Drei Gedanken zu: Pornfluencer

Während Ninja Thyberg mit Pleasure zuletzt in fiktionalisierter Form Einblicke in die Pornoindustrie in L.A. gewährte, nähert sich Joscha Bongard mit seinem Langfilmdebüt Pornfluencer in einem dokumentarischen Porträt über ein junges deutsches Paar dem Amateur:innenporno. Andreea und Nico sind in ihren Zwanzigern, haben der Heimat den Rücken gekehrt und leben im Steuerparadies Zypern, wo sie bereits ihren 270. Porno zu zweit drehen, produzieren und vermarkten. Interviews und begleitende Szenen im Alltag der beiden, die im Internet unter den Pseudonymen Jamie Young und Nico Nice aka Youngcouple9598 auftreten, gewähren nicht nur Einblicke in die Produktionsprozesse, sondern viel mehr noch in ihren Beziehungsalltag – einer, der nur auf Basis der misogynen Vorstellungen eines Pick-Up Artists und der Unsicherheit seiner Freundin funktionieren kann. „Wenn ich brav bin, kann nie was passieren“ hat Jamie über diese bereits einige Jahre andauernde Beziehung mit ihrem selbstüberzeugten, zuckersüß-toxischen Partner gelernt. Pornfluencer funktioniert so als Porträt eines selbstverliebten Systemprofiteurs.

Pornos, Macht und Kapitalismus

Was war zuerst da? Die Lust auf Sex oder die auf Reichtum, weil reich sein eben genauso geil ist? In Nico haben beide Begehrensformen bereits früh geschlummert und erfolgreiche Männer wie Elon Musk, Jeff Bezos und Mark Zuckerberg scheinen sein Verlangen nach Geld und finanzieller Unabhängigkeit nur noch mehr bestärkt zu haben. Die um ein paar Jahre jüngere, schüchterne Andreea würde sich, nachdem er sie in Pick-Up-Artist-Manier aufgerissen hat, als perfekte Geschäfts- und Sexpartnerin herausstellen. Mit dem Pseudonym Jamie Young erfüllt sie die Fantasien zahlreicher Nutzer nach dem „teenie girlfriend you never had“ nicht nur über Pornovideos sondern auch durch ihre Instagram-Posts, in denen sie mal süß und mal sexy posiert – in Szene gesetzt von Nico selbst. 

© Salzgeber ___STEADY_PAYWALL___

Der Großteil der Aufnahmen in Pornfluencer zeigen Andreea und Nico frontal vor der Kamera: Sie berichten aus ihrem Alltag, teilen ihre Visionen für die Zukunft und ihre Überzeugungen mit den Filmemachern, die der gleichen Generation wie sie selbst angehören. Was auf den ersten Blick ein Influencer:innenporträt sein könnte, entpuppt sich bald als tiefgreifendere Erzählung über eine heterosexuelle Paarbeziehung, in der der Mann klar das Sagen hat und kein Geheimnis aus seiner Überzeugung einer vermeintlich natürlich gegebenen und unbedingt notwendigen Dominanz des starken Geschlechts macht. Der geschlechtsbezogene Essentialismus des stolzen Pick-Up-Artists unterfüttert Nicos Entschlossenheit, als Mann wichtige Entscheidungen zu treffen, während ihm sein Mädchen lediglich beratend zur Seite stehen soll. Andreea widerspricht mancher Aussage zwar sanft, macht dann aber aus schüchterner Verlegenheit meist doch einen kichernden Rückzieher. Ihre Emanzipation wird in der zypriotischen Zweisamkeit und der digitalen Welt der Mainstream-Amateur:innepornos im Keim erstickt. Andreea scheint direkt aus Nicos patriarchalem Bilderbuch entsprungen und als Pygmalion-Figur von ihm in die gewünschte Form gebracht worden zu sein. Dieses ungleiche Verhältnis betont der Film immer wieder, indem er Andreeas Reaktionen betont ans Ende einer Szene setzt und mit einer tragischen Musiknummer untermalt – so dürfte den aufgeklärten Zuseher:innen deutlich werden, dass Andreea Opfer eines ungleichen Systems ist. Gegen dieses System stellt sie sich nicht, weil sie einerseits dessen Maxime verinnerlicht hat und andererseits zugleich finanziell von diesem profitiert.

Aus egoistischen Gründen wünscht er sich nicht, dass die Gesellschaft offener mit Pornografie umgeht, erklärt Nico klar, denn dann würden ihnen potenziell mehr Amateurdarsteller:innen Konkurrenz machen. Eine klare Ansage. Nico steht für den narzisstischen, neoliberalen, opportunistischen Alpha-Male, der es sich im patriarchalen Kapitalismus bequem macht und genau weiß, was in den Köpfen anderer Menschen vorgeht: „Alle lieben meinen Penis“. Er macht kein Geheimnis aus seiner Tätigkeit als Pornodarsteller, während Andreea fürchtet als „Schlampe“ abgestempelt zu werden. Zum Glück gibt es Nico, der mit Andreea an ihrem Selbstbewusstsein arbeitet, mit dem sie sich aber wohlgemerkt nicht zu weit aus dem Fenster lehnen sollte. Durch die Auswahl seiner Szenen macht Pornfluencer deutlich, worauf der Erfolg des „verified couples“ basiert und welches System diesen überhaupt erst ermöglicht.

