Blockbuster-Check: Thor: Love and Thunder

Weil der Bechdel-Test zwar cool ist, aber dennoch manchmal zu kurz greift, nehmen wir im Blockbuster-Check Mainstream-Filme hinsichtlich einzelner Elemente kritisch unter die Lupe.

Achtung: Aufgrund der Herangehensweise kann der Blockbuster-Check nicht spoilerfrei sein!

Held:innen

Thor (Chris Hemsworth) bekommt Konkurrenz. Der nunmehr vierte Marvel-Film über den nordischen Gott und Superhelden befördert Dr. Jane Foster (Natalie Portman) von der Rolle als Thors (Ex)Freundin zu der einer Superheldin. In Thor: Love and Thunder darf sie als Mighty Thor den Hammer Mjølnir schwingen und gemeinsam mit Thor das Universum retten. Obwohl sie diese Karriere ungeplant antritt und sich zunächst noch an ihre Kräfte und neue Rolle gewöhnen muss, weist Jane von Anfang an klassische Superheld:innen-Qualitäten auf: Sie stürzt sich mutig in jeden Kampf zur Rettung Unschuldiger, meist mit einem flotten Spruch auf den Lippen, und ist notfalls bereit, sich für die Sache zu opfern. Bereits in ihrer ersten Szene als Mighty Thor erweist sie sich als starke Kämpferin, die Thor durchaus das Wasser reichen kann und ihm im Laufe des Films mehrmals den Hintern rettet.

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Mighty Thor (Natalie Portman) und Thor (Chris Hemsworth)

©Marvel Studios 2022

Die daraus entstehende Dynamik zwischen ihr und Thor ist interessant, denn der muss sich erstmal damit abfinden, dass ihm seine Exfreundin teilweise die Show stiehlt und er sich die Held:innenrolle teilen muss. Teil seiner Entwicklung im Film ist es, seine Alleingänger-Mentalität abzulegen und stattdessen Verletzlichkeit zuzulassen und Hilfe anzunehmen – eine angenehme Botschaft für einen Superheldenfilm. Zwar gibt Thor Jane teils gönnerhaft Tipps für das Superheld:innendasein und versucht später, sie aus Sorge um ihre Gesundheit vom finalen Kampf auszuschließen, doch letztendlich kommt er ohne Mighty Thor an seiner Seite nicht gegen den Bösewicht Gorr (Christian Bale) an. Im Gegensatz zu dem Sidekick Korg (Taika Waititi), der hauptsächlich für die lustigen Sprüche zuständig ist und beim Showdown aufgrund einer früheren Verletzung nicht dabei ist, nimmt Jane in Thor: Love and Thunder eindeutig eine Heldinnenrolle ein. Für ihren heroischen Einsatz ehren die Menschen in New Asgard sie am Ende entsprechend und sie erhält, wie die Post Credit-Szene zeigt, einen Platz in Valhalla.

Eine vollständig emanzipierte Heldin ist Mighty Thor jedoch nicht. Anfangs ist Janes Handlungsstrang noch vielversprechender als zuvor, denn statt, wie noch in Thor — The Dark Kingdom, nur Thor hinterherzutrauern, hat sie diesmal ihre eigenen Probleme und Ziele: Sie will ein Heilmittel gegen ihren Krebs finden. Sobald sie mit Thor zusammen unterwegs ist, geht sie jedoch teilweise in seiner Geschichte unter. Eine eigene Superheldinnenidentität entwickelt Mighty Thor beispielsweise kaum. Sie teilt seinen Namen, trägt ein ähnliches Outfit, kämpft mit seiner Waffe und hat ähnliche Fähigkeiten. Zudem fällt sie zumindest teilweise wieder in das klassische Rollenbild der Superhelden-Freundin, die seinen Schwachpunkt und ein Druckmittel gegen ihn darstellt. Im Finale ist es, auch wenn Mighty Thor tapfer kämpft und sich opfert, am Ende doch Thor, dem es durch seine Trauer um Jane gelingt, Gorrs Herz zu erweichen und so das Universum zu retten. So stirbt Jane zwar einen Heldinnentod, ist aber auch in gewisser Weise eine „Frau im Kühlschrank“, deren Tod die entscheidende Handlung des Helden auslöst. 

