DVD: Bang Gang – Sex böse! Liebe gut!
Ein Aufschrei geht durch die Welt: Die Jugend von heute ist sexuell verroht und alles nur wegen diesem diabolischen Internet! Witziger Weise gehören die Menschen, die das am lautesten schreien, zu einer Generation, die in der unverbindlichen körperlichen Liebe einen Akt der Befreiung sah. Und nichts Anderes, so zeigt uns Eva Husson in ihrem Film Bang Gang, versuchen die „verdorbenen“ Teenager von heute.

© Pierrot Le Fou
Ich gehöre zu der Generation, die Kids zum Kultfilm ernannte und Gina Wild Pornos auf den ersten selbstgebrannten CDs austauschte. Vermutlich schlugen schon damals Erziehungsberechtigte und Moralapostel Alarm ob der Tatsache, dass die Digitalisierung Jugendlichen einen unbeschränkten Zugriff auf die ach so bösen Sexfilme gewährte. Die Gegenoffensive aber bestand in einem mehr als nur mangelhaften Sexualkundeunterricht, in dem uns Aufklärungsfilme aus den 70er Jahren gezeigt wurden, in denen glückliche Paare gemeinsam in der Apotheke Schwangerschaftstests kauften. Aus uns ist trotzdem etwas geworden und daher bin ich zuversichtlich, dass auch die aktuell nachwachsende Generation ihren Weg finden wird.
Eva Husson, so glaube ich, sieht das ein bisschen anders. Ihre multiperspektivisch, also aus der Sicht mehrerer Figuren erzählten Geschichte einer Gangbang-Clique mutet insbesondere gen Ende recht pädagogisch an: Liebe Kinder, gebt fein Acht, ich hab euch etwas mitgebracht: Syphilis, Tripper und Schwangerschaft. Als Zuschauende dürfen wir selbst überlegen, ob es uns das wert ist: Bevor sich Laetitia (Daisy Broom), eine der Hauptfiguren, auf ihren ersten sexuellen Kontakt einlässt, schaut sie direkt in die Kamera. Hilfesuchend wirkt dieser Blick, als wolle sie unseren Rat, vielleicht sogar unsere Unterstützung. Denn hier – und das macht dieser Bruch mit der vierten Wand überdeutlich – wird eine folgenschwere Entscheidung gefällt!

© Pierrot Le Fou
Damit hat sich der emanzipatorisch wertvolle bzw. aus feministischer Sicht begrüßenswerte Anteil dieser Geschichte aber schon fast erschöpft. In den Gangbangs, die Alex fortan in seinem Haus veranstaltet, sind es in der Regel nach dem Bilderbuch geformte Körper junger Mädchen*, die nackt in Szene gesetzt werden. Es wird geblasen, aber niemals geleckt. Sich in ihrer Potenz feiernde junge Männer* finden kein weibliches* Pendant. Zwar entwickelt ausgerechnet die zu Beginn so zurückhaltende Laetitia ein echtes Faible für anonymen Geschlechtsverkehr, doch bleibt ihre sexuelle Lust dabei völlig unsichtbar.
George hingegen muss den Weg eines gefallenen Mädchens* gehen, um dem Film eine moralische Keule zu verleihen. Während der letzten sogenannten Bang Gang Party zieht sie nacheinander mehrere Männer zu sich ins Bett. Sogar den schüchternen und jungfräulichen Gabriel (Lorenzo Lefèbvre) weiß sie zu verführen. Doch was ein sexpositiver, selbstbewusster Akt sein könnte, birgt vor allem Tragik. Denn natürlich gerät ein Video von dieser Episode in Umlauf, natürlich wird George als Frau* für ihre Promiskuität geächtet, während über ihre männlichen* Sexualpartner kein Wort verloren wird. Und natürlich – und hier verlässt der Film dann deutlich eine emanzipatorische Richtung – ist sie in ihrer Opferrolle auf die Hilfe eines starken, moralisch integeren (= nicht promiskuitiven) Mannes* angewiesen, mit dem sie sich schließlich in romantischer Zweierliebe zu vereinigen weiß.

© Bang Gang
Immer wieder zeigt Eva Husson Bilder zutiefst gelangweilter Schüler_innen, die sehnsuchtsvoll aus den Fenstern ihrer Klassenzimmer blicken. Diese Generation, so wird am Ende des Films von einem Elternteil behauptet, weiß mit sich nichts anderes anzufangen als kollektiv zu vögeln und das – so ein Vater– ist furchtbar mittelmäßig.
Mittelmäßig? Was ist an einer sexuellen Befreiung denn mittelmäßig? Die vier zentralen Figuren der Geschichte – George, Laetitia, Alex und Gabriel – wirken, wie es sich im französischen Coming of Age Kino gehört, melancholisch und verloren. Sie suchen verzweifelt nach einer Form der Entgleisung. Gabriel beispielsweise trifft sich regelmäßig mit einer anonymen Gruppe zum tänzerischen Playfight – um Dampf abzulassen, wie er sagt. Er und die anderen jungen Menschen des Films sind voller Energie, die in ihnen brodelt wie in einem Dampfkochtopf. Sie muss raus. Aber wohin?

© Pierrot Le Fou
Oder aber, ein Film wie Bang Gang verpackt die sexuelle Befreiung einer ganzen Generation in eine melancholisch inszenierte Warnung: Sex böse! Liebe gut!
Willkommen im 19. Jahrhundert.
DVD-Start: 15. Juli 2016
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