Interview: Schokofeh Kamiz – After Sabeen
Sabeen Mahmud war eine pakistanische Aktivistin für Menschenrechte, Gründerin und Direktorin der gemeinnützigen Einrichtung Peace Niche und Präsidentin der Niederlassung von The Indus Entrepreneurs in Karatschi. In ihrer Heimat Karachi eröffnete sie außerdem das Café The Second Floor, welches als Raum der Begegnung und des Austausches, sowie als Veranstaltungsort für Lesungen, Konzerte und Vorträge diente.
Auf dem Heimweg von einer umstrittenen Podiumsdiskussion im Café über das Verschwinden von mehr als 20.000 Aktivisten_innen und Zivilist_innen aus Balutschistan wurde Sabeen Mahmud erschossen. Die Veranstaltung zu Menschenrechtsverletzungen in der Krisenregion sollte zunächst an einer Universität stattfinden, wurde jedoch auf Druck der Regierung abgesagt. Die mutmaßlichen Mörder von Sabeen Mahmud wurden gefasst, ihre Motive bleiben dennoch vage.
Regisseurin Schokofeh Kamiz portraitiert mit ihrem Film After Sabeen eine mutige Frau*, die weit über Karachi hinaus wirkte. Die Filmemacherin transportiert dabei sowohl ihre Faszination für Sabeen Mahmud, als auch den Versuch, diese beeindruckende Persönlichkeit als Person und Aktivistin zu begreifen.
Im Anschluss an eine Filmvorführung und Diskussion in Berlin, an der unter anderem Sabeens Mutter Mahenaz Mahmud teilnahm, traf Filmlöwin Lea Gronenberg Schokofeh Kamiz für ein Interview. Im Innenhof des Neuköllner Rollberg Kinos, stießen die beiden mit einem Glas Champagner auf Sabeen an, die vielleicht trotz ihres tragischen Todes noch viele weitere Aktivistinnen für gesellschaftlichen Fortschritt ermutigen wird.
Wir brauchen mehr Leute, die die Gesellschaft von unten verbessern wollen.
Lea Gronenberg: Du kanntest Sabeen Mahmud nicht persönlich. Wie bist Du auf sie aufmerksam geworden?
Schokofeh Kamiz: Wir haben ein wöchentliches Treffen seit sechs/sieben Jahren, bei dem wir uns immer Samstag auf einen Kaffee treffen. Omar [Omar Kasmani, Kultur-Anthropologe an der FU Berlin], ein Freund von mir, ich und zwei weitere Freunde waren verabredet. Omar kam nicht und hat stattdessen angerufen und gesagt: „Eine Freundin von mir ist erschossen worden“. Wir wollten ihn in der Situation nicht alleine lassen und sind zu ihm gegangen.
Diese Freundin war Sabeen Mahmud?
Genau. Wir haben stundenlang über Sabeen gesprochen und ihre Persönlichkeit hat mich einfach so fasziniert. Gerade weil man nicht so genau sagen kann, was sie eigentlich gemacht hat. Sie war keine Sensation. Sie war auch keine Einzelgängerin, wie ich später herausgefunden habe. Sie wollte alle mitnehmen und kleine Sachen bewirken. Manche Leute sprechen immer davon, etwas Großes machen zu wollen und das ist toll und vielleicht setzen sie es sogar um. Aber wir brauchen mehr Leute, die die Gesellschaft von unten verbessern wollen. Deshalb wollte ich Sabeen unbedingt kennenlernen.
Du konntest sie ja leider nicht mehr persönlich treffen. Wie hast du trotzdem versucht, sie kennenzulernen?
Am Anfang dachte ich, dass ich ihre Familie und Freunde treffen möchte, aber ich habe nicht speziell an ihre Mutter gedacht. Ich kannte ja auch ihren Background gar nicht. Nach und nach habe ich dann rausgefunden, dass sie die einzige Tochter ihrer Mutter war und ihre Mutter auch seit Jahren geschieden ist und dass es eine besondere Liebe zwischen den beiden gab. Die beiden haben auch zusammen gelebt.
Sabeens Mutter Mahenaz nimmt eine große Rolle in deinem Film ein und war auch anwesend bei der Filmvorführung in Berlin.
Als ich sie getroffen habe und sie diese Intellektualität hatte, wusste ich auch woher Sabeen all das hatte. Ich denke Mahenaz war ein Role Model für sie. Für mich war klar, dass es ein Film über Mutter und Tochter wird.
Die Freude am Filmprojekt hat mir Rückhalt gegeben
Du bist also drangeblieben, hattest aber keine Förderung für dein Filmprojekt.
Das war super schwierig. Es hat mir aber so viel Freude gebracht, endlich einen Film zu machen. Auch das Thema war mir einfach wichtig. Trotzdem war das ein schwieriger Prozess. Ich habe gearbeitet, um Geld zu verdienen. Ich war schwanger zu der Zeit und musste ein bisschen aufpassen, mich nicht zu sehr zu belasten.
Wie hast du das alles unter einen Hut bekommen?
Als mein Sohn zwei Wochen alt war, habe ich gerade die Transkripte gelesen und geschnitten. Dann saß ich mit ihm am Computer und wir haben den Film quasi zusammen geschnitten. Das war super anstrengend und auch schwierig. Aber die Freude daran hat mir Rückhalt gegeben.
Es gibt genug Vorbilder, man muss sie nur enthüllen
Sabeen steht im Mittelpunkt des Films. Ihre Mutter spielt eine große Rolle und auch darüber hinaus kommen viele furchtlose Frauen* in deinem Film vor. Wie hast du das bei deiner Recherche in Pakistan erlebt?
Die haben die Schnauze voll. Die wollen einfach nicht mehr mitmachen. Gerade die neue Generation. Die pakistanische Gesellschaft ist sehr komplex und die können keine schnellen Fortschritte erzielen, aber sie sind dabei. Ich war fasziniert von all diesen Frauen und bin so froh, sie kennengelernt zu haben. Ich sehe da eine Zukunft für Pakistan.
Zunächst war Sabeen als Person dein Antrieb diesen Film zu machen. Denkst du jetzt, dass er vielleicht auch zu diesem Fortschritt beitragen kann?
Es gibt wirklich wenig Vorbilder in Pakistan, gerade für die unteren gesellschaftlichen Schichten. Die Klassenunterschiede sind sehr stark ausgeprägt Ich wollte, dass der Film Jugendlichen ein Vorbild gibt. Sabeen ist voller Hoffnung und vermittelt, dass wir alles schaffen können, wenn wir nur wollen. Dieser eine Satz von ihr hat mich so inspiriert: „Angst ist nur eine Linie in deinem Kopf und du entscheidest, auf welcher Seite du stehst“.
Wie möchtest du Jugendliche in Pakistan mit deinem Film erreichen?
Wir haben uns überlegt, in die Schulen zu gehen. Mahenaz ist selbst Lehrerin. Nicht nur die Kinder brauchen ein Vorbild, sondern auch junge Lehrerinnen und Lehrer. Dieses Vorbild darf nicht von außen, sondern muss aus der Gesellschaft kommen. Es gibt genug Vorbilder, das zeigt auch der Film. Man muss sie nur enthüllen und das habe ich mit After Sabeen gemacht.
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