Drei Gedanken zu: The Happytime Murders

von Leena M. Peters

Los Angeles in einem Paralleluniversum: Puppen aus Stoff, gefüllt mit Watte, existieren als Lebewesen in einer Welt mit Menschen aus Fleisch und Blut. Weil Menschen aber grundsätzlich „das Andere“ ablehnen, sind Puppen nicht vollständig akzeptierter Teil der Gesellschaft. Der Puppen-Privatdetektiv Phil Philips ringt mit Schuldgefühlen, weil er durch einen Fehlschuss nicht nur seine Karriere bei der Polizei beendete, sondern auch einen Rückschlag im Kampf um die gesellschaftliche Gleichstellung von Puppen in der Menschenwelt verschuldete. Nun muss er für die Ermittlungen in einem Mordfall wieder mit seiner ehemaligen, menschlichen Partnerin Connie Edwards (Melissa McCarthy) zusammenarbeiten, was beide in keiner Weise begrüßen.

© Universum Film

1. Weniger ist mehr

Ich gebe es unumwunden zu: Ich bin Fan von Melissa McCarthy. Sicher, es ist nicht jedermenschs Sache, wenn der Humor ihrer Filme über die Ekelgrenzen geht, aber in einer Welt, in der Frauen* niemals furzen, Stuhlgang haben (geschweige denn Durchfall), rülpsen, stinken oder andere körperliche Vorgänge ihrer möglichst haarlosen Körper sichtbar machen dürfen, ist eben dieser Schritt über die Grenzen revolutionär. Was einem Adam Sandler erlaubt ist (wenn auch als kindisch oder niveaulos abgestraft), wird in der öffentlichen Wahrnehmung noch lange nicht bei Frauen* toleriert, aber Melissa McCarthy tut es dennoch. Insbesondere in den Filmen, bei denen Paul Feig Regie führte, ist es ihr immer wieder gelungen, das enge Korsett dessen zu sprengen, was Frauen* auf der Leinwand tun dürfen.

Die größte Kraft entwickelt sie dabei nach meinem Empfinden, wenn sie gesellschaftlich fest eingeschriebene Erwartungen an und Beschränkungen für Frauen* übergeht, ohne dabei ihr Frau*-Sein hervorzuheben, wie etwa im Ghostbusters Reboot. Die Selbstverständlichkeit, mit der Melissa McCarthy – auch mit ihrem Aussehen, das nicht den herrschenden Schönheitskonventionen entspricht – körperlich agiert, ist ihre wichtigste feministische Handhabe: Weil sie mit Lust sowohl sexuelle Selbstbestimmung wie auch unappetitliche Kontrollverluste als etwas Menschliches und damit auch Weibliches* darstellt. Dies gilt ebenso für alles, was narrativ dazwischen liegt; in den besten Momenten ihrer Filme ist eben nicht der Fokus darauf gerichtet, dass hier gerade Frauen* etwas tun – auch wenn sie etwas tun, was in Filmen sonst Männern* vorbehalten ist. Kein Kommentar ist manchmal der aussagekräftigste Kommentar.