Die Affirmationen des mächtigen Mannes

Als junge Unternehmer:innen arbeiten Andreea und Nico nicht nur an ihren Produkten und der Selbstvermarktung von Andreas aka Jamie Youngs Online-Persönlichkeit, sondern auch an ihrer psychischen Gesundheit. Jeden Morgen sprechen sie, räumlich getrennt voneinander, ihre Affirmationen im Spiegel durch. Auffällig aber bezeichnend dabei ist Nicos Schwerpunkt auf seine Macht, seinen Penis und seine Führungskraft, während Andreea ihre eigene Schönheit, Nicos Penis und „den Schmerz, der mich noch mehr wachsen lässt“ in den Vordergrund ihrer Repetitionen stellt. Traurig ist es mit anzusehen, wie wenig Andreeas Bedürfnisse und ihre Sexualität innerhalb der Paarbeziehung und der gemeinsamen Arbeit thematisiert werden.

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Aber auch die Filmemacher stellen keine Fragen nach der Lust Andreas oder nach der Einseitigkeit des Blicks, der durch die Videos der beiden immer wieder bestätigt wird. Beim Dreh einer Pornoszene, die die Filmemacher begleiten dürfen, erleben wir einen kurzen Dialog zwischen Andreea und Nico vor seinem Höhepunkt mit: „Wohin spritzt du?“ – „Gesicht“ – „Aber ich hab mich so schön geschminkt“ – „Ok, Mund“ – „Dankeschön“. Die Unterwürfigkeit von Andreea zeigt sich immer und immer wieder in unterschiedlichen Facetten und mehr und mehr stellt sich die Frage, was das Attribut „sex-positiv“ – womit Joscha Bongard seinen Dokumentarfilm bezeichnet – in diesem Kontext noch bedeuten kann. Sex-positiv ja, aber für wen in erster Linie? Der beziehungsbasierte Konsens scheint hier eher das Ergebnis von Nicos Überredungskunst als eine klare Folge der positiven Überzeugung Andreeas. Direkte Fragen, die über den Ist-Zustand der Beziehung hinausgehen und das mangelhafte Frauenbild betreffen, das diese über die Video- und Bildproduktionen projizieren, stellen die Filmemacher leider nicht. Darüber zu reflektieren bleibt uns nach der Sichtung von Pornfluencer selbst überlassen.

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Segen und Fluch des Internets

Ohne das Internet wäre das Leben, das Youngcouple9598 führt, zweifelsohne nicht möglich. Auf visueller Ebene passt sich Pornfluencer der Bildschirmrealität an: Gleich einem YouTube-Tutorial springen wir als Zuseher:innen von einer Internetseite zur nächsten, mal von Pornofenstern, zu Pick-Up-Artist-Videos, zu Instagram oder zu Interviews mit Porno-Forscher:innen wie Sylvia Sadzinski. Viel Zeit unseres gegenwärtigen Lebensalltags spielt sich auf dem Bildschirm ab und wirkt auf die reale Lebenswelt zurück – wie auch bei Andreea und Nico. Die beiden mögen viele Follower:innen haben und eine große virtuelle Crowd um sich, leben aber in Wirklichkeit abgeschottet in einem eigenen Haus, ohne Freud*innen, was Andreea nur ganz kurz beklagt. Nico wäre am liebsten sein ganzes Leben lang Pornodarsteller, Andreea erinnert sich zurück an ihre Pläne Erzieherin zu werden – mal sehen, was als nächstes kommt. Digitale Nomad:innen sind flexibel. In Zukunft, so die beiden gegen Ende des Films, möchten sie mit weiteren Darstellerinnen arbeiten. Andreea wird die Kameraarbeit übernehmen, wenn ihr Freund mit den von ihnen gecasteten Frauen performt. Ist das die Hoffnung auf einen weiblichen Blick? Wohl kaum oder: Dazwischen würde Andreeas Emanzipationprozess stehen, der aus gegenwärtiger Sicht noch gar nicht so recht begonnen hat. Bis dahin zieht Jamie Young Bestätigung aus dem Zuspruch ihrer Follower(:innen). Die mögen es am liebsten, wenn ihr Hintern zu sehen ist, weiß Nico. Erfolg im Internet geht eben so leicht.

Ab 14.07.2022  im Kino.

Bianca Jasmina Rauch
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