Remake 2019: Die Frontfrauen der Kinothek Asta Nielsen im Interview

“Die Filmarbeit der neueren Frauenbewegung der Vergessenheit entreißen” – so formuliert die Kinothek Asta Nielsen ihre Absicht, mit der sie sich Ende der 90er-Jahre als feministische Initiative gründete. Filmliebhaber:innen und Kurator:innen, Filmschaffende und Studierende – die Gründungsmütter dieser in Frankfurt am Main ansässigen Institution waren und sind bis heute eine vielfältige Mischung aus Menschen, die ihr Herzblut in die Wiederentdeckung, Archivierung und Präsentation von Filmen abseits der männlich dominierten Filmgeschichte stecken. 

In diesem Jahr feiert die Kinothek nicht nur ihr 20-jähriges Bestehen, sondern auch die zweite Auflage ihres Festivals REMAKE – Frankfurter Frauen Film Tage, das vom 26.11. bis 01.12. 2020 eine wertvolle Auswahl älterer und neuerer Filme auf die Leinwände der Main-Metropole bringt. Im Vorfeld des Festivals und im Rahmen des Jubiläums unterhielt sich Filmlöwin Sophie Brakemeier mit den künstlerischen Leiterinnen Karola Gramann und Gaby Babić über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der beeindruckenden Initiative.

Feministische Filmgeschichtsschreibung ist ein work in progress

Was hat euch damals zur Gründungszeit mit der Namensgeberin Asta Nielsen verbunden?

Karola: Asta Nielsen, der erste Filmstar von Weltrang, verkörpert alle Möglichkeiten, die das Kino den Frauen geboten hat: Autonomie beim Spiel, bei der Wahl der Sujets und Drehbücher,  Gestaltungsfreiheit und ein selbstbestimmtes Verhältnis zur Filmtechnik – Kamera, Schnitt – nirgends zeigt sich das schöner als in dem nur als Fragment erhaltenen Film Die Filmprimadonna. Asta Nielsen war von enormer Bedeutung für ein weibliches Publikum. Neben dem souveränen Umgang mit ihrem privaten Leben, war sie eine politisch aufrechte Künstlerin. Und natürlich ist sie eine hinreißende Schauspielerin.

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Eure formulierte Absicht ist es Filmfrauen vor der Vergessenheit zu bewahren. Wo sind die Leerstellen, die eine feministische Kinogeschichtsschreibung noch aufdecken kann?

K: Es gibt allein schon unter „archäologischen“ Gesichtspunkten Leerstellen – z.B. Filmemacherinnen, die noch bzw. wieder für ein großes Publikum zu entdecken sind: María Luisa Bemberg z.B., Jacqueline Audry, Luise Fleck. Generell ist der Anteil, den Frauen an der Filmgeschichte haben und hatten, viel zu wenig präsent. Als ein Beispiel fällt mir die von der Filmemacherin Su Friedrich gerade veröffentlichte website „edited by“ ein, die Cutterinnen nennt, die hinter den großen männlichen Regienamen stecken; ein work in progress.

Gaby: Ein Beispiel aus dem diesjährigen Programm, was für mich auch eine Entdeckung war, ist die Filmemacherin Katrin Seybold. Sie hat ein großes Werk an Filmen und die, die ich bisher gesehen habe, fand ich sehr beeindruckend. Auch da gilt es, Sachen wieder aufzuführen, auch für den Großteil des heutigen Publikums. Seybold hat sehr viel zur NS-Zeit gemacht und ist politisch angeeckt, hat keine Filmförderungen bekommen.

K: Und sie war ausgesprochen präsent in einer Dokumentarfilmbewegung in der BRD, die sich antifaschistisch und Anti-Atomkraft aufgestellt hatte. 

G: Der Film, den wir dieses Jahr von ihr zeigen heißt Das falsche Wort, den sie zusammen mit Melanie Spitta in der Autorinnenschaft gedreht hat.

v.l.n.r.: Gaby Babić, Karola Gramann und Heide Schlüpmann © Gunter Deller

Mit Geld geht Freiheit verloren

Es gibt die Kinothek Asta Nielsen jetzt seit zwanzig Jahren – Was ist in dieser Zeit für euch gleich geblieben? 

