Berlinale 2025: Gedanken zum Age-Gap-Begehren
Drei unter männlicher Regie und Drehbuch entstandene Filme im Wettbewerb der 75. Berlinale drehen sich um Beziehungen bzw. Begehren mit deutlichem Altersunterschied. Ihre Ansätze fallen unterschiedlich aus, bleiben aber zum Teil in veralteten Narrativen verhaftet.
Blue Moon
Die glorreichen Zeiten des Lyrikers Lorenz Hart liegen längst in der Vergangenheit. Getränkt von Alkohol, schmachtend vor „Liebe“ zu einer 27 Jahre jüngeren Studentin – wieder lässt sich darüber wundern, wie oft das popkulturell ausgeschlachtete, einseitige Begehren älterer Männer zu deutlich jüngeren Frauen noch als romantische Liebe fehlbezeichnet werden muss – und dem Schmerz, keine Erfolge als Autor mehr zu landen, ergießt sich Ethan Hawkes Figur in Monologen, deren Pointen auch schon bessere Tage gesehen haben. Ein wenig wirkt es, als würden Regisseur Richard Linklater und sein Autor Robert Kaplow selbst, umhüllt vom Mantel einer Romantik aus Melodien und Texten einer vergangenen Ära, alte Zeiten – in denen man noch die Schönheit und Reinheit junger Frauen herausposaunen durfte und dafür selbst auch bewundert wurde – beweinen und versuchen, sie, gerechtfertigt durch kleine ironische Untertöne, wieder salonfähig machen zu wollen. Dafür orientiert sich Blue Moon an der realen Broadwaygröße Lorenz Hart und seinen Mitstreitern, die einen Abend in der Bar Sardi verbringen.___STEADY_PAYWALL___
Der Filmklassiker von 1942, Casablanca, dessen Dialoge Hart und Barkeeper Eddie gekonnt nachsprechen können, hält für eine (film)historische Einbettung ins Jahr 1943 her und erobert sogleich die cinephilen Herzen. Mit dem berühmten Satz “Ich glaube, das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft” stellt Linklater auch einen roten Faden zu Freundschaft und künstlerischen Männerbünden her. Denn neben dem Begehren des Lyrikers Harts, für den auch in der Realität sein Tod im selben Jahr bevorstand, gegenüber Elisabeth (Margaret Qualley) soll es im Film um Freundschaft und Kunst gehen.

© Sabrina Lantos / Sony Pictures Classics
Hart arbeitete im Duo mit dem Komponisten Richard Rodgers, der sich an jenem Abend wiederum in kreativer Zusammenarbeit mit Oscar Hammerstein II berufen fühlt. Für Hart wirkt dieser Bruch wie eine Trennung. In Blue Moon gibt sich Hart vielleicht deshalb besonders motiviert die Kante, während nebenan die Feier zur Premiere des Stücks Oklahoma! seines früheren Partners stattfindet. Hart lenkt sich aber vor allem die Schönheit der jungen Elisabeth ab, die er mit seinem ausgesprochenen Sinn für das Schöne – er ist ja schließlich Lyriker – am besten schätzen und herbeisinnieren könne. Wenn er, der sich ihr Mentor nennt, ihr gegenüber sitzt und vermeintlich zuhört, denkt er eigentlich nur an die Farbe ihrer Unterwäsche, enthüllt er schwelgend. Diese junge, weiche Haut. Wahre Schönheit ist den jungen Körpern vorbehalten. Isn’t it romantic? Blue Moon beglückt das Publikum mit solchen und vielen weiteren Ausführungen und Witzchen über (halb)erigierte Penisse. Harts queere Sexualität wird dabei auch immer wieder beiläufig zum Thema und von ihm genutzt, um sich gegen eine Festlegung von sexuellen Orientierungen auszusprechen. Dennoch: Für Hart dreht sich an diesem Abend doch alles um Elisabeth und ihr baldiges Erscheinen. Erwidert sie seine Liebe, ist die große Frage.
Inspiration für den Film boten neun Briefe, die eine unbekannte College-Studentin an Hart schrieb – ob die zwei sich in Wirklichkeit jemals trafen, muss ein Rätsel bleiben. Für Blue Moon aber ließen Linklater und Kaplow ihre Fantasie spielen und Elisabeth auftauchen – letztlich wird sie Harts Begehren Einhalt gebieten. Doch dass sich bis dahin die Handlung in langen Monologen um die Romantisierung einer Verbindung dreht, die das patriarchale Verlangen von Männern, egal welchen Alters, für junge, Anfang zwanzigjährige Frauen spiegelt, kann weder als Ode an die Liebe, an eine verblühte Ära, noch als komödiantisches Highlight punkten.
Drømmer (Dreams)
Auch in Drømmer von Dag Johan Haugerud spielt der wiederholte einseitige Ausdruck von Begehren eine Rolle. Die 17-jährige Johanne (Ella Øverbye) verliebt sich zum ersten Mal heftig, und zwar in ihre neue Lehrerin (Selome Emnetu). Als Erzählerin führt die Adoleszente durch die Geschichte und drückt mit ihrer Off-Stimme ihre Freude und ihr Leid aus. Dabei nimmt sie stets auch einen distanzierten, reflektierten Blick auf ihre eigenen Erfahrungen aus der Vergangenheit ein. Außerdem übernehmen ihre Mutter und ihre Großmutter die Rollen der außenstehenden und dennoch nahen Bezugspersonen, die auf Johannes Begehren reagieren. Denn die Protagonistin schreibt ihre Empfindungen auf 95 Seiten nieder, zunächst für sich selbst, gibt ihr roman-artiges Tagebuch aber dann ihrer Großmutter zu lesen, die das Geschriebene wiederum nicht vor Johannes Mutter geheim halten möchte.

