Brittany Runs A Marathon

„Would you say that you make healthy lifestyle choices?“, fragt ein Arzt zu Beginn von Brittany Runs A Marathon die Titelheldin (Jillian Bell). Gerade erst hat er ihr “Übergewicht” (unfassbare 89 Kilo!) und zu hohen Blutdruck diagnostiziert. Es folgt eine Nahaufnahme auf den betretenen  Blick der Patientin und ein Schnitt in die nächste Szene: Brittany und ihre Freundinnen feiern in einem Nachtclub. Ein Typ bietet Brittany um einen Blowjob auf der Clubtoilette. Nach anfänglicher Enttäuschung über die respektlose Anmache folgt sie nach einigen weiteren Drinks schließlich doch seiner Einladung. Die Montage inszeniert diesen Rückblick als Antwort auf die Frage des Arztes und impliziert damit eine deutliche Wertung der Ereignisse: Nein, Brittany führt kein “gesundes” Leben.

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Gesundheit ist das große Thema, dem sich die von Amazon produzierte Wohlfühl-Komödie von Paul Downs Colaizzo widmet. Auf Drängen ihres Arztes entschließt sich Brittany zu einem gesünderen Lebensstil, fängt an zu joggen und beschließt, gemeinsam mit ihrer Nachbarin Catherine (Michaela Watkins) und ihrem Lauffreund Seth (Micah Stock) den New York Marathon zu laufen. Sie will fit werden, abnehmen und ihr Leben in den Griff bekommen. Dabei wird schnell klar, welche Definition eines gesunden Lebensstils der Film hier ansetzt: Hedonismus und Übergewicht gehen gar nicht. Sportlichkeit und eine monogame Beziehung sind die anzustrebenden Ideale. Und wer glaubt, dass diese altbackene Denke in Brittany Runs A Marathon in irgendeiner Form dekonstruiert würde, muss leider mit einer Enttäuschung rechnen.

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Sei fit und dünn und anspruchslos

Als Brittany am Anfang ihres neuen, gesunden Lebens ein Fitnessstudio aufsucht, traut sie ihren Ohren kaum: Wieso sollte sie über hundert Dollar im Monat zahlen, wenn sie auch umsonst draußen laufen gehen kann? Was der Film als Absurdität verkauft, sagt viel über die hier zu Grunde liegende Vorstellung von Fitness und Gesundheit aus. Tatsächlich macht es nämlich sehr wohl einen Unterschied, ob im Fitnessstudio oder auf der Laufstrecke trainiert wird. Von den meisten Expert_innen wird Krafttraining sogar als viel effektiver für Gewichtsabnahme eingeschätzt, doch der Film möchte dann doch lieber keine Bilder einer Frau beim Muskeltraining zeigen. Körperliche Stärke wird Brittany ebenso verwehrt, wie die mentale Stärke, sich über ihre internalisierten, misogynen und neoliberalen Überzeugungen hinwegzusetzen, denen zufolge eine Frau gesund und dünn und leistungsorientiert auf dem Karriereweg sein muss.

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Brittanys Weg zu einem “besseren Ich” stellt sich sehr schnell als standardisiertes Make-Over heraus, das nicht zufällig in so gut wie allen von der Mehrheitsgesellschaft etablierten Körper- und Persönlichkeitsnormen für Frauen münden soll. Statt Pizza und Wein bestimmen fortan Salate und Wasser Brittanys Speiseplan – mit was Frauen sich laut Werbung, Medien und Gesellschaft halt so zufriedengeben müssen. Und wenn sie in einem schwachen Moment doch mal Burger statt Salat zu sich nimmt, nimmt der Film durch auffällig traurige Musik eine klare Bewertung ihrer Entscheidung vor. Nächtliche Clubbesuche haben fortan auch keinen Platz mehr zwischen morgendlichem Lauftraining und Brittanys neuen Job als Housesitterin. Hier lernt sie auch Love Interest Jern (Utkarsh Ambudkar) kennen, der außer einer Sexszene über vermeintlich befriedigenden vorspielfreien 20 Sekunden Penetrationsverkehr zur Story nichts beizutragen weiß. Spätestens hier entlarvt sich der Film selbst: das Glück seiner Protagonistin liegt ihm nicht sonderlich am Herzen. Stattdessen verfestigt er Minute für Minute ein Frauenbild, das von klassischen Schönheitsidealen und Genügsamkeit geprägt ist.

Die Kurve(n) nicht gekriegt

Das könnte vielleicht sogar lustig sein, würde es Brittany Runs A Marathon  mit seiner perfiden Erzählstrategie nicht noch schlimmer machen. Während die Narration in der ersten halben Stunde des Films noch vor sich hindümpelt, wird sie im Laufe der Zeit immer konfliktreicher. Plötzlich streitet Brittany mit ihrer besten Freundin und Mitbewohnerin Gretchen (Alice Lee), der Marathon rückt immer näher, das Training und die Diät laufen nicht wie geplant, im verzweifelten Versuch ihren Rückstand wieder aufzuholen übertreibt sie es und dann – Stressfraktur! Ein gebrochener Knöchel, der Traum ist aus. Frustriert zieht Brittany sich zu ihrer Familie zurück und alles deutet daraufhin, dass sie endlich bevorsteht: die doch eigentlich unvermeidbare Erkenntnis, dass der angestrebter Weg ins Glück als Irrweg in die Abhängigkeit von toxischen Geschlechternormen führt. Die Zuschauenden dürfen aufatmen, als Brittany auf einem Familienfest eine glückliche, dicke Frau – eine regelrechte Epiphanie in Menschengestalt – kennenlernt. Doch dieser Moment der herbeigesehnten Body Positivity ist nur von kurzer Dauer.

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Denn statt eine Lehre aus dieser schicksalhaften Begegnung zu ziehen, nimmt die Heldin Training und Diät wieder auf, schmeißt sich in eine Beziehung mit dem durchgängig desinteressiert wirkenden Jern und geht ihren Weg der Anpassung weiter. Als sie ein Jahr später dann doch den Marathon laufen kann, schleppt sie sich unter Schmerzen ins Ziel und offenbart damit einmal mehr die pervertierte Gesundheitsbotschaft des Films.

Was zurückbleibt ist die bittere Erkenntnis, dass es sich bei Brittany Runs A Marathon um nichts anderes als das Zeugnis eines Backlashs handelt. Wo Frauen einst Schlankheit als Ideal eingebläut wurde, ist “Gesundheit” nun die neue Vorgabe. Doch es handelt sich hierbei nur um zwei Seiten der gleichen Medaille –  denn die Deutungshoheit darüber, wie weibliche Körper auszusehen oder zu funktionieren haben, liegt leider immer noch nicht bei den Frauen selbst.

Kinostart: 24.10.2019

Streaming-Start: 15.11.2019

Sophie Brakemeier