Blockbuster-Check: Ghostbusters
Weil der Bechdel-Test zwar ziemlich cool ist, aber dennoch manchmal zu kurz greift, nehme ich im Blockbuster-Check Mainstream-Filme hinsichtlich einzelner Elemente kritisch unter die Lupe.
Achtung: Auf Grund der Herangehensweise kann der Blockbuster-Check nicht spoilerfrei sein!
Held_innen
Wären alle Filme so wie der neue Ghostbusters, könnte ich den Blockbuster-Check einstellen, denn in diesem weiblich* besetzten Remake der kultigen Horrorkomödie aus den 80ern spielt das Geschlecht der Heldinnen kaum mehr eine Rolle. Erin (Kristen Wiig), Abby (Melissa McCarthy), Holtzmann (Kate McKinnon) und Patty (Leslie Jones) sprengen zahlreiche Leinwandklischees. Immerhin drei von ihnen sind hochintelligente Forscherinnen, die maßgeblich durch ihre naturwissenschaftlichen Berufe charakterisiert sind. Dabei ist es definitiv ein Wermutstropfen, dass ausgerechnet Patty als Woman of Color deutlich weniger Bildung besitzt als ihre Mitstreiterinnen. Ein Blockbuster-Check zum Thema „Race“ zöge sicher ein deutlich kritischeres Fazit als dieser hier.
Die Heldinnen überzeugen vor allem durch ihre körperliche und charakterliche Diversität. Ghostbusters zeigt eine größere Bandbreite an Frauen*typen als so ziemlich jeder andere Blockbuster – Die Tribute von Panem mit inbegriffen. Erfreulich ist auch, dass die Handlung komplett auf Liebesgeschichten verzichtet. Mal abgesehen von Erins Schwärmerei für den sexy Sekretär (Chris Hemsworth) spielen Männer* im Leben der Hauptfiguren keine Rolle. Ihre Ziele sind ausschließlich beruflicher oder gar heroischer Natur, auch hier kann nicht einmal Katniss Everdeen mithalten.
Auffällig ist auch die Konsequenz, mit der Regisseur Paul Feig tradierte Frauen*bilder dekonstruiert: Seine Heldinnen dürfen Fäkalwitze machen (die nicht mehr oder weniger lustig sind als die von Männern*), durchgeknallt sein und wahrlich unsexy herumalbern. In diesem Zusammenhang ist Holtzmann die vielleicht emanzipierteste Frauenfigur aller Zeiten, zumindest mein Herz hat sie im Sturm erobert: ein Nerd durch und durch, clownesk in ihren Bewegungen, klug, stark, bodenständig und herrlich irre. Im Finale schenkt Feig ihr eine Actionszene, die vor heroischem Pathos nur so trieft und in ihrer komödiantisch-überzogenen, aber zu keinem Zeitpunkt lächerlichen, Ausrichtung geradezu eine neue Ära einleitet. Denn diese Art der Inszenierung war bislang männlichen* Figuren vorbehalten.
Gegenspieler_innen
Auch wenn der eine oder andere weibliche* Geist auftaucht, verliert Ghostbusters in dieser Kategorie dann doch ein paar Punkte. Nicht nur weil es sich beim Bösewicht der Geschichte und wichtigsten Gegenspieler der Geisterjägerinnen um einen Mann* handelt, sondern weil der Film insgesamt kaum unsympathische Frauen*figuren zu bieten hat. Gleichberechtigung im Film bedeutet eben auch, dass die Bösartigkeit und Abgründigkeit einer Figur in keinem Zusammenhang mit ihrem Geschlecht steht. Oder anders gesagt: Frauen* sollten genauso scheiße sein dürfen wie Männer*.
Geschlechterrollen allgemein
In einzelnen Aspekten nimmt Paul Feig eine konsequente Rollenumkehr vor. So erfüllt Sekretär Kevin alle Kriterien der stereotypen Blondine: Er ist ebenso naiv wie liebenswert, haarsträubend dämlich, aber atemberaubend gutaussehend. Wie es sich für die Assistentin der eigentlichen Helden gehört, bleibt Kevin ein Dekorationsobjekt, das erst dann einen – ohnehin nur passiven – Einfluss auf die Handlung ausüben kann, wenn es gerettet werden muss. Dabei schießt Feig zugegebener Maßen ein wenig über das Ziel hinaus und lässt keine Gelegenheit aus, seine männliche* Blondine ins Lächerliche zu ziehen. Andererseits: An dieser überraschenden Besetzung von Thor-Darsteller Chris Hemsworth kann zumindest ich mich nicht sattsehen. Diesbezüglich hat übrigens der Abspann noch Einiges zu bieten. Also: sitzen bleiben!
