PorYes 2019: Ein Fest der feministischen Pornographie

Es war wieder ein Fest: Im großen Theatersaal des Hebbel am Ufer in Berlin verlieh das von Dr. Laura Méritt initiierte Freudenflussnetzwerk am 19. Oktober 2019 zum sechsten Mal den PorYes Award, den Feministischen Pornofilmpreis Europa. Vor ausverkauftem Haus wurde ausgiebig die sexpositive und queerfeministische Gegenbewegung zur Mainstream-Pornografie zelebriert, die in Form zahlreicher Videoclips wie in jedem Jahr auch einen Teil des Veranstaltungsprogramms bildete. PorYes ist damit mehr als eine Preisverleihung. Hier geht es auch darum, einen Teil des Publikums überhaupt erst mit der feministischen Pornographie und den dahinterstehenden Überzeugungen bekannt zu machen, denn viele Menschen finden ihren Weg zu der Veranstaltung natürlich auch aus purer Neugierde.

Ein voller Theatersaal. Auf der Leinwand eine Sexszene zwischen zwei Frauen.

© Stefanie Loos

Ich hingegen war dieses Jahr zum bereits dritten Mal dabei und diesmal gar in offizieller Funktion, denn erstens gehörte FILMLÖWIN erstmalig zu den Medienpartnerinnen des Events und zweitens hatte ich die Ehre, höchst selbst einen Preis zu verleihen. Aber dazu später mehr. Für mich ist PorYes auch in diesem Jahr wieder eine sexpositive Ladestation gewesen, ein Erlebnis, das mir die Existenz einer freien und lustvollen Sexualität jenseits patriarchaler Strukturen vor Augen führt und damit meinen Horizont, der ja von eben jenen Strukturen geprägt ist, auf sehr willkommene Weise erweitert. Sex ist ebenso viel mehr als das was wir in Mainstream Pornos oder auch in Film und Fernsehen „vorgespielt“ bekommen. Und weil das so ist, weil mich PorYes beziehungsweise das wofür der Preis steht, immer wieder so beseelt, ist es mir ein Anliegen, auch in diesem Jahr im Rahmen eines kleinen Veranstaltungsberichts auf die Gewinnerinnen und ihre Arbeit aufmerksam zu machen. Auf dass auch ihr, geschätzter Leser:innen, einen Zugang zur feministischen Pornografie finden möget.

Moderiert wurde die Veranstaltung übrigens wie gewohnt zweisprachig von Laura Méritt und Comedian und Unverschämt-Podcasterin Janina Rook. Die ausgelassene Feierlaune des eingespielten Moderationsteams sprang sofort aufs Publikum über, als die Damen königinnenhaft mit ihrem Muschel-Thron auf die Bühne fuhren. Wie auch in den Vorjahren war es gerade diese authentische und verspielte Freude der Moderation, die den Charme von PorYes ausmachte. Hier stehen keine extern eingekauften Rednerinnen auf der Bühne, sondern Personen, die mit spürbarer Leidenschaft ihr eigenes Herzensprojekt präsentieren. Und das macht einfach Spaß!

Die Moderatorinnen Laura Méritt und Janina Rook sitzen in einer großen Muschel auf der Bühne.

© Stefanie Loos

Noch vor dem feierlichen Auftritt von Laura und Janina, hatte Nan Kinney den Abend eröffnet. Oder anders gesagt: Der Abend eröffnete mit Ausschnitten aus ihren Filmen, also „authentischen lesbischen Pornos“, wie sie selbst sagt. Nan Kinney hat schon 1985 mit Fatale Media, bevor es überhaupt den Terminus der feministischen Pornografie gab, ein lesbisches Porno-Label gegründet. Und auch ein lesbisches Erotikmagazin namens On Our Backs. Für diese Verdienste bekam sie dann auch die erste Auster verliehen, zu der sie eine empowernde Dankesrede hielt, mit der sie junge Filmemacher:innen ermutigte: Habt keine Angst, auch wenn ihr euch manchmal einsam fühlt, denn wir brauchen eure Perspektive!

Die zweite Auster des Abends ging an Wissenschaftlerin, Pornoregisseurin und Aktivistin Loree Erickson, die sich im Bereich Behinderung engagiert. Dabei geht es unter anderem um eine Aneignung des Crip Porn Genre, also um die sexualisierte Inszenierung von Menschen und Körpern mit Behinderung aus einer subjektiven statt exotisierenden und somit diskriminierenden Perspektive. In diesem Zusammenhang hat Loree mit Want auch einen eigenen Film produziert. Ihr liegt die „recognition of our awesomeness“ besonders am Herzen, also die Anerkennung der Kreativität und Brillianz der queeren Crip Porn Community. Für viele nicht-behinderte Menschen ist die Verbindung von Pornographie und Behinderung extrem ungewohnt. Noch immer fehlen uns entsprechende Bilder und Narrative – nicht nur in der Pornographie, sondern eigentlich in allen Bereichen der audiovisuellen Künste. Und genau das macht Lorees Arbeit aus meiner Perspektive so besonders wichtig!