Natalie Portman als Mighty Thor

©Marvel Studios 2022

Am Ende ist Janes Karriere als Mighty Thor so schnell vorbei, wie sie begonnen hat. Das ist schade, denn es wäre interessant gewesen zu sehen, wie sich ihre Heldinnenidentität entwickelt und wie ihre Rolle als Superheldin ihre weitere Beziehung mit Thor beeinflusst hätte. Bezeichnend ist an Janes Tod auch, dass sie nicht nur einen Heldinnentod stirbt, weil sie sich opfert, sondern dass es das Heldinsein an sich ist, das sie umbringt. Während Thor durch seine Waffe seine Kräfte bündelt, entzieht Mjølnir Jane auf Dauer die Kraft, ihren Krebs zu bekämpfen und somit zu überleben. Ihre Tage als Superheldin waren also von Anfang an gezählt und sie war nie eine echte Konkurrenz oder (in Sachen Superkraft) ebenbürtige Partnerin für Thor. Dieser hat mit Love jetzt zwar wieder eine Heldin an seiner Seite, aber auch dieser hat er einiges voraus, da sie noch ein Kind ist. 

An Thors und Janes Seite kämpft Walküre (Tessa Thompson), die in Avengers: Endgame von Thor die Regierung New Asgards übernommen hat und keine Sekunde zögert, Bürokratie gegen das Schlachtfeld einzutauschen. Sie erweist sich nicht nur als tapfere und leicht ungeduldige Heldin, die den Kampf im Zweifelsfall langwieriger Diplomatie vorzieht, sondern auch als gute Freundin für Thor und Jane, von deren Präsenz als Heldin sie sich, im Gegensatz zu Thor, nicht bedroht zu fühlen scheint. Das Geschlechterverhältnis unter den Hauptfiguren ist somit erstaunlich ausgeglichen und Heldinnen stellen einen wichtigen Bestandteil der Gruppe dar. Leider darf jedoch auch Walküre ihr Potential als Heldin nicht vollständig entfalten. Im Gegensatz zu Thor: Tag der Entscheidung erfahren wir in Thor: Love and Thunder nur wenig über sie als Person, sie hat keinen von Thor unabhängigen Handlungsstrang oder erkennbare eigene Ziele und genau wie Korg wird sie im Laufe des Films verletzt und muss beim großen Finale zuhause bleiben.

Tessa Tompson als Walküre in Thor: Love and Thunder

©Marvel Studios 2022

Gegenspieler:innen

Da Antagonist Gorr in Thor: Love and Thunder im Alleingang handelt, gibt es keine Gegenspielerinnen. An Gorr ist vor allem seine Rolle als Vater interessant, die eng mit seiner Antagonisten-Geschichte verknüpft ist. Neben einer generellen Desillusionierung in seinem Glauben löst vor allem der Tod seiner geliebten Tochter Love (India Rose Hemsworth) seinen Wunsch nach Rache an den Göttern aus. Im Gegensatz zu manch einem lediglich machthungrigen Antagonisten erhält Gorr sich dadurch ein Stück Menschlichkeit und muss, genau wie Thor, am Ende lernen, statt Gewalt und rücksichtsloser Machtdemonstrationen Liebe und Verletzlichkeit zuzulassen. Zu guter letzt behält Thor Recht, dass nicht Rache sondern nur Liebe Gorr wirklich erfüllen kann. Als Thor sich für seine Liebe zu Jane statt seinen Hass auf Gorr entscheidet, überkommt auch Gorrs Liebe zu Love seinen Hass auf die Götter und entscheidet sich für ihr Leben statt das Ende des Universums. Im Gegensatz zu Avengers: Infinity War, wo Antagonist Thanos seine Tochter für seine Machtergreifungspläne opfert, ist die Vater-Tochter-Beziehung in Thor: Love and Thunder also nicht nur Mittel zum Zweck sondern zumindest zu Beginn und zum Ende hin ein zentraler Faktor für den Antagonisten.