Während im Büro der Ghostbusters Geschlechterrollen vertauscht werden, entspricht die Gesellschaft im Film unserer durch strukturellen Sexismus geprägten Realität. Wann immer den vier Heldinnen Steine in den Weg gelegt werden, sind Männer* am Werk. Sowohl Erin als auch Abby werden auf Grund ihrer ungewöhnlichen Forschung von ihren Vorgesetzten entlassen und auch der Bürgermeister schätzt ihr Engagement keineswegs. Dessen Assistentin ist im Übrigen die einzige wahrlich unsympathische Frauen*figur des Films, bleibt aber in der Rolle einer Handlangerin stecken.
Ghostbusters könnte mit viel gutem feministischen Willen auch als Geschichte vom Kampf gegen patriarchale Strukturen interpretiert werden. Dafür spräche auch die Rechtfertigung des männlichen*, weißen Bösewichts, der sich von der Gesellschaft ungerecht behandelt fühlt und hieraus sein Recht auf Zerstörungswut ableitet. Gegenüber vier Frauen*, eine davon als Person of Color von Mehrfachdiskriminierung betroffen, muss diese Äußerung absolut lächerlich wirken. „Heul doch!“ kann ich da nur sagen.
Da – bis auf wenige und stets als solche erkennbare – misogyne Scherze das Geschlecht der Heldinnen jedoch eine derart untergeordnete Rolle spielt, erscheint mir diese Lesart zu konstruiert. Ghostbusters ist definitiv emanzipatorisch wertvoll, aber nicht als Metapher gegen männlichen* Machtmissbrauch. Die eigentliche emanzipatorische Leistung des Films besteht im Rollentausch. Kevin ist viel mehr als eine Witzfigur. Er ist auch der wandelnde Beweis für die Beliebigkeit von Geschlechterkonstruktionen!
Dresscode und Sexappeal
Ghostbusters gelingt das Unmögliche: Keine seiner Heldinnen wird jemals sexualisiert. Die vier Geisterjägerinnen dürfen dieselben unförmigen Overalls tragen wie ihre männlichen Vorgänger und sind niemals nackt, nicht einmal halbnackt zu sehen. Die einzige Figur, die auf ihre Physis reduziert und wiederholt sexualisiert wird, ist Kevin.
Dramaturgie
Die strukturelle Macht liegt in Ghostbusters größtenteils bei den Frauen*. Sie sind es, die sich der Geisterjagd verschreiben, sich über Verbote hinwegsetzen, um Menschenleben zu retten. Ab und an müssen sie einen Umweg nehmen, weil Männer* in Machtpositionen ihnen Steine in den Weg legen, doch auch diese Umwege verlaufen auf der Basis ihrer eigenen Entscheidungen. Der Bösewicht übt freilich großen Einfluss auf den Verlauf der Dinge aus, ist also auch in dieser Kategorie die „feministische Achillesferse“ des Films. Andererseits gab die rein weibliche* Besetzung der Hauptfiguren bis dato schon viel zu viel Anlass für sexistische Kommentare. Gäbe es auch noch eine Bösewichtin, würde dies die maskulinistischen Heulsusen wohl endgültig überfordern.
Botschaft
Dumme Menschen sind dumm und heldenhafte Menschen heldenhaft. Das Geschlechts ist pupsegal.
Gesamtwertung: 9
von 0 (Sexistische Kackscheiße) bis 10 (Emanzipatorisch Wertvoll)
Kinostart: 4. August 2016
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Zu der von dir zurecht gefeierten Holtzmann-Actionszene bin ich über einen berechtigt-euphorischen Beitrag gestolpert. Vielleicht gefällt er dir ja?
https://www.sdb-film.de/2016/08/die-wichtigste-filmszene-2016.html
[…] selbstverständlich, sondern außergewöhnlich ist. Denken wir nur an Die Tribute von Panem oder Ghostbusters, die zwar um starke Frauen*figuren kreisten, aber trotzdem unter männlicher* Regie entstanden. […]
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Aber wir sind uns schon einig, dass der Film trotzdem absolut dumm ist, oder?