eine Lesung, eine Performance und ein Konzert. „Mit dem Programm wollen wir verschiedene Zugänge zum Thema Queerfeminismus schaffen,” erklärt Franzi. Franzi leitet das CamilloKino  und baut gerade noch die Technik für die Party am nächsten Tag mit auf. „Wir wollen unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen ansprechen und machen deshalb dieses Potpourri aus Ausstellung, Lesung, Kino und Musik; alles mit queerer Thematik.”

Nicer Titel: Neisse-Q-Shorts

Die QueerScope-Förderung ermöglicht dieses Jahr neben dem regulären Filmprogramm ein Kurzfilmfestival mit dem Titel Neisse-Q-Shorts. Gezeigt werden insgesamt fünfzehn Filme aus zehn Ländern – ungefähr die Hälfte davon sind Erstlingsfilme. „Wir hatten knapp hundert Einreichungen”, erzählt Marek, der das Kurzfilmprogramm kuratiert hat. „Bei der Auswahl war es uns wichtig, unterschiedliche Lebensrealitäten zu zeigen. Die Filme erzählen Geschichten von Menschen und wir hoffen, dass sich sowohl die queere Community darin wiederfindet als auch die breite Masse davon angesprochen fühlt.”

Farbfoto: Links eine Person mit einem neon-leuchtenden Preis in der Hand, mittig eine Person beim Videocall auf einem Fernseher, rechts eine Wohnzimmerlampe. Das Kurzfilmfestival wurde von Queerscope gefördert. © CamilloKino

Die Verleihung des Publikumspreises: Remote und mit gemütlicher Wohnzimmeratmosphäre © CamilloKino

Der Jury-Preis geht später an A la Carta von Iván Vigara, der mit einer Mischung aus Tanz und Worten von Gender, Identität, Konformitätsdruck und Freiheit erzählt und einen Raum jenseits binärer Geschlechterzuordnungen schafft. Den Publikumspreis erhält Queen Size von Avril Besson, in dem Marina und Charlie eine Matratze durch Paris schleppen, dabei ihr Leben Revue passieren lassen und am Ende irgendwie zueinander finden.

Der Eintritt zum Filmfestival ist frei. „Wir sind einer der kaufschwächsten Landkreise in Sachsen”, erklärt Franzi. „Kostenlose Angebote sind wichtig und funktionieren gut. Dann kommen Leute vorbei, weil sie sich einfach mal das Programm anschauen können, ohne etwas dafür ausgeben zu müssen – auch wenn sie mit dem Thema nicht so viele Berührungspunkte haben. So findet eine Zielgruppendurchmischung statt und ein Austausch, der uns sehr wichtig ist.”

Das queere Herz von Görlitz

Seit 1994 bringt der Filmclub von der Rolle 94 Kino in die Region Oberlausitz; seit 2015 betreibt er das CamilloKino und organisiert – neben dem regulären Betrieb eines Programmkinos und dem mobilen Kino – das Görlitzer Sommerkino, gibt beim TakeOver Jugendlichen die Chance, selbst Filme zu programmieren, und ist Ausgangspunkt für zahlreiche queere Aktionen in und um Görlitz. Gemeinsam mit dem feministischen*Forum betreibt er die Flint*erie, einen FLINTA*Space, der Empowerment-, Beratungs- und Sensibilisierungsarbeit für die Region Ostsachsen leistet. „Wir geben Workshops, veranstalten Parties und haben eine Bibliothek”, sagt Franzi. Zusammen mit dem feministischen*Forum und dem queeren Netzwerk ist das CamilloKino so etwas wie das queere Herz von Görlitz.

„Es fühlt sich manchmal an wie das letzte Mal”

Doch dieses queere Herz steht Anfang November kurz vor dem Stillstand. „Wir wissen nicht, wie es im nächsten Jahr weitergeht”, sagt Franzi. „Wir haben beim Land Sachsen drei Förderanträge mit einem Fördervolumen von 150.000 Euro eingereicht und sind nach der Landtagswahl im September nun nicht sicher, dass wir die bewilligt bekommen.” Allein mit Co-Finanzierungen von QueerScope oder von Stiftungen wie der Rosa-Luxemburg-Stiftung kann sich das CamilloKino nicht über Wasser halten. „Wir buttern sowieso selbst immer noch mit rein”, sagt Franzi. „Finanziell mit Eigenmitteln und dann eben durchs Ehrenamt. Mein Kollege Marek und ich haben je eine 20-Stunden-Stelle, aber sonst arbeiten alle ehrenamtlich und/oder ein wenig auf Honorarbasis und auch Marek und ich arbeiten mehr als die 20 Stunden, für die wir bezahlt werden.”