K: Gleich geblieben ist das Interesse an einem feministischen Zugang zur Filmgeschichte, der natürlich nicht nur die Filmarbeit von Frauen betrifft, sondern auch die Geschlechter- und Machtverhältnisse im Kino. Unser Ansatz hat sich sicherlich auch im Zuge einer bestimmten Politik geöffnet oder erweitert. Ein Beispiel dafür wäre: Was man früher an lesbischer Filmarbeit betrieben hat, hat sich geöffnet in den Bereich des queer cinema und darunter fallen dann ja auch wieder sehr viele Dinge, die sich weiter ausdifferenzieren. 

Und was hat sich verändert?

K: Was sich geändert hat, ist die Arbeitsweise. Wir waren eine kleine Gruppe, die sich aus Interesse gebildet hat. Wir haben zwar von Anfang an kleine Förderungen erhalten, waren aber sehr autonom und frei, in dem was wir machen wollten. Jetzt ist die Kinothek groß geworden und muss sich zunehmend anders organisieren.

Seid ihr vielleicht auch ein bisschen “erwachsen” geworden?

K: Nein, nein, erwachsen waren wir von Anfang an, sonst hätten wir das nicht gemacht. Die Kinothek ist groß geworden, auch in den Strukturen. Das Geld, was jetzt mehr geworden ist, weil es ohne auch nicht ginge, ist für mich auch eine gewisse Einschränkung. Es sind Zwänge damit verbunden und es geht Freiheit damit verloren. Aber im Prinzip hat sich einfach aus einer kleinen Initiative eine deutschlandweit und international gut vernetzte Institution ergeben, die deswegen auch anders arbeiten muss. 

G: Das was Karola beschreibt, ist der größere administrative Aufwand. Wenn wir öffentliche Förderungen bekommen – und wir arbeiten daran, dass das auch mehr wird – zwängt dich das natürlich auch in ein Korsett, dann muss man auch liefern. Ein aufwendiges Projekt ist beispielsweise das CineConcert am 28.11. in dessen Rahmen Maud Nelissen, eine international renommierte Komponistin den britischen Stummfilm Hindle Wakes neu vertont. 

Hindle Wakes © Park Circus/ITV Studios

Das Schöne an Filmen ist, dass sie viel sein können

Wie ist es zu der Zusammenarbeit mit Maud Nelissen gekommen?

K: Ich habe Maud Nelissen 1997 zum ersten Mal gehört, in einer Open Air-Aufführung des Films La Belle Dams San Merci von Germaine Dulac, und war sofort begeistert von ihr. . Wir sind dann auf Nelissen zugegangen, weil uns diese ganze Aufführungspraxis auch sehr interessiert hat. Fünf Jahre später hat sie für unsere Dulac-Retrospektive dann zum ersten Mal hier im Schauspiel Frankfurt mit uns zusammen eine Komposition aufgeführt. Wir haben über die Jahre hin immer wieder mit ihr gearbeitet und große Projekte mit ihr und Arte zusammen realisiert. Es wurden ganze Filme in diesem Zuge restauriert. 

Wie seid ihr gerade auf den britischen Stummfilm Film Hindle Wakes für das CineConcert gekommen?

G: Wir haben Hindle Wakes bei der letztjährigen Ausgabe von Remake schon gezeigt und waren von dem Film, den ganzen Themen die er anreißt und seiner emanzipatorischen Radikalität sehr begeistert. 

K: Das ist ja das Schöne an Filmen, dass sie nicht immer nur einen Stempelaufdruck haben, sondern auch einfach viel sein können. Der Film basiert auf einem starken feministischen Theaterstück aus dem Jahr 1912, das bis heute in England sehr populär ist. Er zeigt die Emanzipationsgeschichte einer Fabrikarbeiterin und schneidet dabei nicht nur Themen wie sexuelle Befreiung, sondern auch Kapitalismus und Sklaverei an. Im Zuge der diesjährigen Recherche haben wir so viel Neues über den Film herausgefunden, dass wir gedacht haben – dieser Film ist spektakulär. Die Entscheidung, mit Maud Nelissen dann zusammen eine Stummfilmmusik zu realisieren, war dann nur logisch. 