Mit The Happytime Murders möchte Regisseur Brian Henson unleugbar ebenfalls Grenzen überschreiten. Während Puppen sonst als Garant für familienfreundliche Unterhaltung gelten, lässt der Sohn von Muppets-Erfinder Jim Henson seine flauschigen Darsteller_innen hier enthemmten Sex haben, Pornos drehen und Drogen nehmen. Leider hält sich Henson nicht an meine Goldene Regel und macht McCarthys Frau*-Sein wiederholt zum Gegenstand des Gesprächs. Verzeihlich ist die Szene, in der Edwards (McCarthy) einen Puppen-Gangster ausgiebig verprügelt, weil er anwesende Puppenfrauen* immer wieder als ‘bitch’ bezeichnet; an anderen Stellen entlarvt Henson hingegen sein binäres und traditionelles Geschlechterbild. Es sind die meiner Meinung nach schwächsten Gags, wenn McCarthy wiederholt für einen Mann* gehalten wird. Nicht nur, weil es nicht einmal glaubwürdig ist – weite Kleidung und ein forsches Auftreten werfen auch in der realen Welt noch nicht die reflexhafte, binäre Geschlechterzuordnung um, die McCarthy allein durch ihre „weibliche*“ Frisur hervorruft. Will sagen: Nein, niemand würde sie auch auf Distanz für einen Mann* halten. Die Unglaubwürdigkeit ist jedoch dem Kritikpunkt unterzuordnen, wie problematisch es ist, dass McCarthy damit eine Vorstellung von „richtiger“ Weiblichkeit* fortschreibt, die jede Abweichung als defizitär lächerlich macht. Wer nicht mit Wespentaille und körperbetonter Kleidung auftritt, wird ohne Umschweife als Mann* gelesen und das ist für Frauen* ein Makel, über den gelacht werden darf? Schwierig. Es nimmt dem Film einiges an emanzipatorischen punch, dass eine Pointe ausgerechnet aus dem Aussehen der Person gemacht wird, die andererseits mit ihrer Darstellung zu großen Teilen gewährleistet, dass der „Puppenfilm für Erwachsene“ überhaupt funktioniert.

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2. „Devianz“ als Pointe

Ein weiterer roter Faden, der sich durch The Happytime Murders hindurchzieht – folgerichtig für einen Film der low comedy, die ihren Humor unter anderem in Körper(fehl)funktionen und tabuüberschreitender Freizügigkeit verortet – ist die Inszenierung von “abweichendem” oder exzessivem sexuellen Verhalten als Witz oder zumindest als notwendige Bedingung, die zum Witz führt. Der Erfolg dieser Witze und auch ihre Legitimation ist heute nicht mehr nur Geschmackssache, sondern muss in Zeiten von body und sex positivity auch Gegenstand feministischer, mithin politischer Kritik sein. Wenn die Darstellung bestimmter sexueller Präferenzen oder Verhaltensweisen witzig sein soll, setzt das einen Konsens über Normalität voraus, die – auch hier – die Abweichung lächerlich macht; der Witz geht somit auf Kosten derer, die damit als „anders“ ausgegrenzt werden.

So geht mir beim Schmunzeln über einen Pornodreh, bei dem eine Tintenfischpuppe eine Kuhpuppe unter lustvollem Stöhnen melkt, so dass die Milch an die Decke spritzt, die Frage durch den Kopf, warum genau das jetzt eigentlich lustig sein sollte. Ja, die Anspielung auf Tentakel-Hentai und Bukkake mit Charakteren, die in der Sesamstraße auftreten könnten, ist im Rahmen der Prämisse dieses Films eine kreative, unerwartete Steigerung. Gleichzeitig enttarnt Henson damit jedoch seine Vorstellung von Normalität und Devianz – dabei können wir doch eigentlich nur über die „Perversion“ anderer lachen, wenn wir unsere eigenen für „normal“ halten. Henson hält sich zu großen Teilen schadlos, indem er puppenspezifische Devianzen erfindet, die zumeist keine Bezüge zu menschlichen sexuellen Präferenzen anbieten. Dort, wo sich Puppen und Menschen jedoch ähneln, verfällt er leider in herkömmliche Muster, indem sich zum Beispiel – Vorsicht, Spoiler – die Frau* mit dem großen sexuellen Appetit als Psychopathin entpuppt (pun not intended). Nicht einmal im traditionellen Film Noir ist die femme fatale unausweichlich eine wissentliche und willentliche Übeltäterin; The Happytime Murders geht hier schlicht den sehr ausgetretenen Pfad des slut shaming, dass mit einer Frau*, die gerne und viel mit wechselnden Partner_innen Sex hat, grundsätzlich etwas nicht stimmen kann.