Gorr (Christian Bale) in Thor: Love and Thunder

©Marvel Studios 2022

Geschlechterrollen allgemein 

Während das Geschlechterverhältnis in Thor: Love and Thunder zumindest zahlenmäßig recht ausgeglichen ist, sowohl in Massenszenenen als auch unter den Hauptfiguren, liegt der inhaltliche Fokus vor allem auf Thor und seiner Charakterentwicklung. Diese ist jedoch aus feministischer Sicht durchaus interessant, denn der Film dekonstruiert in gewisser Weise klassische Superhelden-Bilder von Männlichkeit. 

Thors physische Stärke und betont maskuline Optik (s.u.) stehen einer emotionalen Verletzlichkeit gegenüber, die er im Laufe des Films nicht überwinden sondern zulassen muss. Dazu gehört, seine Eifersucht auf Jane und ihre Bindung zu Mjølnir zu überwinden, seinen Anteil am Ende ihrer Beziehung einzugestehen und seinen Hang zu machohaften Alleingängen abzulegen. Thors wahre Stärke liegt letztendlich nicht in seinen Superkräften, sondern darin, Liebe und die damit einhergehende Verletzlichkeit zuzulassen und zu zeigen. Passend dazu findet er Erfüllung am Ende auch nicht in seinem Status als Held sondern in seiner Rolle als Vater, auch wenn er sich diese nur bedingt selbst aussucht. Ähnlich verhält es sich mit dem Antagonisten Gorr, den selbst die Macht, Götter zu töten, nicht erfüllen kann, sondern langsam umbringt. Erst das Wissen, seine Tochter gerettet und sie einem liebevollen Adoptivvater anvertraut zu haben, bringt ihm Frieden.

Thor (Chris Hemsworth) sitzt auf einem Stein, hat die Augen geschlossen und einen entspannten Gesichtsausdruck.

©Marvel Studios 2022

Dass diese kritische Auseinandersetzung mit Männlichkeit bewusst geschieht, zeigt sich auch in der oft überspitzten und humoristischen Darstellung von Machismus. So legt Thor zu Beginn des Films durch einen angeberischen Alleingang den prächtigen Tempel eines Volkes, das er zu retten versucht, in Schutt und Asche, und zögert die Verabschiedung von Starlord unbeholfen hinaus, um nicht zugeben zu müssen, dass er seine Freund:innen, die Guardians, vermissen wird. Ein ähnliches Verhalten legt Zeus (Russell Crowe) an den Tag, der sich als betont maskulin und begehrenswert inszeniert und seine Macht durch übertriebene Showeinlagen und die Demütigung Thors unter Beweis stellt. Statt sich als angeblich mächtiger Gott um die Rettung des Universums zu kümmern, ist er mehr damit beschäftigt, auf diese Weise über seine eigene Angst vor Gorr hinwegzutäuschen. Im Gegensatz zu Thor, dessen einstige Bewunderung für Zeus schnell abebbt, legt Zeus diese Haltung jedoch nicht ab und präsentiert sich in der Mid-Credit-Szene als neuer Antagonist, der weiterhin seine Macht und Dominanz unter Beweis stellen will. 

Intersektionalität

Betrachtet man die Massenszenen, ist Thor: Love and Thunder, zumindest was race betrifft, recht divers aufgestellt. Sowohl unter den Menschen New Asgards als auch den Göttern in Omnipotence City befinden sich zahlreiche People of Colour und die gezeigten Gottheiten sollen anscheinend Religionen verschiedenster Kulturen repräsentieren. Auch Queerness findet sich immer wieder am Rande, beispielsweise als Männer wie Frauen beim Anblick des nackten Thor in Ohnmacht fallen, Walküre offen mit einer Frau flirtet, und Korg am Ende einen Partner findet. In Sachen Figuren mit (sichtbaren) Behinderungen sieht es dagegen mau aus.

Walküre (Tessa Thompson) sitzt auf einem weißen Pegasus.

©Marvel Studios 2022

Je wichtiger die Figuren, desto weniger Diversität gibt es in Thor: Love and Thunder. Unter den für die Handlung relevanten Figuren gibt es immerhin zwei Schwarze Personen: Walküre und Axl (Kieron L. Dyer), Heimdalls Sohn, der die Fähigkeiten seines Vaters geerbt hat und für die entführten Kinder Asgards eine Art Anführer darstellt. Im Fokus des Films stehen jedoch ganz klar die weißen Protagonist:innen Jane und Thor und ihre Beziehung sowie der weiße Antagonist Gorr. Walküre darf die anderen Held:innen zwar zunächst unterstützen, kann jedoch am entscheidenden Kampf nicht teilnehmen. Über ihr (Privat)Leben in New Asgard, ihre Wünsche und Ziele erfahren wir wenig und sie hat keinen Handlungsstrang unabhängig von Thor und Janes.

