Souterrain

Gast-Löw:in Jeja Klein hat letztes Jahr im Rahmen unserer Filmreihe FILMLÖWINkino folgende kluge Dinge geschrieben: “Jede Männlichkeitsform grenzt sich von anderen ab und reklamiert für sich, die echte, unverfälschte Männlichkeit zu verkörpern. Nur in diesem Konkurrenzkampf erzielen sie unbewusst, die Herrschaft aller Männer über den Rest der Geschlechterwelt.” Jeja spricht davon, dass jede Art von vorherrschender Männlichkeit eine ist, die das Patriarchat stabilisiert, nicht nur jene, die sich im öffentlichen, und speziell im feministischen, Diskurs als toxisch etabliert hat. Diese Beobachtung lässt sich auch oft in filmischen Bearbeitungen wiederfinden; in Filmen über Männer, über Männlichkeit, über toxische, aber auch über emotionale, ist meist kein Platz für Frauen, ihre Bedürfnisse und Realitäten. Für “den Rest der Geschlechterwelt”, wie Jeja es nennt. Diese männliche Präsenz, die die Geschichte, Dramaturgie und Bildsprache vollkommen in sich vereinnahmt, ist dabei auch oft eine, die sich für das Publikum vollkommen natürlich und ‘normal’ anfühlt, denn sie wird in fast allen Filmkulturen so vorgelebt. Es lohnt sich deswegen, Filme die den Anspruch haben, Männlichkeitsvorstellungen jenseits des Toxischen zu entwerfen, genau unter die Lupe zu nehmen, denn potentiell schlummert auch hier die Gefahr einer Hegemonie, die nur an der Oberfläche kritisch und emanzipiert ist.

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Dies gilt beispielsweise für Souterrain der kanadischen Regisseurin Sophie Dupuis. Das Drama spielt in der Bergbaustadt Val-d’Or in Quebec, in der ein großer Teil der Einwohner:innen in der örtlichen Mine tätig ist. Im Zentrum der Handlung steht Minenarbeiter Maxime (Joakim Robillard). Ihn suchen Schuldgefühle heim, seit  sein bester Freund Julien (Theodor Pellerin) durch einen von Maxime verschuldeten Autounfall körperlich behindert ist. Juliens Vater, der mit Maxime in der Mine arbeitet, hasst ihn seitdem. Die ehemaligen Freunde und Kollegen von Julien distanzieren sich von dem Unfallopfer, denn für sie ist der Umgang mit ihm nur noch eine Belastung. Maxime jedoch versucht so gut wie möglich, die Freundschaft aufrechtzuerhalten und Julien zu unterstützen. Gleichzeitig kämpft er um die Beziehung mit seiner schwangeren Freundin Andrée-Anne (Lauren Hartley).

© Bravo Charlie

Souterrain lässt seine zentralen Figuren an vielen Fronten mit sich selbst, mit ihren Gefühlen und denen der anderen kämpfen. Er verwickelt sie in unterschiedliche Konflikte, die sich überlappen, multiplizieren und gegeneinander aufwiegen. Er zwingt seine Protagonisten in Situationen, in denen sie keine andere Wahl haben, als ihre Gefühle zu zeigen: Schuld, Wut, Scham, Trauer, Unsicherheit – es sind große, unangenehme und zerstörerische Emotionen, für Freude, Glück oder Unbeschwertheit, für ein emotionales Durchatmen, räumt der Film kaum Platz ein. Es ist ein intensiver Film und ein intensives Erleben. Statt, dass sich die vielen angestauten Emotionen in einem Knall entladen, der eine Auflösung für die vielen Konflikte anbietet, baut der Film geschickt und organisch eine Deus Ex Machina in Form einer mittelschweren Katastrophe ein. Diese ist nicht nur hervorragend in die Stimmung und das Erzähltempo hinein gewoben, sondern vermag auch die Anspannung aufrechtzuerhalten und jegliche Konfliktauflösung zu verunmöglichen. Und das passt zu Souterrain, der quasi den Gegenentwurf zu einem Feel-Good-Movie darstellt, der gar nicht interessiert daran zu sein scheint, Wege aufzuzeigen, durch die sich die Protagonist:innen aus ihren emotionalen Zwangslagen befreien könnten. 

