FFMUC 2019: Une fille facille

Türkisfarbenes Wasser in einer Bucht der Côte d’Azur. Die Grillen zirpen. Eine Frau* schwimmt in den Bildausschnitt. Die Kamera kommt ihr näher, umschmeichelt sie nach allen Regeln der Kunst des männlichen* Kamerablicks. Ein braungebrannter, haarloser Körper, pralle nackte Brüste, dunkel geschminkte Augen mit langen Wimpern und übervolle Lippen – die Person auf der Leinwand sieht aus, als sei sie gerade aus den Seiten des Playboy gehüpft.

Tatsächlich aber ist Sofia (Zahia Dehar) aus Paris in ihre südfranzösische Heimat zurückgekehrt, wo sie nun mit ihrer deutlich jüngeren Cousine Naïma (Mina Farid) ein paar Ferientage verbringt, am Strand liegt und vor allem abends um die Häuser, oder besser gesagt die Yachten, zieht. Une fille facille ist jedoch nicht Sofias Geschichte, sondern die der 16-jährigen Naïma, eine klassische Coming of Age Story über einen wegweisenden Sommer im Leben der jungen Heldin. Fasziniert vom Selbstbewusstsein Sofias, aber auch deren luxuriösem Lebensstil, folgt Naïma ihrem Idol auf Schritt und Tritt – bis auf die Yacht eines reichen Kunsthändlers, den Sofia gekonnt um den Finger wickelt.

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© FILMFEST MÜNCHEN 2019

Was ist Freiheit? Das ist die große Frage, die Naïma im Zuge dieses Films für sich beantworten muss. Freiheit ist immer mit Arbeit verbunden, meint ihre Mutter, die in einem der örtlichen Luxushotels arbeitet. Sofia jedoch scheint auch ohne jegliche Erwerbsarbeit völlig frei zu sein. Ja, sie nimmt bei ihren abendlichen Streifzügen nicht einmal Geld mit, da sie sich ohnehin zu allem einladen lassen wird. Und selbst die Gucci-Handtasche hat sie natürlich nicht selbst gekauft. Wie wohl auch so manche_r im Publikum, empfindet Naïma diesen Lebensstil zunächst als zweifelhaft. Doch Champagner und Yachtausflüge sind eben auch sehr verlockend…

Regisseurin Rebecca Zlotowski spielt gekonnt mit den Vorurteilen, die wir als Zuschauer_innen umgehend auf Sofia projizieren, sobald wir ihre aufgespritzten Lippen und „Porno-Brüste“ erblickt haben. Jedes Mal wenn sie den Nachfragen zu ihrem Leben in Paris ausweicht, glauben wir die Antworten trotzdem zu kennen. Vermutlich hat sie schlicht und einfach nichts zu erzählen, wenn sie in größeren Runden mal wieder schweigt. Vermutlich schlummert unter der künstlich aufpolierten Oberfläche einfach nur eine große Leere?!

Eine abschließende Antwort gibt es nicht. Da Une fille facille durchgehend aus Naïmas Perspektive erzählt ist, bleibt Sofia bis zum Ende eine geheimnisvolle Figur, die wir nicht ganz ergründen, aber eben auch nicht verurteilen können. Stattdessen müssen wir uns die Frage stellen, ob es nicht auch eine Form der Emanzipation sein könnte, sich durch gekonnte Selbstinszenierung zu finanzieren. Ist das nicht auch Arbeit? Ist das nicht auch Empowerment? Und was geht es uns eigentlich an, ob eine Frau* ihr Äußeres mit Make-Up, Botox oder Silikon verändert?

Die Besetzung von Sofia mit Model Zahia Dehar verleiht diesem Diskurs noch eine weitere Ebene. Dehar nämlich gehört zu jenen Frauen*, die aus den um sie geschürten Skandalen erfolgreich Profit geschlagen haben. Ursprünglich in einen Prostitutionsskandal mit der französischen Fußballnationalmannschaft verwickelt, ist sie inzwischen erfolgreiches Model und hat unter anderem ein eigenes Unterwäschelabel. Diese Form des Empowerments hätten dem „Lolita-Callgirl“ (Der Stern) wohl auch die wenigsten zugetraut.

© FILMFEST MÜNCHEN 2019

Ist Une fille facille also ein Film, der mit dem titelgebenden Stereotyp brechen will, der Respekt für Frauen* wie Sofia oder eben auch Zahia Dehar einfordert? Jein. Dafür bleibt die ältere Cousine hier zu sehr Anschauungsobjekt. Natürlich entsprechen die sexualisierenden Kameraeinstellungen auch Sofias erotischer Selbstinszenierung und Naïmas Faszination für eben jene. Sie verhindern aber auch, dass wir Sofia als Person begreifen, über die es potentiell mehr zu erfahren gibt als den Stil ihrer Intimfrisur. Auch die für den Rest der Story völlig unerhebliche Information, Sofia habe in diesem Sommer ihre Mutter verloren, untergräbt den Respekt für die Figur, da ihr Handeln als Reaktion auf dieses Erlebnis als pathologisch gelesen werden kann. Und kaum dass uns Rebecca Zlotowski einen Blick hinter die Maske aus lückenloser Solariumsbräune erlaubt hat, verschwindet Sofia auch schon von der Bildfläche.

Sofia ist das Faszinosum dieses Films, aber eben nicht seine Hauptfigur. Wir betrachten sie, bewerten sie, müssen unsere Vorurteile eventuell revidieren, aber wir erhalten keinen echten Einblick in ihr Seelenleben oder auch nur ihre Sicht der Dinge. Gleichzeitig aber weiß Une fille facille auch über seine tatsächliche Hauptfigur nur wenig zu erzählen. Es wirkt ein wenig, als habe sich Zlotowski nicht recht entscheiden können, um wessen Geschichte es ihr eigentlich geht. Naïma ist zwar als Stimme des Voice Overs quasi die Erzählerin von Une fille facille, doch da sie sich deutlich stärker mit Sofia als mit sich selbst auseinandersetzt, bleibt die Entwicklung des Mädchens* schließlich ein Nebenschauplatz. Auch zieht sich das Voice Over nicht als begleitende Gedankenstimme durch den Film, sondern taucht nur punktuell und unvermittelt auf, so dass seine dramaturgische Funktion insgesamt unklar bleibt. Dass wir als Zuschauer_innen weder zur einen noch zur anderen Figur eine echte Beziehung aufbauen können, erschwert die Identifikation und Einfühlung in die Hauptfigur. Was bleibt, ist ein hübsches, sonnendurchflutetes Schauspiel, dass gefällig vorbei plätschert, uns aber nur wenig mit auf den Weg zu geben vermag.

Naïma immerhin findet nach diesem luxuriösen Sommer eine wenig überraschende Antwort auf die Frage nach ihrer beruflichen Zukunft. Dabei proklamiert Rebecca Zlotowski mit ihrem Film nicht, welcher Weg der objektiv richtige sei, und dies ist schließlich die große Stärke ihrer ambivalenten Erzählung. Ob nun Erwerbsarbeit oder Selbstinszenierung: Hauptsache wir haben unseren Weg selbst gewählt. Und das wiederum ist dann doch wieder ein bisschen emanzipatorisch wertvoll.

Sophie Charlotte Rieger
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