Dresscode & Sexappeal

Wenig überraschend für einen Superheld:innenfilm arbeitet Thor: Love and Thunder mit eng anliegenden, figurbetonten Kostümen, und wenig überraschend sind die tragenden Figuren auf der Seite der Guten normschön und sehen auch nach hitzigen Kämpfen, schwer verletzt oder im Sterben liegend noch fantastisch aus. Weder Jane noch Walküre präsentieren sich jedoch betont sexy, z.B. in unpraktisch kurzen Outfits. Janes Kostüm und die optische Inszenierung ihrer Mighty Thor-Identität betonen am ehesten ihre muskulösen Arme – nicht unbedingt der klassische „männliche Blick“ auf eine Frauenfigur. Stattdessen soll diese Darstellung wohl ihre neugewonnene Stärke als Mighty Thor betonen, wobei auch die Vermittlung von Held:innentum über solche optischen Stereotype — ähnlich wie bei der Darstellung Thors — durchaus problematisch sein kann. 

Thor (Chris Hemsworth)

©Marvel Studios 2022

Sexualisieren tut Thor: Love and Thunder vor allem Thor selbst. Dieser löst, nachdem Zeus ihn entblößt und das Kinopublikum ihn von hinten nackt betrachten darf, Ohnmachtsanfälle aus, muss später leicht bekleidet Zeus‘ Schergen bekämpfen und fängt sich für diese Episode zweideutige Kommentare von Korg und Jane ein. Ob die Sexualisierung der männlichen Hauptfigur, inklusive Kommentare über die Größe und den Zustand seines Penis, so viel fortschrittlicher ist als die weiblicher Figuren in anderen Filmen, bleibt zu bezweifeln. Zu Beginn des Films fasst Korg außerdem noch einmal Thors körperliche Transformation in Avengers: Endgame zusammen, „from dad bod to god bod“, was leider weiterhin ein problematisches Bild von Männlichkeit und Heldentum vermittelt: Nur ein schlanker, extrem durchtrainierter Körper ist eines echten Helden würdig. 

Dramaturgie

Dass Jane nun auch ein Thor ist, hilft ihr hier nicht besonders. In Thor: Love and Thunder dreht sich dennoch alles primär um den männlichen Thor. Er trifft die Entscheidungen, macht die größte (und einzig nennenswerte) Charakterentwicklung durch und rettet letztendlich das Universum, indem seine Liebe zu Jane das Herz des Antagonisten erweicht. Jane darf ihn zwar tatkräftig unterstützen, beeinflusst den Verlauf der Handlung jedoch am stärksten durch ihren Tod und Thors Reaktion darauf, ähnlich wie Love es für Gorrs Geschichte tut. Auch bei den weiblichen Nebenfiguren verpasst der Film Chancen, beispielsweise mit Walküre, die am finalen Kampf nicht einmal teilnehmen darf und keinen unabhängigen Handlungsstrang hat, oder mit Lady Sif (Jaimie Alexander), die zu Beginn des Films verletzt von Thor aufgesammelt wird und anschließend bis zum Ende von der Bildfläche verschwindet.

Walküre (Tessa Thompson) und Mighty Thor (Natalie Portman) sitzen auf prächtig dekorierten Stühlen, die Ähnlichkeit mit Thronen haben. Sie beobachten etwas hinter der Kamera mit ernstem Blick.

©Marvel Studios 2022

Botschaft 

Toxische Männlichkeit ist out, Liebe und Verletzlichkeit zulassen in. Doch sich mit Frauen dauerhaft die Held:innenrolle teilen? Das geht zu weit! 

Gesamtwertung: 5

von 0 (Sexistische Kackscheiße) bis 10 (Emanzipatorisch Wertvoll)

Thor: Love and Thunder läuft seit dem 6. Juli im Kino.

Charlie Hain