Die Studie „Audiovisuelle Diversität“ – Ist Maria Furtwängler Deutschlands Geena Davis?
Endlich ist sie da: Die große Studie über Frauen* in Film und Fernsehen, von Maria Furtwängler und ihrer malisa Stiftung angestoßen, durchgeführt von Prof. Dr. Elizabeth Prommer und Dr. Christine Linke an der Universität Rostock. Am 12. Juli 2017 wurden die Ergebnisse im Rahmen einer Pressekonferenz bekannt gegeben und sie sind, aus meiner Sicht, alles andere als überraschend.
Die genauen Zahlen könnt ihr euch hier in aller Ruhe zur Gemüte führen und ich möchte nur ein paar Beispiele nennen. Allgemein ist ein Geschlechterungleichgewicht von 1 zu 2 zu verzeichnen, natürlich zu Gunsten der Männer*. Allerdings, und das ist vielleicht das frappierendste Ergebnis, stellt sich das Verhältnis ausgerechnet im Kinderfernsehen noch extremer dar, in dem auf 3 Männer* nur eine Frau* kommt. Bei Fantasiewesen wie Tieren, Pflanzen und Robotern ist sogar nur eine von zehn Figuren weiblich*.
Untersucht wurden übrigens nicht nur fiktionale Inhalte, sondern auch die Sparten Information und Unterhaltung. Auch hier bestätigte sich, was viele schon wussten: Der Frauen*anteil unter Expert_innen liegt bei 21%, der Sprecherinnenanteil im nichtfiktionalen Unterhaltungsbereich, also in Showformaten, sogar nur bei 4%.
What’s New und was nu?
Wie schon angedeutet bin zumindest ich von diesen Zahlen wenig bis gar nicht überrascht, bestätigen sie doch jenes Ungleichgewicht, auf das ich seit Anbeginn meiner filmfeministischen Arbeit hinweise. Doch um mich geht es hier nicht und ebenso wenig um meine Mitstreiter_innen. Es geht um jene Leute, insbesondere Entscheidungsträger_innen, die das Offensichtliche über Jahre ausgeblendet haben und nun gezwungen sind, Stellung zu beziehen, wenn nicht gar Maßnahmen einzuleiten, die den Status Quo zum Besseren wenden.
Die wissenschaftliche Erhebung solcher Zahlen ist von unschätzbarer Bedeutung, denn sie schafft eine unbestreitbare Diskussionsgrundlage für Veränderung. Sie liefert objektive Beweise für die subjektive Wahrnehmung vieler Akteur_innen, die sich seit Jahren für mehr Gleichberechtigung in Film und Fernsehen einsetzen. Sie markiert das Ende einer theoretischen Diskussion und den Beginn einer neuen, einer praktischen, einer Ideenfindung, dem Übergang vom Denken ins Handeln.
Was diesen Schritt jedoch angeht, bleibe ich skeptisch. Quantitative Erhebungen, die sich nur in Zahlen ausdrücken lassen, bergen nämlich auch eine große Gefahr: den blinden Fleck der Qualität. Zumindest im fiktionalen Bereich, der ja den Fokus meiner eigenen Arbeit bildet, ist mit einer quantitativen Veränderung erst einmal wenig getan. Das verdeutlicht beispielsweise die Stellungnahme von Frank Hoffman, Geschäftsführer von RTL, bei der Pressekonferenz, der für seinen Sender auf Grund der Soap-Formate eine vorbildliche Frauen*quote vorweisen konnte. Welches Frauen*bild mit diesen Sendungen vermittelt wird, fiel dabei jedoch völlig unter den Tisch. Leistet die rein zahlenmäßig ausgeglichene Repräsentation von Frauen* in Film und Fernsehen wirklich einen Beitrag zu mehr Gleichberechtigung?
Auch Wolfgang Link von ProSiebenSat.1 brüstete sich mit Frauen*fernsehen, nämlich den Spartensendern Sixx und Sat1 Gold, freilich auch dies, ohne sich die qualitative Frage nach dem vermittelten Frauen*bild zu stellen. Nun war das Fernsehen ja von Anbeginn so etwas wie die audiovisuelle Valium für die Hausfrau*, die hierdurch nicht nur eine Freizeitbeschäftigung in den eigenen vier Wänden gestellt bekam, sondern auch anhaltend mit konservativen Rollenbildern angefüttert wurde. Dass das Fernsehpublikum in Deutschland heute noch mehrheitlich weiblich* ist – was natürlich auch im gesamtgesellschaftlichen Kontext von Gender Pay Gap, Ehegattensplitting und anderen Negativ-Anreizen zur Erwerbstätigkeit zu sehen ist – stellt kein Argument gegen Veränderung des Programms dar, sondern dafür.
Sichtbar ist Machbar – Aber gemacht werden, muss es trotzdem!
„If she can see it, she can be it“ ist der Slogan einer Kampagne des Geena Davis Institut on Gender in Media, das der malisa Stiftung eindeutig als Vorbild gedient hat. Geschlechterbilder in Film und Fernsehen spielen für weibliches* Empowerment insbesondere in jungen Lebensjahren eine entscheidende Rolle. Ich kann nur von dem träumen, das ich kenne. Sehe ich Piloten, Polizisten und Forscher neben Prinzessinnen, Müttern und weiblichen* Models, werde ich als Mädchen meine Zukunft wohl eher in den letztgenannten Rollen sehen. „Sichtbar ist Machbar“ ist Maria Furtwänglers deutsche Version dieser wichtigen Verschränkung von medialer und realer Emanzipation, die sich mitnichten nur auf Kinder und Jugendliche beschränkt. Starke Heldinnen können auch für erwachsene Frauen* eine wichtige Vorbildfunktion übernehmen und Inspiration wie auch Empowerment vermitteln.
