FFMUC 2017: Die Verführten (The Beguiled)

Wie ein Märchenwald mutet die Wildnis der US-Südstaaten hier an, wenn die kleine Amy (Oona Laurencebeim Pilzesammeln einen verwundeten Yankee findet. Es ist das dritte Jahr des Bürgerkrieges und im Hintergrund dröhnt die Schlacht, während sich das kleine Mädchen* dem feindlichen Soldaten erbarmt und ihn mit zu sich nach Hause nimmt: Isoliert mitten in der Wildnis ruht das hochherrschaftliche koloniale Anwesen, in dem sich das Mädcheninternat von Miss Martha (Nicole Kidman) befindet.

Das Haus ist ein Hort der Zivilisation: Wo draußen Menschen einander bestialisch das Leben nehmen, wird drinnen Französisch und Handarbeit gelernt. Ein Paralleluniversum, ein engelsgleicher weiblicher* Mikrokosmus, dessen Reinheit mit der durchgehend weißen Kleidung der Bewohnerinnen betont wird. Regisseurin Sofia Coppola inszeniert ein märchenhaftes Westernsetting an der Grenze zwischen Wildnis und Zivilisation, zwei hier ganz klassisch als männlich*/wild und weiblich*/zivilisiert charakterisierte Räume. Draußen die Männer*, drinnen die Frauen*.

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Viele sind es nicht mehr. Nur fünf Schülerinnen und eine Lehrkraft sind neben Miss Martha noch im Schutz der Schule geblieben – ohne zu wissen, welche Welt sie nach dem Krieg jenseits des Zauns und Waldes vorfinden werden.

Das stabile System dieses Refugiums wird durch das Auftreten des Soldaten John McBurney (Colin Farrell) aus dem Gleichgewicht gebracht. Er ist nicht nur ein Feind, der Angst macht, er ist auch ein Mann*, der in den Frauen* ihrem jeweiligen Alter entsprechend unterschiedliche Begehren weckt und diese auch zu seinem Vorteil zu nutzen weiß. Jede individuell bestärkend, beginnt er die Bewohnerinnen des Hauses auf perfide Weise gegeneinander auszuspielen.

Am Anfang gelingt dies vielleicht einen Tick zu leicht. Sind die Mädchen* wirklich so naiv? Lechzen sie wirklich derart nach männlicher* Aufmerksamkeit, dass sie alles zu tun bereit sind, um sie für sich zu verbuchen? Nein. John hat seine Rechnung ohne den Mut der Frauen*, allen voran Miss Martha gemacht, die ihren idyllischen Mikrokosmus nicht freiwillig aufzugeben bereit ist. „Bravery is doing what is needed at the time“, sagt die Leiterin. Und mutig ist sie allemal.

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Kaum verliert der Hausgast die Kontrolle über die Situation, die Macht über seine Mitbewohnerinnen, eskaliert nicht nur die Situation, sondern vor allem er selbst. Die Maske fällt, er tobt, er rast, er fürchtet die Kastration. Die engelsgleichen Wesen haben sich in seinen Augen in Hexen verwandelt, an deren vermeintlicher Aggression er keinen Anteil mehr zu haben glaubt.

Wie gewohnt hat Sofia Coppola auch in Die Verführten große Freude an Ausstattung und Kostüm, am „Look and Feel“ ihrer Inszenierung, die sich wie ein Spaziergang durch alte Fotografien anfühlt – ein Effekt, der sicher auch auf die Arbeit mit analogem Filmmaterial zurückzuführen ist. Der zivilisatorische Mikrokosmos ist auf eine märchenhafte Art und Weise künstlich, ein Konstrukt, in das wir gerne eintauchen, das uns verzaubert. Auch wir werden verführt.

Die Erzählung bleibt zart, obschon fleischliches Begehren eine zentrale Rolle in der Geschichte einnimmt. Geradezu offensiv setzen die Mädchen* sich selbst in Szene, um dem unerwarteten Gast zu gefallen. Aufdringlich ist der Sound, mit dem Coppola eine Szene untermalt, in der Miss Martha mit gebotener Zurückhaltung, aber spürbarer Wallung den Verwundeten wäscht. Das wassergetränkte Tuch schiebt sich schmatzend über den sexualisierten Männerkörper und spart mit nahezu spürbarer Wehmut eben jenen Teil aus, nachdem sich die Akteurin hier am meisten sehnt. So rein wie ihre weißen Kleider, daran besteht kein Zweifel, sind hier weder die Mädchen* noch die erwachsenen Frauen*. Und das ist auch gut so.

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Denn nicht das Begehren bringt das Chaos, sondern das Spiel mit demselben, die Manipulation und die Lüge. Bei Coppola dürfen die Frauen* ungestraft sexuelle Akteurinnen sein, sich nicht nur anbieten, sondern auch nehmen, wonach sie sich sehnen. Die Reinheit der weißen Wesen in ihrem weißen Palast wird durch ihre Sexualität niemals getrübt. Sie ist anderer Natur.

Am Ende löst sich so die Dichotomie zwischen Wildnis und Zivilisation gewissermaßen auf, auch wenn Miss Martha und ihre Schützlinge den Mikrokosmos der Schule nicht verlassen und den sie umgebenden Zaun wieder abschließen. Aber auch dort, in dem Haus mit den weißen Säulen, gibt es wildes Begehren. Es schlummert bis es das nächste Objekt gefunden hat. Am Ende können wir nicht mehr sicher sein, wer hier eigentlich wen verführt hat: John die verschiedenen Frauen* und Mädchen* oder doch diese ihren Gast?

Oder Sofia Coppola uns?

Kinostart: 29. Juni 2017

Sophie Charlotte Rieger
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