Gut gebrüllt: Irene von Alberti und Der lange Sommer der Theorie
Eines meiner Highlights des diesjährigen Filmfest München war Der lange Sommer der Theorie von Irene von Alberti, ein Film, der nicht nur mein feministisches Herz höher schlagen ließ, sondern so umfassend klug und dabei niemals belehrend daher kam, dass ich überschwänglich twitterte: „Wenn ihr dieses Jahr nur noch einen Film sehen könnt, sollte es dieser sein“. An einem Interview führte dann kein Weg mehr vorbei: Die Frau* hinter diesem Film musste ich unbedingt näher kennenlernen.
Filmlöwin: Wie war Eure Premiere beim Filmfest München?
Irene von Alberti: Die war super. Ich hatte mir ja vorgenommen: Das Experiment muss weitergehen. Also haben wir zu einer diskursiven Premierenfeier eingeladen. Ich hatte Frédéric Jaeger als Moderator und Paula-Irene Villa, Soziologin und Gender Studies Professorin, eingeladen. Und dann hatten wir ein kleines Panel und haben richtig gut diskutiert – und zwar länger als der Film selbst geht.
Welche der vielen Ideen und Elemente Deines Films war eigentlich zu erst da?
Vor zwei Jahren hatte ich so ein komisches Unwohlsein, als die AfD den Berg hochging, die Identitären ganz gruselige, gut gemachte YouTube Videos verbreitet haben. Und ich hab überlegt: Wo steh ich denn und was kann ich da machen? Ich habe verschiedene Sachen gelesen und gleichzeitig überlegt, ob die Frage vielleicht interessanter ist als ihre Beantwortung. Und dann kam das Buch von Philipp Felsch raus, Der lange Sommer der Theorie. Der beschreibt das ja ganz schön: Man kann sich das bildhaft vorstellen, wie die früher in ihren riesigen WGs in ihrer Küche diskutiert haben.
Wieso hast du eigentlich keinen klassischen Dokumentarfilm gemacht?
Weil mir Dokumentarfilme selber irgendwie verdächtig sind. Weil ich immer denke, dass man da sowieso so viel reinschreibt und skriptet und inszeniert. Und ich möchte das lieber alles offen legen. Lieber will ich jemanden zeigen, wie er einen Film macht oder angeht, den Film zu machen, und das inszenieren.
Der Film im Film – der Film, den Deine Figur Nola macht – ist der Film, den du machst?
Genau. Und wir haben auch ganz bewusst nicht zwei verschiedene Kameras genommen, sondern alles die Spielfilmkamera machen lassen. Und auch die Orte entsprechend ausgeleuchtet, wo die Interviews stattfinden. Ich hatte dann aber überlegt: Wir können die Interviews maximal 5 Minuten einbringen. Und dann war gleich auch schon die Idee da, dass die Leute hinterher aktiv noch mal die ganzen Interviews auf YouTube anschauen können. Die sind alle hochgeladen und in voller Länge auch sehr interessant. Die Idee war, ein bisschen Aktivität hervorzurufen.
Ist Dein Film Deine Antwort auf die Frage der Frauen* im Film: Was tun?
Genau. Ich wollte auch was tun, aber was? Den Film hab ich gemacht. Für mich geht es aber immer noch weiter. Ich hatte ein paar Leuten den Schnitt gezeigt und hinterher kamen wir dann wieder in politische Diskussionen. Und ich dachte mir: Super, das ist genau das was ich immer wollte, dass es weiter geht, dass der Film etwas auslöst und dass man redet. Weil das so gut funktioniert, ist das auch unser Plan: Wenn der Film im Kino läuft, soll immer einer von den echten Interviewpartnern dazu kommen oder die Darsteller. Das Besondere an dem Film ist, dass er im echten Leben weitergeht.
Dürfen Filme politisch sein? Oder ist ein politischer Film noch Kunst? Hast Du über diese Fragen nachgedacht?
Für mich ist Der lange Sommer der Theorie in erster Linie ein experimenteller Spielfilm und dadurch Kunst. So wie politischer Film momentan definiert wird, ist es keiner, also kein Spielfilm, der auf der großen Leinwand in drei Akten wahnsinnig politische Storys haben will. Davon wollen wir uns distanzieren. Das will ich nicht machen. Und ich dachte, wenn ich mal die Chance habe, nur vom BKM [Beauftrage der Bundesregierung für Kultur und Medien] Geld zu bekommen und nicht von einem Fernsehsender, somit also niemanden habe, der mitredet, wenn ich wirklich alle Freiheiten habe, dann kann ich auch mal was ausprobieren.
Wie würdest Du Deinen Film in der aktuellen deutschen Filmlandschaft einordnen?
Jemand hat Der lange Sommer der Theorie mal zusammen mit Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes von Julian Rademacher, Ich will mich nicht künstlich aufregen von Max Linz und Orientierungslosigkeit ist kein Verbrechen von Tatjana Turanskyj eingeordnet. Wenn ich Verleiher wäre, würde ich alle vier Filme zusammen rausbringen, weil das vielleicht der Beginn eines neuen Genres werden kann, so wie man früher Filme in die Schublade „Berliner Schule“ gesteckt hat.
