Berlinale 2024: Langue Étrangère – Kurzkritik

Für einen Sprachaustausch, aber eigentlich auch um ihren Problemen in der Schule zu entfliehen, besucht die Französin Fanny (Lilith Grasmug) für vier Wochen ihre Brieffreundin Lena (Josefa Heinsius) in Leipzig. Nach anfänglicher Skepsis, entsteht zwischen den beiden gleichaltrigen Teenagern eine zärtliche Freund*innenschaft, allerdings auch auf Basis der alternativen Persona die Fanny von sich entwirft. Mit erfundenen Anekdoten und Familiengeheimnissen versucht sie Gemeinsamkeiten mit der politisch sehr engagierten Lena zu etablieren und sie somit für sich zu gewinnen. Doch spätestens als Lena Fanny in Straßburg besucht, droht das Lügengebäude einzubrechen.___STEADY_PAYWALL___

Regisseurin Claire Burger zeichnet gemeinsam mit Drehbuch Co-Autorin Léa Mysius in Langue Étrangère das Portrait einer jungen Generation, deren Politisierung auch immer im Zusammenhang mit Zukunftsängsten steht. Klimakatastrophe, Rechtspopulismus und Kriege in Europa – Lena kann sehr gut benennen, was sie zutiefst verunsichert. Das politische Engagement gibt ihr das Gefühl, all dem etwas entgegensetzen zu können, nicht hilflos ausgeliefert zu sein. Fannys pathologische Lügen haben ebenfalls die Funktion, Gefühle, allen voran Ängste zu bewältigen. Die junge Frau lügt immer dann, wenn sie ihre wahren Gefühle, für die sie sich schämt, mit einer vermeintlich anschlussfähigeren Geschichte überdecken kann. Dieser Strategie liegt eine tiefe Selbstwertkrise, aber auch allgemeine Verunsicherung zugrunde.

© Les Films de Pierre

Die erwachsene Generation hat weder für die eine noch für die andere Strategie wirklich Verständnis und so bildet der Generationenkonflikt – nicht nur mit den Eltern, sondern im Fall von Lena auch mit den rechtskonservativen Großeltern – eine weitere Ebene von Langue Étrangère. Und dann wäre da noch die Beziehung zwischen Fanny und Lena, die zwischen Freund*innenschaft und romantischer Liebe oszilliert.

Langue Étrangère erzählt seine Geschichte in hellen, blassen Bildern, die Leichtigkeit ausstrahlen und vielleicht selbst eine Schutzfunktion darstellen von der in vielerlei Hinsicht bitteren Realität, die sie inszenieren. Traum- und Rauschelemente entführen das Kinopublikum zwischendurch in ein Reich der Sinne, das nicht nur erotische Zärtlichkeit, sondern auch körperliche Kämpfe, Wut und Angst beinhaltet. Das Leben ist nicht nur eitel Sonnenschein und Menschen bestehen nicht nur aus ihren positiven Charaktereigenschaften. Das zu verstehen und zu akzeptieren ist nicht nur die Aufgabe für Fanny und Lena, sondern auch für ihr Publikum.

Vorstellungen bei der Berlinale 2024

Sophie Charlotte Rieger
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