Before Stonewall

Der Stonewall-Aufstand gilt gemeinhin als Geburtsstunde der queeren Bürger_innenrechtsbewegung. In der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 1969 wollte die Polizei eine Razzia im New Yorker Stonewall-Inn durchführen. Solche Razzien in „Schwulenbars“, bei denen die Besucher_innen der Bar verhaftet, wegen „anstößigen Verhaltens“ angeklagt und ihre Namen öffentlich gemacht wurden, waren zu diesem Zeitpunkt gängige Praxis.

Als die Polizei gegen 1:20 Uhr in der Nacht das Stonewall-Inn betrat, leisteten die Gäste Widerstand. Einzelne Besucher_innen der Bar widersetzten sich den Verhaftungen und wehrten sich gegen die Misshandlungen durch die Polizei, die bei Maßnahmen gegen LGBTIQ*-Personen unverhältnismäßig brutal vorging . Es flogen Flaschen und Steine, in der Christopher Street vor dem Inn entwickelte sich eine Schlägerei. Den Beamt_innen blieb schließlich nichts anderes übrig, als sich in das Stonewall-Inn zurückzuziehen, während der Aufstand auf der Straße in vollem Gange war. In den Protesten entlud sich angestaute Wut, aber auch kollektive „Gay Power!“ Homosexueller und von Trans*Personen. Erst nach fünf Tagen beruhigte sich die Situation. In der Folge solidarisierten sich viele Menschen mit der queeren Community und es entstanden zunehmend Organisationen einer neuen Bürger_innenrechtsbewegung. Jährlich erinnert der Christopher Street Day an die Aufstände.

© Salzgeber & Co. Medien GmbH

Der Dokumentarfilm Before Stonewall: The Making of a Gay and Lesbian Community zeigt anschaulich, dass die Bewegung für die Rechte Homosexueller und Trans*Personen nicht mit einem Urknall aus dem Nichts entstanden ist. Regisseurin und Autorin Greta Schiller sammelte gemeinsam mit Andrea Weiss umfangreiches Archivmaterial queerer Kultur und Geschichte, das erst durch ihren Film ein größeres Publikum fand. Die herausragende Recherche brachte Andrea Weiss 1987 einen Emmy ein, einen zweiten Emmy erhielt Before Stonewall in der Kategorie Outstanding Informational Cultural or Historical Programming. Für Greta Schiller war Before Stonewall der Durchbruch als Filmemacherin. Mit ihrer eigenen Produktionsfirma Jezebel Productions trug sie entscheidend zu einer queeren Filmbewegung bei. Zum 50. Jahrestag der Stonewall-Aufstände kommt der inzwischen legendäre Film von 1984 erneut in die Kinos.

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Greta Schiller beleuchtet darin, wie sie im Film selbst sagt, die Situation queerer Personen von Stonehenge bis Stonewall. Die Autorin und Regisseurin stellt die historischen  Entwicklungen in einen gesellschaftspolitischen Kontext. Sie gibt einen umfassenden Überblick von den 1920ern bis zu den 1960er Jahren: Von der völligen Unsichtbarkeit, ersten Treffpunkten, neuen Rollenbildern während des Zweiten Weltkriegs und dem anschließenden Rollback, den „Säuberungen“ in der McCarthy-Ära, der nicht nur vermeintliche Kommunist_innen, sondern auch Homosexuelle zum Opfer fielen, hin zu einer Liberalisierung durch die sexuelle Revolution und ersten Organisationen von Schwulen und Lesben.

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Durch Zeitzeug_innenberichte über den Kampf gegen Unterdrückung, gespickt mit persönlichen Anekdoten und Eindrücken, bleibt der historisch-politische Abriss lebendig. Originalaufnahmen von Cross-Dressing-Performances oder Auftritten der Blues-Sängerin Gladys Bentley, Ausschnitte aus schwulen und lesbischen Filmen, Plakate der US-Army, Fotos und Videos von Demonstrationen veranschaulichen die Schilderungen. Die Fotografien, Filmausschnitte und Zeitzeug_inneninterviews zeigen eine teils ausgelassene und beschwingte Subkultur, die durchgängig Freiräume erkämpfte. Zugleich thematisieren sie die Unterdrückung und Kriminalisierung von Homosexuellen und Trans*Personen.

In Before Stonewall kommt eine Vielzahl von Aktivist_innen zu Wort, darunter bekannte Persönlichkeiten, wie Allen Ginsberg und Audre Lorde. Darüber hinaus sprechen weniger bekannte, „ganz normale“ Schwule und Lesben unterschiedlichster Hintergründe über ihre persönlichen Erfahrungen. Die Diversität der Akteur_innen beweist, dass Intersektionalität (die Verschränkung unterschiedlicher Diskriminierungsformen wie Rassismus, Sexismus, Homophobie) keine Erfindung des 21. Jahrhunderts ist, aber vielleicht in den letzten Jahren wiederentdeckt werden musste.

Bemerkenswert ist dabei, dass die queeren Aktivist_innen nicht nur positiv auf die Schwarze Bürger_innenrechtsbewegung blicken, sondern sich dort aktiv einbrachten und aus diesen Erfahrungen Strategien für ihre eigenen Kämpfe entwickelten. Auch in der Frauen*bewegung engagierten sich viele Lesben. Dieser aktive Austausch, die Anerkennung und vor allem die Solidarität unter marginalisierten Gruppen ist für soziale Kämpfe noch immer von zentraler Bedeutung und kann somit damals wie heute als Appell verstanden werden.

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Der Dokumentarfilm aus dem Jahr 1984 ist selbst ein beeindruckendes Stück queerer Geschichte. Before Stonewall ist jedoch nicht nur als zeithistorisches Dokument relevant.  Die Erinnerung an diese Geschichte von Unterdrückung, von Kämpfen um Sichtbarkeit und Anerkennung könnte dieser Tage beispielsweise dazu beitragen, den Christopher Street Day zu repolitisieren.

Der Christopher Street Day oder Gay Pride wird inzwischen weltweit begangen. Die farbenfrohen Straßenumzüge sind in vielen Städten fester Bestandteil der queeren Community, werden jedoch immer mehr zu einem kulturellen Großevent. Zum Pride Month schmücken sich Unternehmen mit der Pride Flagge und machen Profit mit regenbogenfarbenen Produkten. Der radikale Ursprung gerät dabei zunehmend in Vergessenheit. Im Stonewall-Aufstand kämpften Drag Queens und Trans*Personen of Colour wie Marsha P. Johnson und Sylvia Rivera gemeinsam mit vielen anderen gegen ein System der Unterdrückung. In dieser Tradition und vor dem Hintergrund anhaltender Diskriminierung queerer Personen sollte der Christopher Street Day als politischer Kampftag verstanden werden.

https://youtu.be/8EQZcGfxF8U

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