Wie viel von Deinen Schauspielerinnen steckt im fiktiven Teil der Handlung?
Viele von den kleinen Spielszenen sind Geschichten von Katja Weilandt und Martina Schöne-Radunski. Zum Beispiel hat Martina die Akne-Leggings, die im Film auftaucht, selbst entworfen, nähen lassen und auch schon Fotos gemacht – als Kunstprojekt. Das fand ich super filmisch und so haben wir das eingeflochten.
Und das Vorsprechen für die Rolle von Eva Braun?
Da haben wir zwei Sachen vermischt. Katja muss oft eine deutsche Frau spielen und wird schon immer wieder als Eva Braun gecastet. Aber es geht auch darum, dass sie dem Schauspieler, von dem sie erzählt, während des Drehs wirklich einen blasen sollte. Also Katja hat da Storys von Castings… das ist echt hart.
Ich hab mich natürlich sehr über das Erklären des Bechdel- und Sexy-Lamp-Test gefreut. Wie bist Du zum Thema Feminismus gekommen?
Mich interessiert überhaupt gar nichts anderes im Moment. Alles andere ist langweilig und auserzählt. Ganz am Anfang des Films stand noch eine andere Idee. Es gibt einen „Women and Film Salon“ zur Berlinale im Soho Haus und da war ich mit Katja Weilandt und wir haben darüber geredet, wie Frauen-Kollegialität funktioniert. Wir fanden es super, dass wir uns jetzt auf einer ganz anderen Ebene unterhalten, wenn keine Typen dabei sind. Auf den Berlinale-Partys verhalten sich Frauen auch anders untereinander. So kamen wir darauf, einen Film zu machen, in dem eigentlich nur Frauen mitspielen. Wir haben in Der lange Sommer der Theorie auch ein paar schöne Männer, aber wir können die auch genauso gut nur dekorativ in die Ecke stellen.
Aber auf das Thema Frauen*/Feminismus alleine wolltest Du dich nicht beschränken?
Ja, das war mir zu eng und hätte zu den anderen zwei Figuren nicht gepasst. Das wäre ein Film über Katja gewesen. Ich habe Katja dann noch das Thema Arbeit gegeben. So kamen wir auf den Staatsfeminismus, also dass von staatlicher Seite irgendwie immer mehr Anreize gegeben werden, doch nur Kinder und alte Leute zu pflegen und ein paar gutverdienende Frauen können dann weiter machen mit dem Elterngeld. Wie soziale Schichten säuberlich auseinander driften und getrennt werden. Ein paar mal hab ich gedacht, dass wäre auch ein eigener Film, aber man kann man sich ja auch das Buch Kritik des Staatsfeminismus von Andrea Truman und Lilli Lent holen und lesen.
Der Film gibt ja viel Input, sich weiter mit einzelnen Themen zu beschäftigen. Gleichzeitig ist der Film sehr demütig, nicht belehrend. Das fand ich sehr „weiblich“. Glaubst Du, Frauen* machen andere Filme als Männer*? Von den Themen her gesehen?
Ja, ich finde, Frauen* machen andere Filme. Ich kann dir wirklich bei einzelnen Szenen mit einer Trefferquote von 90% sagen, ob das eine Frau oder ein Mann gemacht hat. Ich glaube, da gibt es ein paar Kriterien für die Inszenierung oder wie die Rollen geschrieben sind.
Kann ich Dir eine Aussage über die Quote entlocken?
Die Quote find ich sehr gut. Ich verstehe die Aufregung nicht, weil man nüchterne Zahlen sieht, die einfach in keiner Weise irgendwie zu rechtfertigen sind. Das sind Zahlen und die sind scheiße. Und da muss man mit einer anderen Zahl, nämlich der Quote, dagegen halten.
Die feministische Filmfee gibt dir drei Wünsche frei. Was wünschst Du Dir für die Filmwelt?
Ich wünsche mir mehr Kontakt zum Publikum und zwar auf verschiedenen Ebenen. Erst einmal ein direkter Kontakt zwischen Film und Publikum und dass das Publikum wieder kollektiver ist. Ich glaube, dass man sich so verzettelt, indem jeder alleine auf seinem Handy einen Film guckt. So kann man keinen neuen Zeitgeist schaffen. Ich wünsche mir, dass es wieder ein großes Publikum gibt, dass sich kollektiv auf Themen konzentriert.
Dann wünsch ich mir, aus Produzentensicht, wieder mehr Bekenntnis zu Kunstfilm oder künstlerischem Film. Wir haben viel zu sehr Fernsehen und Kino in einen Topf geworfen. Das ist natürlich auch eine Zumutung für die Zuschauer, dauernd im Kino Fernsehfilme angucken zu müssen, nur weil sie DFFF Gelder [DFFF = Deutscher Filmförderfond] haben. Das macht die Kinos kaputt.
Das Dritte wäre die Quote. Aber auch in Hinblick auf die Budgets. Man könnte vielleicht recht schnell auf die Regisseurinnen-Quote kommen, aber nicht unbedingt mit den Budgets.
Mögen Deine Wünsche in Erfüllung gehen, liebe Irene! Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg für den Kinostart von Der lange Sommer der Theorie.
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