Berlinale 2018: Damsel

Ein Westernheld reitet in die Wildnis, an seiner Seite ein männlicher Begleiter. Gemeinsam wollen sie eine Frau* retten, die von einem bösen Bösewicht verschleppt wurde. Im Englischen wird sie die „damsel in distress“ genannt. Aber auf dem Weg lauern noch weitere Gefahren: wilde Tiere und wilde Wilde – fälschlicher und diskriminierender Weise noch immer häufig „Indianer“ genannt. Die Männer* sind Revolverhelden, stark, mutig, souverän in allen Belangen. Die Frau* ist schwach und froh über die Rettung durch die starken Männer*. Manchmal darf der Westernheld sie ehelichen, manchmal muss er alleine in den Sonnenuntergang reiten. Aber auch das macht ihm nichts, denn er ist stark, ach, so stark und heldenhaft.

Doof gelaufen ist es allerdings dann, wenn die „damsel in distress“ gar nicht so richtig in distress und auch keine richtige damsel ist. So wie in David und Nathan Zellners ironisch benanntem Berlinale-Wettbewerbsfilm Damsel.

© Strophic Productions Limited

Der Westernheld Samuel (Robert Pattinson) kommt in Begleitung eines Zwergpferds mit dem respekteinflößenden Namen „Butterscotch“ in ein typisches Westerndorf, dessen Bewohner eindeutig zu viel Whiskey und Sonne abbekommen haben. Dort sammelt er seine Begleitung ein: den Priester Parson Henry (David Zellner). Der ist eigentlich gar kein Priester, aber das macht nichts, denn Samuel ist eigentlich auch kein Westernheld. Gemeinsam machen sie sich also auf die Suche nach der holden Penelope (Mia Wasikowska), die von einem üblen Gesellen namens Anton (Gabe Casdorph) in die Wildnis entführt wurde. Das Zwergpferd ist das Verlobungsgeschenk, denn Samuel möchte seiner Liebsten nach deren Rettung umgehend an Ort und Stelle einen Antrag machen. Und sie mit Parsons Hilfe dann auch gleich heiraten. Ein perfekter Plan.

Wäre da nicht ein ganz klitzekleines Detail: Nicht jede Frau*, die mit einem anderen Mann* verschwindet, wird entführt. Es soll auch vorkommen, dass Frauen* ihre eigenen Beziehungsentscheidungen treffen und nicht darauf aus sind, als Wanderpokal von einem Kerl zum nächsten gereicht zu werden. Oder wie es am Ende des Films ein Dialog formuliert: „Is she taken?“ – „Sort of. She has a personal boundary.“

© Strophic Productions Limited

Mit viel Humor und einem wirklich großartigen Robert Pattinson, der mit clownesk-körperlichem Schauspiel sein komödiantisches Talent unter Beweis stellt, dekonstruieren die Gebrüder Zellner in Damsel ein Stereotyp nach dem anderen. Während Penelope gekonnt ihre Freiheit und Unabhängigkeit verteidigt und dabei beherzt zu Flinte und Dynamit greift, kann nicht ein einziger Mann* in dieser Geschichte als Held überzeugen. Entweder es handelt sich um zarte Gemüter, die weder der Wildnis noch ihrer eigenen Feuerwaffe gewachsen sind, oder um gefährliche Irre, deren Wahnsinn zwar in gewisser Weise bedrohlich wirkt, jedoch auf Grund der damit verbundenen maßlosen Dummheit nicht wirklich das Leben anderer gefährdet. Selbst der „edle Wilde“ ist nicht so richtig edel, sondern nur ein Stelzbock mit Pfeil und Bogen. Einzig beeindruckend ist Antons ewig pissender Pracht-Penis.

In dieser Figurenaufstellung allerdings schlummert durchaus auch ein Problem des Plots, denn in einer Hinsicht wird mit den sexistischen Zuordnungen des Mainstreamkinos dann nämlich doch nicht gebrochen: Die Dekonstruktion der Geschlechterklischees hat zur Folge, dass neben den männlichen* Witzfiguren Penelope als einziger ernst zu nehmender Leinwandcharakter fungiert. Dass Gags nur männlichen* Figuren in den Mund gelegt beziehungsweise ins Skript geschrieben werden, gehört aber leider zu den hartnäckigsten sexistischen Strukturen des populären Films.

Aber sei’s drum. Die Entlarvung männlicher* Blick- und Erzählperspektiven gelingt Damsel mit Bravour. So jammert beispielsweise der sensible Samuel, dass die Entführung seiner Verlobten das absolut Schlimmste wäre, das ihm jemals passiert sei – als ginge es dabei mehr um sein seelisches Gleichgewicht als um die Freiheitsberaubung einer anderen Person. Aber genauso verhält es sich eben im klassischen Western und Abenteuerfilm (wie auch in ziemlich vielen anderen Genres übrigens): die weiblichen* Figuren dienen nur zur Konstruktion des männlichen* Dramas, ihr Leid nur als Katalysator der männlichen* Not. Sie motivieren den Helden zu seinen Heldentaten und den Bösewicht zu seinen Vergehen. Sie sind Objekt der Begierde oder Fürsorge. Sie sind das Versprechen eines besseren Lebens für den einsam durch die Wildnis Irrenden. Niemals aber sind sie einfach nur sie selbst.

© Strophic Productions Limited

Es ist eben jene Attitüde, mit der die verschiedenen Männer* Penelope gegenübertreten, und die nicht nur ihr, sondern auch uns zunehmend absurd und lächerlich erscheint. Was ist nur mit all diesen Waschlappen anzufangen, die sich vor lauter Frust darüber, dass es auch im wilden Westen nichts Neues gibt, allesamt in den heimeligen Schoß einer Frau* verkriechen wollen? Sollen wir Mitleid mit ihnen haben, sie an den zitternden Händchen fassen und gemeinsam mit ihren Zwergpferden in den Sonnenuntergang geleiten? Die Antwort auf diese Frage will ich dann an dieser Stelle doch nicht verraten. Dafür müsst ihr euch Damsel schon selbst ansehen. Aber das solltet ihr ohnehin!

Sophie Charlotte Rieger
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