Tall Girl

Tall Girl ist im Grunde einer dieser Highschoolfilme, in denen eine neue oder unbeliebte Schülerin unverhofft Anschluss an die coolen Kids findet und (nach einem Umstyling) mit dem heißesten Typen der Schule zum Abschlussball geht. Bei allen berechtigten Vorurteilen hat dieses Genre durchaus einige Kultfilme, wie Grease, 10 Dinge, die ich an dir hasse, Eine wie keine, Girls Club oder Clueless hervorgebracht.

Jodi (Ava Michelle) im Gespräch mit ihrer Schwester, die nur am vorderen Bildrand verschwommen zu sehen ist

© Netflix

Tall Girl dreht sich um die 16-jährige Jodi (Ava Michelle), die aus der Norm fällt, weil sie ihre Mitschüler:innen mit einer Körpergröße von 1,85 m deutlich überragt. Einen nahezu absurden Kontrast zu Hauptfigur bilden ihre Schwester und ihre Mutter, die erfolgreich an Schönheitswettbewerben teilnehmen bzw. teilnahmen, dafür aber einen geringeren Bildungsgrad besitzen und eher oberflächlich wirken. Die plumpe Gegenüberstellung von Schönheit und Bildung jedoch ist nicht nur diskriminierend, sondern in der xten Wiederholung auch einfach langweilig.

Jodi (Ava Michelle) im Gespräch mit ihrer Schwester Harper (Sabrina Carpenter). Jodi überragt Harper deutlich. Harper trägt ihre Schönheitsköniginnen-Krone.

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Stereotype gehören fest zum Repertoire des Highschoolfilms. Während schablonenhafte Figuren in gelungenen Highschoolfilmen einem breiten Publikum die Identifikation ermöglichen, strickt Tall Girl die Charaktere zu flach, um sich in ihnen wiederzufinden oder auch nur Sympathie zu empfinden. Regisseurin Nzingha Stewart bedient eine Reihe von Tropes, also Figuren, die nicht mit eigenen Hintergrundgeschichten oder einer Charakterentwicklung ausgestaltet werden, sondern an Bilder und Vorurteile des Publikums anknüpfen. Neben den ständigen Sticheleien und dem Wunsch „normal“ zu sein, belastet Jodi vor allem, dass sie kein passendes Date findet. Als ein schwedischer Austauschschüler an die Highschool kommt, scheint sich das Blatt zu wenden, denn Stig (Luke Eisner) ist zumindest groß und klug genug für Jodi. Selbstverständlich sind direkt alle Mädchen an ihm interessiert, denn er ist ein “Pretty Boy”. Aus feministischer Perspektive wäre es an dieser Stelle durchaus wünschenswert, den Highschoolfilm ins 21. Jahrhundert zu überführen und die Frage von Anerkennung und Selbstbewusstsein nicht ausschließlich an Äußerlichkeiten und einem heterosexuellen love interest festzumachen.

Stig (Luke Eisner) und Jodi (Ava Michelle) sitzen gemeinsam an einem schwarzen Flügel. Sie lachen einander an.

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Es folgt der obligatorische Kampf gegen die Rivalin aus Kindergartentagen. Kimmy (Clara Wilsey) ist hübsch und trotz ihrer Gemeinheit beliebt. Als Anführerin der coolen Kids kommt sie zwar nicht an Regina George – das Vorbild aller Mean Girls aus dem gleichnamigen Film – heran, erfüllt aber dennoch das “Mean Girl Trope”.

Ein weiteres klassisches Element des Highschoolfilms stellt das große Umstyling dar. Obwohl Jodi für den Abschlussball immerhin einen Hosenanzug wählen darf, geht es vor allem um die Anpassung an gesellschaftliche Normen von weiblicher Schönheit. Dazu gehört ziemlich viel Make-Up mit wenig dezenter Produktplatzierung.

Stig (Luke Eisner) und Jodi (Ava Michelle) sitzen auf einem Sofa, zwischen ihnen sitzt Jack (Griffin Gluck). Jodi schaut Jack böse an, während Stig seinen Arm freundschaftlich um ihn gelegt hat.

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Neu ist an Tall Girl lediglich der Fokus auf die Körpergröße. Diese wird durch Kameraaufnahmen in Untersicht, also aus einer niedrigen Position, noch verstärkt. Vor dem Launch des Films gab es Kritik daran, dass Nzingha Stewart die Benachteiligung einer privilegierten Weißen in den Mittelpunkt stelle, anstatt sich Diskriminierungsformen wie Rassismus oder Homophobie zu widmen. Die Kritik ist einerseits nachvollziehbar vor dem Hintergrund eines weltweiten Rechtsrucks. Andererseits besteht die Stärke von Highschool-Filmen gerade darin zu zeigen, dass gesellschaftliche Ausschlüsse und Mobbing an Schulen jede:n treffen können.Um diesen Punkt zu verdeutlichen offenbart der begehrte Austauschschüler, dass er an seiner Schule in Schweden ein Nerd und überhaupt nicht beliebt sei. Der angedeutete Perspektivwechsel – “ Auch Popularität ist relativ” – verhallt allerdings ohne Wirkung. Insgesamt gelingt der Netflix-Produktion von Regisseurin Nzingha Stewart beim Rückgriff auf die Motive des klassischen Highschoolfilms keine ironische Zuspitzung, die dem ganzen neue Attraktivität verleihen könnte. Auch das Ende ist dann leider vorhersehbar und der kleine emanzipatorische Triumph im Finale wenig inspirierend. Der Versuch Jodis Verwandlung als Empowerment darzustellen kommt mit einer Ansprache auf dem Abschlussball und einem Off-Kommentar zu gewollt und mit erhobenem Zeigefinger daher.

Nzingha Stewart verpasst in Tall Girl die Chance, insbesondere für Teenager bedeutsame Themen wie Selbstliebe und Identitätssuche neu zu interpretieren und dem Highschoolfilm einen modernen und vielleicht sogar emanzipatorischen Charakter zu verleihen.

Netflix-Start: 13. September 2019

Lea Gronenberg
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