Detail einer Hausfassade, die mit einem Plakat geschmückt ist. Darauf steht Camillo Queer Cinema Week

Das CamilloKino während der Queer Cinema Week

Um zumindest die erste Jahreshälfte zu überbrücken, hat das CamilloKino eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. Trotzdem ist an diesem Novemberabend nicht klar, ob nächstes Jahr noch alle queeren Aktionen durchgeführt werden können. Die Unsicherheit stellt auch mental eine große Belastung dar. „Teilweise fühlt sich die Arbeit gerade ein bisschen sinnlos an, was ich total traurig finde”, sagt Franzi. „Wir versuchen, es uns jetzt bei der Queer Cinema Week noch einmal richtig schön zu machen, aber es fühlt sich manchmal an wie das letzte Mal.”

„Wir haben hier ein aktives Netzwerk, das sich gegenseitig unterstützt”

In einer Gesellschaft, die immer eindeutiger nach rechts rückt, in der es Grenzkontrollen und verzerrte Debatten über Migration gibt, in der Sozialleistungen gestrichen und im kulturellen Bereich gnadenlos Gelder gekürzt werden, ist es schwer, weiterzukämpfen. Und auch die Situation in Görlitz selbst ist angespannt. „Nach dem CSD dieses Jahr haben wir uns zum ersten Mal gefragt, ob es sicher ist, eine sichtbare queere Veranstaltung in Görlitz zu machen”, sagt Marek. „Aber wir können uns Security einfach nicht leisten.” Und Franzi erinnert sich: „Beim CSD gab es eine Gegendemonstration mit vierhundert Leuten. Das waren nicht einfach Schwurbler, das waren straffe Faschos.” Im Alltag wächst die Präsenz rechtsradikaler Gruppen. „Jetzt stehen hier am Bahnhof wieder gewaltbereite junge Nazis mit Bomberjacken und kahl geschorenen Köpfen und ich denke so: Das hatten wir doch schon mal”, sagt Marek. „Das ist wie in den 90ern. Es gibt schon das Gefühl, dass aus Worten auch irgendwann Taten werden.”

Das hat Folgen für die Community vor Ort: „Es sagen einige Leute: ‘Ich kann hier nicht mehr leben, ich muss wegziehen’”, erzählt Franzi. „Dadurch bricht natürlich viel ehrenamtliche Unterstützung weg.” Gleichzeitig haben das Leben und Engagement in Görlitz aber auch Vorteile. „Görlitz ist eine tolle Stadt mit tollen Menschen. Wir haben hier ein aktives Netzwerk, das sich wirklich gegenseitig unterstützt, zusammenhält und super funktioniert. Manche Probleme, mit denen sich queere Vereine in Großstädten wie Leipzig oder Berlin herumschlagen, sind hier gar kein Thema.”

Farbfoto: Drei Personen lächeln in die Kamera. Das Kurzfilmfestival wurde von Queerscope gefördert.

Die Kurzfilmjury vor der Preisverleihung © CamilloKino

Das CamilloKino zeigt, wie wichtig die finanzielle Förderung queerer, linker und kultureller Projekte ist, um safer spaces zu schaffen. Es zeigt auch, wie prekär die Lage dieser Projekte ist, wenn sie Jahr für Jahr um ihre Förderung bangen müssen – wie sehr die Brandmauer bröckelt. „Wenn meine Stelle wegfallen sollte, weiß ich persönlich nicht, wie ich die Fahne hier noch hochhalten soll”, sagt Franzi. „Ich kann nicht 60 Stunden die Woche ehrenamtlichen Aktivismus betreiben. Irgendwie muss ich ja meinen Lebensunterhalt bestreiten.”

Inzwischen ist klar: Die Förderanträge sind bewilligt worden und die Queer Cinema Week kann auch im November 2025 stattfinden. Ein weiteres Jahr Orte und Angebote für queere Menschen in Görlitz, ein weiteres Jahr Ressourcen, um dem Rechtsruck etwas entgegenzusetzen.

Vorbild für die Großstadt: Die QueerLustinale in Ludwigslust

In Ludwigslust weihnachtet es am Vorabend des ersten Adventswochenendes sehr. Auf dem Adventsmarkt vor dem Rathaus ertönt eine Mischung aus Weihnachtsliedern und Schlagern; Kinder fahren mit dem Riesenrad, Erwachsene versammeln sich um die Glühwein- und Würstchenbuden. Ludwigslust ist schönster Backstein, klassizistische Residenzstadt und Versailles des Nordens. Malerisch am Stadtkanal liegt das Luna Filmtheater, ein Kino, das für sein unabhängiges und vielseitiges Programm schon mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde. An diesem Wochenende wird es von einer Regenbogenfahne geschmückt, denn zum allerersten Mal findet in Ludwigslust ein queeres Filmfestival, die QueerLustinale, statt.