Deshalb reicht es nicht aus, Gleichberechtigung an Zahlen festzumachen. Auf die quantitative Erhebung muss jetzt ein qualitativer Diskurs folgen, der sich darüber Gedanken macht, welche Geschlechterbilder wir in den Medien vermitteln wollen. Welche Berufe üben Frauen* in Kino- und Fernsehenfilmen aus und welche Rolle spielt diese Tätigkeit für die Figurenzeichnung und den Handlungsverlauf? Wie viel Kontrolle haben die Heldinnen über ihr Leben und wie viel Einfluss auf den Plot ihrer Geschichte? Sind sie Sexobjekte oder Sexsubjekte? Besitzen sie einen komplexen Charakter oder handelt es sich um wandelnde Stereotypen wie die gefühlskalte Karriereristin, die hysterische Ehefrau* oder die unterdrückte Mehrfachmutti?
„Sichtbar ist machbar“ gilt auch für die vorliegende Studie. Die Missstände sind klar zu erkennen und jetzt kann etwas dagegen unternommen werden. Ich persönlich schätze die Wahrscheinlichkeit einer solchen qualitativen Diskussion trotzdem erst einmal als recht gering ein. Warum? Der gesamten Pressekonferenz haftete eine ironische Aura an. Alles begann mit dem einführenden Video, in dem sich die verschiedenen Akteur_innen entschieden für mehr Gleichberechtigung aussprachen. Und auch die erste Vorstellungsrunde der Podiumsgäste von RTL (Hoffmann), ProSiebenSat.1 (Link), ARD (Karola Wille), ZDF (Thomas Bellut) und der FFA bzw. Film- und Medienstiftung NRW (Petra Müller) vermittelte einstimmige Kritik des Status Quo. Wenn aber, so fragte ich mich, alle in diesem Raum bereits von der Notwendigkeit einer Veränderung überzeugt sind, wenn alle das Problem bereits kennen, und dies nach eigener Aussage auch schon vor Bekanntgabe der Studienergebnisse: Warum sitzen wir dann noch hier?
Die Antwort ist simpel: Weil Veränderung anstrengend ist. Und überhaupt nicht wirtschaftlich. Veränderung kostet Kraft und Geld. Sich mit strukturellen Sexismen auseinanderzusetzen ist ein langwieriger Prozess, der letztlich auch von jeder_m Einzelnen die Auseinandersetzung mit sich selbst erfordert: Wo genau ist mein unconscious bias, also meine unbewusste Voreingenommenheit, und wie kann ich darüber hinauswachsen? Meine persönlichen Gespräche mit Medienschaffenden sowie meine Kenntnisse der deutschen Film- und Fernsehlandschaft stimmen mich wenig optimistisch, dass eine solch grundlegende, selbstkritische Auseinandersetzung zeitnah stattfinden wird.
Grund zur Hoffnung: Der umstrittene Promi-Bonus der Maria Furtwängler
Ich sehe die Lage dennoch positiv, denn es hat sich etwas Entscheidendes verändert: Deutschland hat jetzt eine Geena Davis. Es lässt sich natürlich darüber streiten, ob Maria Furtwängler nun die ideale Galionsfigur des filmfeministischen Unternehmens sei und sicherlich noch viel mehr darüber, wie viel weiblicher* Aktivismus der vergangenen Jahre nun in ihrem Schatten unterzugehen droht. Doch es geht nicht um Sympathien und auch nicht um Eitelkeiten, sondern um den nicht zu leugnenden Vorteil des Promi-Faktors. Es macht einfach einen Unterschied, ob ich kleine Bloggerin auf die Barrikaden gehe, ob sich die in der Film- und Fernsehlandschaft die ungerechter Weise marginalisierten Regisseurinnen zu einem aktivistischen Bündnis zusammen zusammenschließen, oder ob eine etablierte Schauspielerin und Tatort-Kommissarin mit Glamour-Faktor eine uns allen gemeinsame Ideen medienwirksam vermarktet.
All der Grummel, den ich während der Pressekonferenz auf Seiten verschiedener Mitstreiter_innen wahrgenommen habe und den zugegebenermaßen auch ich zuweilen spürte, ist ebenso unsinnig wie auch kontraproduktiv. Statt darüber zu streiten, wer welche Idee zuerst gehabt oder welchen Missstand zuerst erkannt hat, sollten wir uns alle miteinander darüber freuen, dass unser Anliegen jetzt endlich die Aufmerksamkeit erhält, die es verdient, und diese Aufmerksamkeit gemeinsam nutzen, um Veränderungen anzustoßen und die Welt ein kleines Bisschen besser zu machen. Es spielt eine untergeordnete Rolle, wer die Welle losgetreten hat: Surfen können wir alle darauf! Egal wer schließlich den Ehrenpreis für ihr Engagement mit nach Hause trägt: Die Gleichberechtigung vor und hinter den Kameras kommt uns ALLEN zu Gute. Neid statt Solidarität, Konkurrenz statt Zusammenarbeit – das sind Charakteristika eines patriarchalen, hierarchischen Systems. Und ist es nicht genau dieses, das wir überwinden wollen?
Geena Davis und ihr Institut haben einen entscheidenden Anteil daran, dass in den USA die Diskussion um Geschlechterbilder in den Medien kein belächeltes Nischenthema mehr ist, sondern ein anerkannter Diskurs. Wenn das Engagement von Maria Furtwängler und der malisa Stiftung für Deutschland Ähnliches erreichen kann, dann ist das vor allem eines: Grund zur Freude!
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