Berlinale 2025: The Long Road to the Director’s Chair
Im Kino Arsenal findet 1973 das erste Internationale Frauenfilm-Seminar, und somit eines der ersten Frauenfilmfestivals überhaupt, statt. Damals mit dabei: Regisseurin Vibeke Løkkeberke, die nicht nur ihren Film Abort vorstellte, sondern auch mit der eigenen Kamera- und Toncrew dabei war, um die Pionierinnenarbeit aus der Nähe zu dokumentieren. Aus ihren Aufnahmen soll ein Dokumentarfilm über Frauen in den Medien entstehen, doch dann fällt die Finanzierung durch, Løkkeberke ist gezwungen, ihr Projekt ruhen zu lassen, irgendwann gilt das Rohmaterial als verloren. Und dann, fast 50 Jahre später, taucht es in der norwegischen Nationalbibliothek wieder auf und Løkkeberke bekommt die Chance, die ihr ein halbes Jahrhundert zuvor verwehrt blieb: Aus bruchstückhaftem Ton- und Bildmaterial formt sie eine Interview-Collage, die ihrerzeit erschienen ein Schlaglicht auf neue Bewegungen des feministischen Filmschaffens geworfen hätte und heute als The Long Road to the Director’s Chair mit andauernden Gemeinsamkeiten und fortbestehenden Anliegen sowie der Angst vor Stillstand aufhorchen lässt.

© bpk/Abisag Tüllmann
___STEADY_PAYWALL___Løkkeberkes Reportage ist hauptsächlich durch Interviews bestimmt. Neben den Frauenfilmseminar-Organisatorinnen Helke Sander und Claudia von Alemann kommen auch internationale Filmemacherinnen wie z. B. Ariel Maria Dougherty, Nurith Aviv und Annabella Miscuglio zu Wort. Løkkeberke ist dabei klar an den Themen interessiert, die die Arbeit der Interviewten antreibt. Sie fragt ohne Umwege, nachdrücklich, manchmal auch forsch, was die Film- und Medienmacherinnen mit ihren Filmen erzählen möchten, was Filmschaffen für sie bedeutet, was die Hürden sind. Dabei fallen Schlagworte, deren Relevanz und Brisanz die internationalen feministischen Bewegungen der 1960er und 70er Jahre vorangetrieben haben: Abtreibung, sexuelle Aufklärung, Lohndiskriminierung und Gesundheitsfragen. Gespräche sind durch Momente bestärkender Dynamik bestimmt. Einzelne Aussagen verschiedener Personen ergänzen sich wie selbstverständlich, auch entsteht der Eindruck, dass manche der Interviewten überhaupt das erste Mal den Raum bekommen, ihre Gedanken so detailliert ausformulieren zu können.
Neben diesen Interviews fängt die Kamera von Georg Helgevold Sagen weitere Eindrücke vom Filmfest ein, filmt während Gesprächsrunden nahe Gesichter aus dem Publikum, immer die Reaktionen der Teilnehmerinnen im Fokus. Aufnahmen während Raucherinnenpausen vor dem Kino zeigen die geschäftigen Straßen eines geteilten Berlins. Und trotz aller ereignisreichen Momente ist The Long Road to the Directors Chair auch eine Zeitkapsel, die in vielen Momenten ernüchtert. Was das feministische Filmschaffen im Jahr 1973 beschäftigt hat, spiegelt sich heute weiterhin in Themen von hoher Aktualität feministischer Kämpfe. Eine Tatsache, die vom Durchhaltevermögen der Vorreiterinnen und denen, die ihnen nachfolgen, zeugt, aber auch von (ungewollt) Unerledigtem.

© bpk/Abisag Tüllmann
Auch wenn Løkkeberkes dokumentarischer Rückblick stark fragmentiert ist – ein bedeutender Teil der Aufnahmen besteht aus reinen Tonaufnahmen und in den Film integrierten Untertiteln – gibt The Long Road to the Director‘s Chair einen vielseitigen Einblick in die Anliegen des Filmschaffens der zweiten Welle. Zeitdokumente wie Løkkeberkes Doku erinnern, inhaltlich wie auch in der tatsächlichen Umsetzung, an die Hürden, denen FLINTA-Regisseur*innen auf dem Weg zum Filmset schon immer und weiterhin begegnen. Dass The Long Road to the Director‘s Chair 1973 aufgenommen wurde und 2025 bei der Berlinale Weltpremiere feierte, gibt diesem Weg, dieser langen Reise, einen zeitlich greifbaren, in Jahreszahlen erschreckend langen Rahmen.
The Long Road to the Director‘s Chair wurde bei der 75. Berlinale im Forum Special gezeigt.
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