Die Gewinnerin der dritten Auster des Abends, Adina Pintilie, konnte leider aus Krankheitsgründen nicht an der Veranstaltung teilnehmen. Nichtsdestotrotz hielt Laura Méritt selbst eine flammende Laudatio für die Regisseurin und ihren schon bei der Berlinale prämierten Film Touch Me Not, der sich – so Méritt – auf die Suche nach Sexualität in einer patriarchalen Gesellschaft begibt. Anknüpfend an die Arbeit von Loree Erickson möchte ich hinzufügen, dass uns Touch Me Not an die Grenzen unserer Begriffe von Schönheit und Erotik heranführt, uns schmerzlich herausfordert, aber dadurch auch wachsen lässt. Oder noch mal anders gesagt: Touch Me Not ist nicht nur für die Protagonist:innen, sondern auch für die Zuschauer:innen eine Forschungsreise, die ich wirklich allen ans Herz legen möchte!

Die Vierte Auszeichnung ging an Anna Brownfield für ihren Film The Band aus dem Jahr 2009, der auf vergnügliche Weise eine große sexuelle Bandbreite sowohl von Männern wie auch Frauen sichtbar macht. Dass dieser Preis offiziell von uns, also der FILMLÖWIN, präsentiert wurde, passte ausgezeichnet, hatte ich doch Annas Film The Bedroom 2016 dazu genutzt, exemplarisch die Vorzüge des feministischen Pornos darzulegen. Dabei ist es sowohl der Humor als auch die dargestellte Vielfalt von Körpern und Sexualitäten, die mich besonders begeisterten. Annas Filme zeigen, dass Porno erregend, lustig und bildend zugleich sein kann. Es war mir also eine ausgesprochen große Ehre, ihr diesen Preis zu überreichen.

Mit Wayne Yung ging eine der PorYes Austern an diesem Abend auch an einen Mann. Der Autor, Performer und Videokünstler erhielt diese Auszeichnung für sein Spiel mit kulturellen Stereotypen. In seiner Arbeit nämlich setzt sich Yung aus schwuler Perspektive insbesondere mit dem Stereotyp des asiatischen Mannes auseinander. Damit, so berichtete er, sei er zu Beginn seines Schaffens in der schwulen Szene Kanadas auf Unverständnis gestoßen, da das Thema Rassismus dort keine Relevanz besaß. In der lesbischen Szene wiederum fanden seine Filme großen Zuspruch. Und so ist es wohl nur konsequent, dass er nun auch einen feministischen Pornopreis sein Eigen nennen darf.

Die letzte Auster des Abends ging an Künstlerin, Performerin und Sexarbeiterin Sadie Lune. Sadie dürfte all jenen ein Begriff sein, die gerne das Berliner Pornfilmfestival besuchen, denn dort ist sie eigentlich jedes Jahr in mindestens einem Film zu sehen. Die Auszeichnung von PorYes erhielt sie unter anderem für ihren Einsatz im Bereich Safer Sex, der sich auch in ihren Filmen widerspiegelt. Denn Porno-Filme, so Sadie, formen unsere Idee von Begehren bzw. unser Begehren an sich und so ist es nur vernünftig, dass Safer Sex Praktiken Teil dieser Darstellung sein sollten. Zudem berichtete sie davon, wie sie sich selbst intensivere Orgasmen wie auch das Squirten beigebracht hat. Für letzteres hat sie beispielsweise ein ganzes Jahr geübt. Die gute Nachricht für uns ist, dass sie ihr Wissen und Können jetzt in Workshops weitergibt!

Gruppenbild der PorYes Gewinner:innen, Moderatorinnen und Preisüberreichenden

© Stefanie Loos

Zwischen den einzelnen Preisvergaben präsentierten Janina Rook und Laura Méritt ein kleines, meist interaktives Unterhaltungsprogramm. Méritt animierte zum sogenannten Porno-Yoga, Janina Rook verteilte Titten-Ballons. Diese sollten einerseits die Vielfalt von Brüsten und damit einen der Grundpfeiler von PorYes repräsentieren, nämlich die Mannigfaltigkeit von Körpern. Gleichzeitig waren sie Teil einer Instagram-Aktion, bei der die Anwensenden Selfies mit den Ballon-Brüsten oder auch ihren eigenen mit den Hashtags #pacifier #poryes2019 posten sollten. Zwei Jahre zuvor war eine ähnliche Aktion, bei der wir mit unseren Mündern Vulven imitiert hatten, nach wenigen Sekunden zensiert worden. Die Social Media Auftritte von PorYes haben ohnehin immer wieder mit Zensur zu kämpfen – ein Umstand, auf den diese Aktion hinweisen sollte. „Merkwürdiger Weise“ konnte ich nach der Verleihung unter dem Hashtag #PorYes2019 kein einziges Titten-Foto finden…

Am Ende durften alle noch einmal für ein Foto auf die Bühne – ich auch. Damit ist ein kleiner Traum wahr geworden: Einmal ein kleiner Teil von PorYes sein. Vulvaisch-fantastisch! Es war mir wirklich ein Fest und ich freue mich schon auf 2021, wenn die Austern das nächste Mal verliehen werden!

Sophie Charlotte Rieger
Letzte Artikel von Sophie Charlotte Rieger (Alle anzeigen)