„Es macht was mit dir, wenn du nach Hamburg fahren musst, um in Ordnung zu sein”

Organisiert haben das Festival Tommy, Sebastian und Stephan vom Verein Buntes Lulu, der sich 2023 gegründet hat. „Es gab vorher keinen queeren Verein hier in Ludwigslust”, erzählt Stephan. „Das nächste queere Angebot war in Schwerin und ganz ehrlich, welcher junge Mensch setzt sich in den Zug und fährt dahin. Mit dem Verein wollen wir hier vor Ort einen Anlaufpunkt für queere Themen schaffen.” Und Sebastian fügt hinzu: „Es macht ja was mit dir, wenn du immer nach Hamburg oder nach Berlin fahren musst, um irgendwie in Ordnung zu sein. Und weiter gedacht macht es natürlich auch was mit Mecklenburg-Vorpommern, wenn sich hier ständig alle verpissen.”

„Das Kino ist ein geschützter Raum”

Ursprünglich wollte der Verein einen CSD in Ludwigslust organisieren. „Aber das war nachher einfach zu komplex, auch weil es viele Unsicherheiten bei der Stadtverwaltung gab”, erzählt Stephan. „Also dachten wir uns: Wenn der CSD momentan noch zu viel für uns ist, dann fangen wir eben kleiner an.”

Farbfoto: Das Luna Filmtheater (ein Haus mit Vorbau aus Glas) mit einer Regenbogenflagge.

Startklar für die QueerLustinale: Das Luna Filmtheater

Dazu kommt, dass queere Sichtbarkeit vor allem für junge queere Menschen auch mit Angst besetzt ist. „Wenn wir unsere Vereinssitzungen hier im Büro der Grünen abhalten, schreckt das einige Leute ab, weil der Ort so öffentlich zugänglich ist – es können einen alle beim Reingehen sehen”, erklärt Stephan. Die Sorge, sich durch das Engagement für einen queeren Verein unfreiwillig zu outen, erschwert es, sich auszuprobieren. „Das Filmfestival ist parteiunabhängig und für interessierte Leute leichter zugänglich”, sagt Stephan. „Das Kino ist ein geschützter Raum, in dem man anonym bleiben oder sagen kann: ‘Ich bin ja gar nicht schwul, ich schaue mir den Film an, weil er künstlerisch wertvoll ist.’ Ich denke, das ist ein Anreizpunkt für viele Leute.” Und Tommy fügt hinzu: „Dieses Wochenende ist eine Testphase, in der wir schauen, ob sich auch Leute ins Kino verirren, die sonst keine Berührungspunkte mit queeren Themen haben und einfach mal in eine andere Welt hineinschauen wollen.”

Visual: Plakat der Queer Lustinale mit Regenbogen und Titel des Festivals in der Mitte. Das Festival wurde von Queerscope gefördert © Tommy Klein

© Tommy Klein

Bei der Zusammenstellung des Programms haben Tommy, Sebastian und Stephan deshalb darauf geachtet, möglichst viele Menschen anzusprechen. „Jede*r soll sich ein bisschen abgeholt fühlen,” sagt Tommy. Gezeigt werden Filme wie Kokon, Norwegian Dream, Loving Highsmith und The Persian Version – vom Coming-of-Age-Drama bis zur Dokumentation ist einiges dabei. „Mir war der Fokus auf den ländlichen Raum sehr wichtig,” sagt Tommy. „Denn meine Hoffnung ist, dass queere Menschen aus den umliegenden Dörfern hier einen Film sehen und sagen: ‘Das ist ja meine Geschichte’ – auch, um eine Bindung zwischen den Leuten und dem Verein herzustellen.”

Farbfoto: Blick ins Kinofoyer mit Besuchenden © Tommy Klein

Gut besucht: Das Foyer des Luna Filmtheaters während der QueerLustinale © Tommy Klein

Alle Filme werden in der deutschen Synchronfassung gezeigt. „Das war ein Tipp vom Luna Filmtheater”, erklärt Tommy. „Filme im Original mit Untertiteln laufen dort erfahrungsgemäß leider nicht so gut. Das hat unsere Auswahl natürlich eingeschränkt, aber wir sind sehr dankbar für den Hinweis.” Und auch Queerscope hat bei der Filmauswahl unterstützt: „Über Queerscope sind wir sehr einfach an Filme gekommen”, sagt Stephan. „Die haben uns eine Liste mit Filmen geschickt, wo die Rechte schon geklärt waren, was uns Arbeit abgenommen hat.” Die Festivalvorbereitung wurde nämlich komplett ehrenamtlich gestemmt. „Wir arbeiten alle drei Vollzeit und haben das Festival nebenbei organisiert,” sagt Stephan. „Das war natürlich nicht ganz ohne.”