Hindle Wakes © Park Circus/ITV Studios

Das große Anliegen der diesjährigen Ausgabe von Remake scheint es ja zu sein, die Kämpfe der Vergangenheit in die Gegenwart zu holen. Was können wir also lernen von den Frauen der Filmgeschichte?

K: Filmgeschichte, vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart, das ist keine Sukzession, sondern – ich glaube Giorgio Agamben hat es so beschrieben – ein Archipel, wo verschiedene Inseln sich berühren und wieder auseinanderdriften. Das ist das Konzept von Filmgeschichte, das wir vertreten. Ich würde nicht sagen, dass das Kino eine Anstalt ist, wo wir was lernen, sondern es geht darum, welche Erfahrungen wir machen können. 

G: Ich würde gern die Verbindung zu Siegfried Kracauer herstellen, der in Bezug auf Film und Geschichte von seinem Interesse an verlorenen Prozessen spricht und den Phasen Phasen von Geschicht, in der Ideen noch nicht in festgezurrten Institutionen verloren gegangen sind und emanzipatives Potenzial oder Hoffnung enthalten. Das gilt für unsere Arbeit im Programm, dass wir nach den Kämpfen der Geschichte gucken, die entweder vergessen worden sind oder niedergeschlagen wurden. Aus solchen Kämpfen können wir besonders für heute neue Perspektiven entwickeln. 

© Kinothek Asta Nielsen

Es ist wichtig, dass wir zusammenarbeiten

Und welche Perspektiven gibt es für die nächsten zwanzig Jahre für die Kinothek Asta Nielsen?

K: Wir machen die Leitung jetzt seit zwei Jahren gemeinsam und im nächsten Jahr wird Gaby sie dann ganz übernehmen. Wir finden es wunderbar, dass die Kinothek nicht auf einzelnen Personen fixiert ist, sondern dass es Perspektiven gibt und dass sie sich in verschiedene Richtungen entwickeln kann. 

Also versteht ihr die Kinothek auch als einen Ort der wandelbar ist und bleiben soll?

G: Wir hatten zum Glück nie so starre Strukturen und ich werde auch weiterhin darauf achten, dass das so bleibt. Wir werden auch weiterhin dazu einladen, neue Programme beizutragen. Und natürlich haben wir auch schon konkrete Programme nach Remake in Planung. Das Festival wird zukünftig biennal stattfinden, das nächste Mal also 2021 mit dem Schwerpunktthema “Arbeit im Film”. 

K: Ich stelle mir vor, dass ich in Zukunft auf ganz andere Weise über Programme nachdenken kann, die ich dann machen möchte – wenn es passt, weiterhin am liebsten in Zusammenarbeit mit der Kinothek.

Karola, bist du stolz auf die Arbeit, die die Kinothek Asta Nielsen in den letzten zwanzig Jahren geleistet hat oder siehst du eher, das was noch hätte getan werden können?

K: Stolz ist kein Begriff, den ich verwende. Ich bin sehr zufrieden damit, wo die Kinothek heute steht. Das hab ich natürlich nicht alleine gemacht, es war eine lange Geschichte von der Goethe-Uni in Frankfurt, wo wir zuerst angesiedelt waren, über den Umzug in die Stadtöffentlichkeit bis heute. Ich bin wirklich glücklich und das ist glaube ich auch das Schönste daran; dass es gelungen ist, andere Leute für die Kinotheks-Arbeit zu interessieren, sodass eine Gemeinschaft entstanden ist, in der man viele Arbeitsmöglichkeiten hat. Es ist auch hier ein “Archipe”l von Leuten entstanden, gerade auch jüngeren Leuten! Das, finde ich, ist eigentlich an meiner und unserer Arbeit das Allerwichtigste: dass wir zusammenarbeiten und dass wir nicht versuchen uns diesem elenden Konkurrenzdruck auszuliefern. 

 

Sophie Brakemeier