Sophie Dupuis’ Inszenierung dieses Geflechts von Gefühlen und Konflikten ist stark einnehmend und gefühlvoll. Die präzise Kameraarbeit, die stets die richtige Distanz zum Geschehen findet – mal fast schon haptisch nah an den Protagonist:innen dran, mal klinisch auf die Situation blickend – trägt die aufwühlende und angespannte Stimmung zu großen Teilen. Das Erzähltempo ist gleichermaßen respektvoll und nervenaufreibend. Der Film nimmt sich angemessen viel Zeit für seine männlichen Protagonisten ohne auf der Stelle zu treten. Die Kontrastierung der dunklen Szenen innerhalb der Mine und den Arbeitsräumen der Bergbauarbeiter:innen mit den fast schon sommerlich hellen Sequenzen im Leben außerhalb des Kosmos unter Tage verhindert auf der anderen Hand allerdings auch, dass durch die gefühlvolle Inszenierung eine trügerische Ruhe einkehrt, die vermutlich nur durch einen unangebrachten dramaturgischen Exzess hätte beendet werden können. Nein, hier spielen die filmischen und erzählerischen Elemente ein gemeinsames Duett, das eine banale aber offensichtliche Botschaft verkündet: Männer haben auch Gefühle – und sie leiden unter ihnen.

© Bravo Charlie

Was in erster Linie natürlich wie ein wichtiges und immer zu wiederholendes Mantra klingt, um die Hegemonie von problematischen Männlichkeitsentwürfen im Film, als auch von Vorstellungen von Männlichkeit im Allgemeinen aufzubrechen, entpuppt sich für Souterrain jedoch als emanzipatorischer Drahtseilakt. Denn die Konflikte, die die Männer des Films untereinander und mit ihren Gefühlen haben sind Konflikte verschiedener Männlichkeitsentwürfe und in ihrem Konkurrenzkampf geschieht genau das, was Jeja Klein im Text moniert: Im Kampf um hegemoniale Männlichkeit – selbst mit dem Anspruch ein emanzipiertes Bild zu entwerfen – bleibt kein Raum für die Reste des riesigen Spektrums, das geschlechtliche Identität darstellt. Das wird besonders deutlich im Fall von André-Anne, die als zentralste Frauenfigur dazu verdammt ist, ihre tragisch verlaufende Schwangerschaft als Motor für Maximes Gefühlschaos bereitzustellen, statt in dieser Angelegenheit selbst in den Fokus des Films zu rücken. Der Film schießt unglücklicherweise über sein gestecktes Ziel hinaus; statt Bilder von Männlichkeit zu hinterfragen, zementiert er einen feministisch angestrichenen Androzentrismus, der in letzter Instanz kaum als Gegenentwurf zu ordinären Verhandlungen von Männlichkeit im Film gelten kann. 

Keine Frage: Souterrain ist ein intensiv inszeniertes, handwerklich einwandfreies und hochqualitatives Drama, in dem Sophie Dupuis nach ihrem Debütfilm Family First, der 2018 als kanadischer Oscar-Kandidat ins Rennen ging, beweist, dass sie eine hervorragende Filmemacherin ist. Der ihm attestierte Androzentrismus ist auch kein Fehler des Drehbuchs, sondern vielmehr Ausdruck eines strukturellen Problems: Männlichkeit – egal ob toxischer oder nicht – ist immer ein Vorherrschaftsanspruch einbegriffen. Das ist ein Problem, das sich nicht durch das eingestehen von Emotionen lösen lässt, sondern ein Symptom der Welt, in der wir leben – und somit in den häufigsten Fällen auch der Filmwelten, die wir erschaffen.

Souterrain kann im Rahmen des Lichter Filmfests Frankfurt noch bis zum 9. Mai ausgeliehen werden.

 

Sophie Brakemeier