IFFF 2019: Deutsche Tropen, Büromord, Backfische und private Schmalfilme

von Sophie Charlotte Rieger

Maxa Zoller © Julia Reschucha

Und schon ist es wieder vorbei: Das Internationale Frauenfilmfestival Dortmund | Köln, das größte seiner Art in Deutschland, hat 2019 erstmalig unter neuer Leitung, nämlich der von Maxa Zoller stattgefunden. Ja, wirklich erstmalig, denn ihre Vorgängerin Silke Räbiger hatte das Filmfest von seinen Anfängen an begleitet und nun im vergangenen Jahr an die nächste Generation übergeben.

Auch wenn auf den ersten Blick alles auf angenehme Weise beim Alten geblieben scheint, sind auf den zweite Block bereits neue Entwicklungen sichtbar. So haben sich beispielsweise mehr Experimental- und Genre-Filme ins Programm geschlichen und das Thema Diversität stand nicht nur formal, sondern auch inhaltlich durch Veranstaltungen zum Afrodeutschen Kino im Fokus. Geblieben ist beispielsweise der lokale Bezug durch den Schmalfilmabend mit Heimvideos aus der Region oder auch den Bildervortrag Vergnügung und Öffentliche Lustbarkeiten im Ruhrgebiet der Jahrhundertwende.

Und weil es weder möglich noch sinnvoll ist, jede Veranstaltung mit einem einzelnen Artikel zu bedenken, einzelne Filme jedoch keinesfalls unerwähnt bleiben dürfen, hier noch einmal vier erinnerungswürdige Highlights:

Hinterland – Ein skurriler Film über einen skurrilen Ort

Unterhaltsam, aber nicht gefällig gestaltet sich der Dokumentarfilm Hinterland über das Badeparadies Tropical Island in Brandenburg. In unkommentierten Beobachtungen und Interviews mit Marketing-Verantwortlichen wie auch Anwohner_innen geht Regisseurin Marie Voignier diesem Ort in all seiner Skurrilität auf den Grund. Die Inszenierung generiert dabei ihre Komik allein aus der Wahl der Materialien und deren Montage und vermag damit trotz klarer Haltung den Protagonist_innen mit Respekt zu begegnen. Und auch wenn wir als Kinopublikum die übersteigerten Bedeutungskonstruktionen des Schwimmbadmarketings mehrheitlich belächeln, so wecken sie auf paradoxe Weise dann doch wieder eine Faszination für diesen Ort, der so „Fake“ ist, dass er zu einem eigenen Original wird.

© BMG Video

Office Killer – Schrilles 90er Jahre Kino mit Kultpotential

Skurrile Komik ist definitiv auch ein Merkmal des Horrorfilms Office Killer von Cindy Sherman aus dem Jahr 1997 – aus unerfindlichen Gründen der erste wie auch letzte Film der Regisseurin. Die Geschichte einer frustrierten Sekretärin, die nach und nach ihre Kolleg_innen um die Ecke bringt und in ihrem Keller als wohnliches Leichenkabinett arrangiert, hat in jedem Fall großes Kultpotential, gestaltet sich aber für Zuschauende durchaus auch strapaziös. Nicht unbedingt wegen Kunstblut und Körperverwesungsschleimschmatzen (nur im Deutschen gibt es solche schöne Wörter!), sondern ebenso wegen der – zumindest in der Synchronfassung – exorbitant schrillen Stimmen. Auch der Spannungsbogen trägt nicht souverän durch die Handlung und wird nur ungenügend durch vergnügliche oder widerwärtige Schauwerte ausgeglichen. Ich möchte Office Killer schon allein wegen seiner herrlichen Frauen*figuren trotzdem unbedingt für den Popcorn-Heimkino-Abend empfehlen, dabei aber unbedingt dazu ermutigen, nach der Originalversion zu forschen (Hinweise werden gerne entgegengenommen!).

© BArch, FILMSG1/13659

Die Republik der Backfische – Eine feministische Utopie im Stummfilmformat

Auch Die Republik der Backfische darf hier nicht unerwähnt bleiben. Zu der Geschichte eines Cowgirls, das nach Europa in ein Mädchen*internat geschickt wird und dort für reichlich Chaos sorgt, würde mir so viel mehr einfallen als dieser Absatz. Vielleicht und hoffentlich ergibt sich noch einmal die Gelegenheit, hier tiefer einzusteigen. Bis dahin sei nur erwähnt, dass die Heldin dieser Geschichte vielen ihrer Kolleginnen im 21. Jahrhundert meilenweit voraus ist und ihre titelgebende Frauen*republik durchaus mit den heutzutage vielfach geforderten und ersehnten Cis-Männer-freien Räumen zu vergleichen ist. Soll heißen: Obwohl der Film von Constantin J. David gute 90 Jahre alt ist, hat er ausreichend Aktualitätsbezug um nach mehr Sichtbarkeit oder auch einem Remake zu verlangen. Liebe mitlesende Filmlöw_innen: Wer möchte sich dem mal annehmen?

Kosmos (Privater 8mm-Film, Kamera: Klemens Fiedler)

Großes Kino: Amateur_innenfilme

Meine größte Entdeckung des diesjährigen Festivals war jedoch der schon eingangs erwähnte Schmalfilmabend, im Zuge dessen Johanna-Yasirra Kluhs und Betty Schiel vierzehn private Familienfilme aus dem Ruhrgebiet präsentierten und kommentierten. Dabei handelte es sich nur um eine winzige Auswahl der fast 1000 Schmalfilme, also 8mm Filme, die der Verein Interkultur Ruhr im vergangenen Jahr gesammelt hatte. Diese mit einer ausschließlich privaten Absicht gedrehten Filme sind nicht nur ein spannendes Zeugnis ihrer Entstehungszeit in den 60er und 70er Jahren, sondern zeigen auch verschiedene Formen weiblicher* (Selbst)Inszenierung. Voluminöse Körper, wie wir sie auf der Kinoleinwand kaum noch zu sehen bekommen, tollen mit ansteckender Selbstverständlichkeit alkoholselig vor der Kamera umher. In anderen Filmen präsentieren Hausfrauen* ihren Arbeitsalltag als eben solchen und das Private wird im historischen Rückblick einmal mehr politisch. Ich hätte niemals gedacht, dass Amateur_innenfilme eine solche Faszination auf mich ausüben könnten wie dieses liebevolle kuratierte Abendprogramm und ich möchte dringend dazu einladen, diesem Genre eine Chance zu geben – zum Beispiel bei den sogenannten Home Movie Days, die es in Deutschland in Berlin, Bielefeld, Frankfurt, Freiburg und Münster und im deutschsprachigen Raum außerdem noch in Wien und Bern gibt.

Sophie Charlotte Rieger
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