© Motlys
Mit dieser Verschränkung von Zeit- und Erzählebenen schreitet die Schilderung der Annäherung zwischen Johanne und ihrer rund zwanzig Jahre älteren Lehrerin und beinahen Namensvetterin Johanna voran. Regelmäßig besucht Johanne sie in ihrer Wohnung in einem anderen Stadtteil von Oslo, um das Stricken zu lernen, und baut eine immer tiefere Bindung auf. “Denkt man immer länger über etwas nach, ist es gar nicht mehr so unrealistisch”, sinniert die Verliebte rückblickend aus dem Off. Sie war sich von Beginn an sehr wohl der Unmöglichkeit dieser Beziehung, allein schon wegen des schulischen Machtgefälles zwischen den beiden, bewusst. Dennoch hegt sie die Hoffnung, ihr Begehren, das eher einer Besessenheit gleicht, würde erwidert werden. Wie viel in ihren schriftlichen Schilderungen letztlich auch der tatsächlich stattgefundenen Ereignisse entspricht, bleibt offen. Johannes Mutter denkt nach der Lektüre über Grooming und Missbrauch nach (von der Problematik eines solchen Falls erzählt etwa May December, der ebenso mit zwei Ebenen der Fiktionalität arbeitet) und exerziert ihre moralischen Bedenken durch. Letztlich erkennt sie aber, dass Johanne selbst die aktive Vorantreiberin der Beziehung war und bleibt darüber im Dunkeln, ob überhaupt sexuelle Handlungen stattgefunden haben oder das Schmachten und so manche Schilderung ihrer Tochter teilweise einfach ihrer Fantasie entspringt. Drømmer gelingt es durch seine drei Frauenfiguren aus drei Generationen, mit Humor und Reflexion über moralische Aspekte in romantischen Beziehungen bzw. Begehren mit deutlichem Altersunterschied nachzudenken, ohne dabei überholte Bilder von Liebe oder Romantik zu repetieren.
Dreams
Auch Michel Franco betitelt seine Age-Gap-Geschichte als „Träume“. Hier allerdings vermischt sich der Traum von Verliebtheit mit dem American Dream von einer Karriere in den Staaten. Das Drama handelt von dem Balletttänzer Fernando (Isaac Hernández) aus Mexiko und einer reichen Unternehmerin und Philanthropin: Jennifer (Jessica Chastain) nennt sowohl Immobilien in den USA, etwa in San Francisco, als auch in Mexiko City ihr eigen und ist für Kunst- und Kulturstiftungen aktiv. Mit dem deutlich jüngeren Fernando hegt sie eine sehr intensive, sexuell energiegeladene Beziehung und unterstützt ihn finanziell. Ihr Begehren füreinander beruht auf gegenseitiger Ebene, doch die Vorstellungen einer gemeinsamen Zukunft unterscheiden sich voneinander. Denn Fernando möchte in den USA Karriere machen und nach seiner Deportation dort erneut sein Glück versuchen. Jennifer hingegen weiß um die Meinungen ihres Vaters und ihres Bruders über ihre Beziehung zu Fernando und möchte ihn deshalb möglichst weit von ihrem Arbeitsalltag abschirmen.

© Teorema
In manchen Aspekten erinnert Dreams sofort an Babygirl: das Machtgefälle, die Eleganz der älteren Frau, die die Wildheit eines jüngeren Mannes braucht, um aus ihrem Arbeitsalltag, in dem sie stets über Kontrolle verfügt, auszubrechen. Auch konstruieren beide Filme eine Erklärung für die Age-Gap-Beziehung: In Babygirl erfüllt der jüngere Arbeitskollege der verheirateten Romy ihre unterdrückten sexuellen Vorlieben. In Dreams weiß Jennifer, dass sie biologisch keine Mutter werden könne, weshalb das Eingehen einer „ernsthaften“ Beziehung mit einem gleichaltrigen Mann keine Priorität hat, wie im Gespräch mit ihrem Vater herauskommt. Wenn Frauen jüngere Männer begehren, scheint es also stets eine Begründung und Sexszenen zu brauchen, die wirken, als hätten diese Frauen eine lange Durststrecke erlebt und nur rougher Sex mit gut trainierten Männern kann nun ihre Bedürfnisse stillen. Jennifers emotionale Abhängigkeit führt dazu, dass sie mit ihrer Macht egoismusgetrieben Grenzen überschreitet. Es geht ihr darum, Fernando zu besitzen und zu kontrollieren, sein Wohl und Glück ordnet sie ihren Bedürfnissen nach Nähe und Entspannung unter. Diese moralische Ambivalenz macht sie als Figur interessant. Doch zugleich rast die Age-Gap-Geschichte auf ein Unglück zu, das wieder einmal von einer ungesunden, zum Scheitern verurteilten Beziehung erzählt, die sich vom filmhistorisch ausgeschlachteten romantisch konnotierten, unreflektierten Anschmachten älterer Männer gegenüber jüngeren Frauen – und hier schließt sich wieder der Kreis zu Blue Moon – unterscheidet. Die älteren Frauen holen sich nun endlich den Sex von jüngeren Männern, von dem sie laut Titel schon immer träumen, doch darf dies nicht ohne Machtspielchen und fatale, destruktive Folgen bleiben.
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