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3. Das Gegenteil von gut gemacht ist gut gemeint

Das Ärgerliche an den Kritikpunkten – den oben angeführten sowie dem, zu dem ich nun abschließend komme – ist, dass ich den Eindruck habe, Henson möchte mit The Happytime Murders und Melissa McCarthys Beteiligung daran eigentlich das Richtige: Einen Film, der mit Geschlechternormen bricht und die Ungerechtigkeit von Diskriminierung thematisiert. Die Freund_innenschaft zwischen den Protagonist_innen, die den Film auch dem sonst männlich* besetzten Genre des Buddy Movie zuordnet, darf Geschlechtergrenzen überwinden. Zwischen Edwards (McCarthy) und ihrem ehemaligen Partner Philips, dem Puppen-Detektiv, herrscht bemerkenswert asexuelle Zuneigung und das nicht, weil sie zu unterschiedlichen Lebensformen gehören. Die thematisierte Diskriminierung – in diesem Fall der Puppen durch Menschen – wird treffsicher in ihrer strukturellen Form wie auch in der Darstellung von Mikroaggressionen und offener Ablehnung widergespiegelt.

Aber genau dort liegt auch die größte Schwierigkeit solcher parabelhafter Erzählungen. Während die Diskriminierung im Film als ungerecht und unproduktiv für ein friedliches Zusammenleben gezeigt wird, sind die Unterschiede, auf die diese Diskriminierung beruht, greifbar und unleugbar vorhanden. Es sind hier eben PUPPEN – Lebensformen aus Stoff, mit Watte gefüllt, zum Teil sehen sie wie Tiere aus, zum Teil wie Menschen, zum Teil wie Außerirdische. Die Ausgrenzung, die sie erleben, ist ungerecht, aber nicht völlig willkürlich, schließlich bringen sie ganz eindeutig andere physische Grundvoraussetzungen mit. Dies als Parallele zu ziehen zur Diskriminierung, die POC, Homosexuelle, Trans*-Menschen, Nonbinäre oder Frauen* in der realen Welt erleben, ist meines Erachtens nach kritikwürdig: Denn alle diese Menschen, die marginalisiert werden, sind zuallererst und unleugbar Menschen, die Unterschiede, aufgrund derer sie diskriminiert werden, sind allein kulturell und damit arbiträr begründet.

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Sicherlich darf eine erwachsene Komödie mit Puppen mit etwas Nachsicht betrachtet werden. Henson wollte kein politisches Manifest aufstellen und die Gesellschaft revolutionieren, sondern Menschen zum Lachen bringen und dabei möglichst modern und auch verhältnismäßig politisch korrekt sein. Dennoch möchte ich dem wahren Kern in diesem Witz das Caveat beifügen: Ein weißer, heterosexueller Cis*-Mann* ist ein Mensch – aber diejenigen, die von diesem Default abweichen, sind keine Puppen.

Fazit

The Happytime Murders ist kein revolutionäres Meisterwerk. Neben den genannten feministischen Kritikpunkten hat der Film noch andere Schwierigkeiten und angesichts des oben Angeführten zögere ich – und entscheide mich dagegen – das Prädikat „emanzipatorisch wertvoll“ zu vergeben. Melissa McCarthy hat davor und danach Wertvolleres für den Feminismus geleistet. Bezeichnenderweise ist die schönste Szene des Films die, in der die burschikose Connie Edwards mit Philips‘ sehr femininer Vorzimmerdame Bubbles (Maya Rudolph) gemeinsam ermittelt. Die Chemie zwischen den beiden Frauen* ist spürbar und mir ging dabei durch den Kopf, dass ich lieber einen Film sehen würde, in dem diese beiden – ohne die Puppengeschichte – Verbrechen aufklären. Wir können durchaus noch mehr Filme mit Frauen* als Protagonistinnen gebrauchen, gerne ohne andere Gimmicks.

DVD-Veröffentlichung: 08. März 2019

 

Leena M. Peters
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