Gedenkveranstaltung zum Weltaidstag

Neben dem Filmprogramm findet im Rahmen des Festivals auch eine Veranstaltung zum Weltaidstag statt. Zu sehen ist der selten aufgeführte Film Nach der Eiszeit von Trevor Peters, in dem lesbische Frauen aus Mecklenburg-Vorpommern zu Wort kommen und von ihrem Leben in der DDR erzählen. „Der Film ist total toll”, sagt Sebastian. „Er erzählt ruhig und trotzdem leidenschaftlich und irgendwie auch sehr ehrlich.” Auf den Film ist er durch Zufall gestoßen: „Im Schleswig-Holstein-Haus haben sie Filmausschnitte gezeigt, die ich so herrlich fand, dass ich angefangen habe, zu recherchieren. Am Ende habe ich dem Regisseur einen Brief geschrieben und er hat uns erlaubt, den Film zu zeigen, wenn wir keinen Profit damit machen.”

Farbfoto: Bücher mit Queeren Themen (Drag, Bi, etc.) © Tommy Klein

Queere Sichtbarkeit: Queerer Büchertisch während des Festivals © Tommy Klein

Die Vorführung von Nach der Eiszeit wird musikalisch von Luis Dannewitz begleitet. Im Anschluss findet eine Diskussion mit Gabriele Drisga von der Aidshilfe in Schwerin statt. „Dabei wird es um die Geschichte von HIV in Mecklenburg-Vorpommern gehen”, sagt Sebastian. „Wie es angefangen hat, wie die Hilfsstrukturen damals waren und wie sie heute sind. Das ist zeithistorisch auch sehr interessant.”

„Wir haben nichts zu verlieren”

An die Situation in Ludwigslust gehen Tommy, Stephan und Sebastian pragmatisch heran. Ludwigslust hat einen parteilosen Bürgermeister und die Stadt ist vergleichsweise liberal. „In den 90ern kamen einige Künstler*innen und linke Menschen nach Ludwigslust”, erzählt Tommy. Der Bürgermeister hat auch die Schirmherrschaft für das Festival übernommen. „Wir haben einfach angefragt und waren selbst ganz überrascht von der Antwort”, sagt Stephan. „Die Veranstaltung zum Weltaidstag findet im Rathaus statt, mit Regenbogenfahne und allem, was natürlich toll ist.”

Das größte Problem ist der Nachwuchs. „Eigentlich wird hier nur weggezogen”, sagt Tommy. „Die letzten Jahre gab es eine kleine Zuzugswelle, weil in Hamburg und Berlin der Wohnungsdruck immer größer wird. Hier kann man noch vergleichsweise preiswert wohnen, deshalb pendeln viele Menschen.” Junge Leute zieht es allerdings fort aus Ludwigslust. „Wir merken das auch bei den Grünen”, sagt Tommy, der Mitglied des Grünen Kreisvorstands ist. „Die Leute bleiben bis zum Schulabschluss hier und gehen dann weg. Manchmal kommen sie zwanzig Jahre später wieder, wenn sie den Hof der Eltern übernehmen oder einen Kinderwunsch haben, aber dazwischen klafft eine Lücke.”

Farbfoto bei Dunkelheit: Die Prideflagge vor dem Filmtheater © Tommy Klein

Die Prideflagge vor dem Filmtheater © Tommy Klein

Dass es bisher keine queeren Projekte in Ludwigslust gab, sieht Tommy als Chance. „Das ist natürlich nicht gut, aber dadurch haben wir auch nichts zu verlieren. Und wir haben gegenüber der Verwaltung eigentlich immer den Hebel in der Hand.” Die erste QueerLustinale soll ein Zeichen setzen und ein Auftakt sein. „Ich hoffe, die Menschen merken, dass man überall sein kann, wie man ist – auch in Ludwigslust”, sagt Sebastian. Und Stephan fügt hinzu: „Viel wichtiger als große Projekte zu veranstalten ist, dass der Verein Buntes Lulu weiter existiert und eine Anlaufstelle für queere Menschen ist.”

Am Ende sind die Rückmeldungen positiv, circa 50 Besucher*innen schauen sich die Filme an und Tommy resümiert: „Das Feedback war sehr positiv, weswegen wir wohl nächstes Jahr weitermachen. Ich glaube, die Arbeit wird dann einfacher werden, weil wir mehr Routine haben.”

Auch in Ludwigslust ist klar: Dass von der Großstadt aus gerne etwas mitleidig auf Kleinstädte und den ländlichen Raum geblickt wird, greift zu kurz. „Wenn es so wenige von uns gibt, dann wächst man halt auch zusammen”, sagt Sebastian. Und Tommy meint: „Grabenkämpfe gibt es hier eigentlich nicht. Vielleicht kann die Großstadt mal was von uns lernen und wir schauen schmunzelnd nach Berlin.”

Dieser Festivalbericht ist im Rahmen einer Medienkooperation entstanden.

Theresa Rodewald
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